Wiens Bürgermeister Michael Ludwig ließ vorerst weiter keine Koalitionspräferenzen erkennen. Am Freitag wird auf Vorschlag Ludwigs in den SPÖ-Gremien das rote Verhandlungsteam ernannt.

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Wiens Stadtchef Michael Ludwig peilt eine fertig verhandelte neue Koalition bis Mitte November an. Ab Montag stehen erste Gespräche mit ÖVP, Grünen und Neos an. Die FPÖ sprach Dominik Nepp trotz Debakels das Vertrauen aus.

Die neue Wiener Stadtregierung soll in gut einem Monat stehen. "Ich peile Mitte November an", sagte Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) am Mittwoch im Rathaus. Mit welcher Partei der Wahlsieger eine Koalition eingehen will, ließ Ludwig wie erwartet vorerst offen. Ab Montag wird die SPÖ erste Sondierungsgespräche mit Vertretern von ÖVP, Grünen und Neos aufnehmen.

Eine stabile Mehrheit im Gemeinderat ist mit allen drei Parteien möglich. Die SPÖ erreichte im vorläufigen Endergebnis 41,6 Prozent und 46 von 100 Mandaten. Die ÖVP kam in der Endabrechnung auf 20,43 Prozent, die Grünen fuhren mit 14,8 Prozent ihr bestes Wien-Wahl-Ergebnis aller Zeiten ein, und die Neos erreichten 7,5 Prozent.

Rot-pinke Sympathien

Der neue SPÖ-Bezirksvorsteher in der Leopoldstadt, Alexander Nikolai, machte seine Sympathien für Rot-Pink bereits deutlich. Ludwig meinte hingegen: "Wir sind übereingekommen, dass wir das intern besprechen." Der Stadtchef zeigte sich vom öffentlichen Vorstoß des neuen Bezirksvorstehers im Zweiten nicht sehr erfreut. Auch Nikolai werde sich noch "in die Kommunikationsdisziplin einordnen", wie es Ludwig formulierte.

Altbürgermeister Michael Häupl (SPÖ) äußerte hingegen Skepsis bezüglich eines rot-pinken Experiments. "Was Neues muss nicht immer gut sein und das Alte nicht immer schlecht", sagte er in Ö1. Ludwig meinte, dass Vorgänger Häupl ein "sehr weiser Mann" sei. In der Politik gebe es aber auch "neue Herausforderungen, die man unter neuen Rahmenbedingungen auch anders zu sehen hat".

Gremien der Wiener SPÖ tagen am Freitag

Am Freitag tagen jedenfalls die Gremien der Wiener SPÖ. Dort wird fixiert, mit welchem Team Ludwig in die Koalitionsverhandlungen gehen wird. Die ersten Sondierungsgespräche mit ÖVP, Grünen und Neos soll zunächst ab Montag ein rotes Dreierteam führen, dem neben Ludwig wohl auch Parteimanagerin Barbara Novak angehören dürfte.

Dieses erste Abtasten soll bis Ende kommender Woche abgeschlossen sein, sagte Ludwig. Danach beginnen die "vertiefenden Koalitionsverhandlungen". Mit allen drei möglichen Partnern gebe es inhaltliche Schnittmengen: Bei den Grünen sei das die Umwelt- und Klimapolitik, bei der ÖVP Wirtschaftsthemen und bei den Neos die Bildungspolitik.

Die für Ludwig drängendsten Themen sind die Auswirkungen der Corona-Krise auf das Gesundheitswesen, den Wirtschaftsstandort und den Arbeitsmarkt. Dazu kommen der Ausbau des Bildungssystems sowie Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels.

FPÖ spricht Nepp Vertrauen aus

Die Wiener FPÖ ist hingegen derzeit hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt. Den Totalabsturz auf 7,11 Prozent will man aber zumindest aktuell nicht Spitzenkandidat Dominik Nepp umhängen.

Nepp wurde laut den Freiheitlichen in der Sitzung des Landesparteivorstandes am Dienstagabend einstimmig das Vertrauen ausgesprochen. "Die Revolution hat nicht stattgefunden", sagt ein FPÖ-Sprecher zum STANDARD. Es seien sich alle "einig gewesen, dass es mit Nepp im Wahlkampf gut gelaufen ist". Bis auf das Ergebnis – aber das hätte ohne ihn noch schlechter aussehen können, heißt es.

Nepp kündigte "inhaltliche und strukturelle Optimierungen" an. Dafür soll eine Reformgruppe eingesetzt werden. Vorrangiges Ziel sei, die enttäuschten Nichtwähler zurückzugewinnen, hieß es. Denn diese seien "zumindest nicht fremdgegangen", hieß es in einer Anspielung auf das Team HC Strache.

FPÖ verlor 80 Prozent ihrer Wähler von 2015

Die FPÖ verlor 80 Prozent ihrer Wähler und muss damit den größten Wählerschwund, den jemals eine Partei bei einer Landtagswahl verzeichnete, verkraften. Mit 100.000 Wählern blieb ein großer Teil dieses Mal zu Hause, wie die Wählerstromanalyse von Sora zeigt. Nur etwa 17.000 Wähler wechselten zu Straches Liste.

Das macht die Wiener auf einen Schlag von der stärksten zur schwächsten Landesorganisation. Das Machtvakuum wird künftig vermutlich von den Oberösterreichern noch stärker ausgefüllt werden als bisher. Landeschef Manfred Haimbuchner empfahl den Wienern, sich neu aufzustellen.

Die FPÖ wird künftig auch keinen Anspruch mehr auf das Amt des Vizebürgermeisters haben, das Nepp innehat. Sofern weiter zwölf Stadtratsposten zu vergeben sind, steht ihnen nur ein nicht amtsführender Stadtrat zu. Im Gemeinderat werden die Freiheitlichen nur noch mit acht Mandataren vertreten sein. Nach der Wahl 2015 waren es 34. Die finanziellen Verluste wollte man noch nicht beziffern. Allein auf Gemeindeebene dürften etwa drei Viertel der Parteienförderung weg sein, das waren zuletzt 8,9 Millionen Euro. (David Krutzler, Vanessa Gaigg, 14.10.2020)