Auf die Klimakrise setzt sich heuer noch die Corona-Pandemie obendrauf und dominiert die Schlagzeilen. Aber beeinflussen sich beide Phänomene gegenseitig? Oder kann man aus Covid-19 vielleicht sogar etwas mitnehmen für den Kampf gegen die Erderwärmung? Ja, antwortet der deutsche Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber auf beide Fragen – wenngleich er einen entscheidenden Unterschied zwischen Corona und Klima hervorhebt: "Nur eines lässt sich durch einen Impfstoff beseitigen."

STANDARD-Redakteurin Karin Bauer leitet die Diskussion zwischen Amundi-Fondsmanager Jörg Moshuber, Wirtschaftspsychologin Monika Spiegel und Bank-Austria-Chefökonom Stefan Bruckbauer (von links). Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber ist per Video zugeschaltet.
Foto: Regine Hendrich

Der fast weltweite Lockdown zu Beginn der Corona-Krise hat Schellnhuber zufolge im ersten Halbjahr zu einem "beispiellosen" Absinken des CO2-Ausstoßes um 8,8 Prozent geführt – wobei die Veränderung in verschiedenen Bereichen höchst unterschiedlich ausgefallen sei. Die größten Einsparungen gab es demnach bei Transporten an Land sowie im Flugverkehr, bei Strom, Industrie oder Hauswärme habe es wenig Veränderung gegeben. "Dieses Realexperiment ist extrem wichtig für die Klimaforschung", betont Schellnhuber.

Neue Wege einschlagen

Zudem ermutigt der Klimaforscher dazu, neue Wege einzuschlagen – etwa im Bereich des Bauens und der Erhaltung von Gebäuden, was zusammen für etwa 40 Prozent der CO2-Emissionen stehe. Dazu regt Schellnhuber ein Umdenken bei den Baumaterialien an, weg von Stahlbeton hin zu organischen Materialien wie Holz. Diese würden CO2 beim Wachstum aus der Luft absorbieren und dann als Baustoff dauerhaft speichern. "Wir würden uns aus der Klimakrise herausbauen", sagt Schellnhuber in einer Online-Podiumsdiskussion.

Aber reicht das aus, um die Klimaziele überhaupt noch einhalten zu können? Obwohl etwa bis zur Empfehlung des Weltklimarats von einer Obergrenze von 1,5 Grad Erderwärmung nur noch die "Winzigkeit" von 0,3 Grad fehle, bleibt Schellnhuber zuversichtlich: "Ja, wir bekommen die Klimawende hin – wenn es ein Projekt ist, das alle erfasst."

"Active Engagement"

"Nachhaltigkeit hat viele Facetten", betont Fondsmanager Jörg Moshuber vom Vermögensverwalter Amundi. Neben Umwelt und damit Klima gehe es auch um soziale und gesellschaftliche Fragen – etwa wie ein Unternehmen mit Mitarbeitern umgehe oder auch wie die Arbeitsbedingungen in den Lieferketten aussehen würden.

In sozialen Fragen hebt Moshuber einen Vorteil von Investmentgesellschaften hervor: Sie würden Unternehmen auf Probleme ansprechen, was er als "Active Engagement" bezeichnet, und ihre Stimmrechte ausüben. Dies gelte auch im Bereich der Governance, also der Art und Weise der Unternehmensführung, die ebenfalls zur Nachhaltigkeit beitrage.

"Veränderung beginnt immer mit einer Schockphase", sagt Wirtschaftspsychologin Monika Spiegel. Aber man wolle nicht darin verharren und suche daher Veränderung. Geld hält sie dazu höchstens für eine kurzzeitige, aber keine dauerhafte Triebfeder. Aber die Belohnungssysteme verändern sich, Menschen würden mehr nach Sicherheit im Leben streben. "Wir wissen alle gar nicht, wie viel Macht wir haben", sagt Spiegel – räumt aber auch ein: "Veränderung geht nie schnell, das ist das Problem."

Druck der Kunden

Bank-Austria-Chefökonom Stefan Bruckbauer betont, dass schon viel passiert sei, auch durch das Umdenken vieler Menschen – also könnten auch Einzelne etwas bewegen.

Etwa bei Banken, da sie in der Öffentlichkeit stehen und jeder gezwungen sei, deren Produkte zu nutzen, könnten die Kunden Druck ausüben – was sich aufgrund der "enormen Finanzierungen" der Banken stark auswirke.

"Man sieht weltweit, auch in den USA mit dem größten Finanzsystem, wie sensibel die großen Finanzierer, die großen Banken und großen Asset-Holder geworden sind bei den Themen, die die Gesellschaft interessiert", sagt Bruckbauer. Aber als Volkswirt betont er dennoch: "Es ist am Ende des Tages nötig, dass die Politik die wichtigen Weichenstellungen schafft – auch auf globaler Ebene." Auf diese Weise werde sich Veränderung in Richtung Nachhaltigkeit schneller einstellen.

Dazu verschärfte die EU-Kommission unlängst, wie Schellnhuber hervorhebt, die Klimaziele deutlich. Außerdem geht er davon aus, dass Impfstoffe die Welt bald aus der Corona-Krise erlösen werden. (red, 15.10.2020)