Amy Coney Barrett: "Ich bin nicht auf einer Mission, um den Affordable Care Act zu zerstören."
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Es klang fast schon sarkastisch, das Fazit, das Kamala Harris zog, nachdem sie, bildlich gesprochen, immer wieder gegen Gummiwände geprallt war. "Ich würde vorschlagen", sagte sei, "dass wir nicht so tun, als wüssten wir nicht, wie die Nominierte das Recht einer Frau sieht, eigene Entscheidungen zu treffen, wenn es um ihre eigene Gesundheit geht."

Harris ist per Video zugeschaltet, um im Justizausschuss des Senats, dem sie angehört, eine halbe Stunde lang Fragen zu stellen. Da sie für die Vizepräsidentschaft kandidiert, will sie keinerlei Corona-Infektionsrisiko eingehen; und Amy Coney Barrett, der von Donald Trump nominierten Verfassungsrichterin, dennoch gründlich auf den Zahn zu fühlen. Also verweist sie auf eine Zeitungsannonce, in der eine Pro-Life-Initiative vor Jahren forderte, "Roe gegen Wade" zu kippen, – das war das Urteil, mit dem das Oberste Gericht 1973 die Abtreibung legalisierte. Von Machtanmaßung und Barbarei war darin die Rede, auch Barrett hatte unterschrieben.

Angst vor Rückschritt

Bei den Demokraten nährt es die Angst, dass der Supreme Court fünf Dekaden nach einem historischen Durchbruch die Uhrzeiger zurückdrehen könnte. Trump hat die Furcht noch befeuert, indem er sagte, mit Barrett in der Richterrunde wäre es möglich, "Roe gegen Wade" zu kassieren.

Doch sobald sie danach gefragt wird, hält sich die Juristin, im Privaten eine gläubige Katholikin, bedeckt. An besagte Annonce könne sie sich nicht erinnern, entgegnet sie der Senatorin Harris. Generell, betont sie ein ums andere Mal, werde sie jetzt nicht ankündigen, wie sie in Zukunft zu urteilen gedenke. Jeder Fall sei konkret; entschieden werde immer erst dann, wenn er vor Gericht komme, der Rest sei Spekulation.

"Keine Vorschau, keine Prognose" – Ruth Bader Ginsburg, die Mitte September verstorbene liberale New Yorkerin, deren Platz sie, die Konservative aus dem Mittleren Westen, einnehmen soll, formulierte das als Faustregel für ein solches Hearing. "Es ist ja nicht so, dass Richter eines Morgens aufwachen und sagen, ich habe eine Agenda", entgegnet sie ihren Kritikern. "Ich mag Schusswaffen, ich hasse Schusswaffen. Ich mag Schwangerschaftsabbrüche, ich hasse Schwangerschaftsabbrüche. Es ist nicht so, dass man eines Tages daherkommt wie eine Königin und der Welt seinen Willen aufzwingt." Sie mache keine Politik. Sie habe zu prüfen, ob politische Beschlüsse verfassungskonform seien.

Keine Chance auf Ablehnung

Zu dem Zeitpunkt, am Mittwochmorgen (Ortszeit), ist längst klar, worum es bei der Anhörung eigentlich geht – um ein Kapitel Wahlkampf. Verhindern können die 47 Demokraten im Senat nicht, wozu die 53 Republikaner der Kammer entschlossen sind: Barrett noch vor der Wahl am 3. November zu bestätigen. Es steht so gut wie fest, dass demnächst sechs eher konservative Richterinnen und Richter eine Übermacht gegenüber drei eher progressiven Kolleginnen und Kollegen bilden.

Nach Ansicht der Opposition hätte das Verfahren so kurz vor einem Präsidentschaftsvotum nie beginnen dürfen, zu Recht verweist sie auf einen ähnlich gelagerten Fall aus dem Jahr 2016. Damals weigerten sich die Republikaner, einen acht Monate vor der Wahl von Barack Obama berufenen Richterkandidaten auch nur anzuhören. In einem Wahljahr, lautete die Begründung, dürfe ein vakanter Posten am Supreme Court nicht besetzt werden, dies sei Sache des nächsten Präsidenten.

So berechtigt die Einwände der Demokraten sind, an den aktuellen Mehrheitsverhältnissen ändern sie nichts. So ist es denn auch weniger eine Debatte mit offenem Ausgang, sondern vielmehr ein Stück Wahlkampfkontroverse, was derzeit im Saal 216 des Hart Office Building über die Bühne geht.

Gefahr für Obamacare?

Eine Höchstrichterin Barrett, warnen die Demokraten, würde die Gesundheitsreform Obamas zu Grabe tragen, nachdem der Versuch, das Gesetzeswerk im Parlament zu überstimmen, gescheitert ist. Millionen von Amerikanern, die nur deswegen krankenversichert sind, liefen Gefahr, den Schutz zu verlieren.

Tatsächlich hat der Bundesstaat Texas den Affordable Care Act (ACA) einmal mehr angefochten, eine Woche nach der Wahl beginnt die Verhandlung darüber. Trump wiederum hat vor der Berufung Barretts erklärt, dass er nur jemanden aufstelle, der Obamas Reform aushebeln werde.

Als Chris Coons, Senator aus Delaware, daran erinnerte, wich Barrett einmal mehr aus. Ihre Aufgabe sei es, geltendes Recht anzuwenden: "Ich bin nicht auf einer Mission, um den ACA zu zerstören". Darauf Harris, am späten Dienstagabend gegen Ende eines ermüdenden Sitzungsmarathons: Das mit dem Todesstoß für die Gesundheitsreform sei nichts Hypothetisches, sondern etwas, was gerade angebahnt werde. "Und es macht den Leuten Angst, gerade jetzt, mitten in einer Pandemie." (Frank Herrmann aus Washington, 14.10.2020)