FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl blickte "einigermaßen besorgt" auf den weitestgehend demaskierten türkisen Fraktionsrang im Nationalrat.

Foto: APA/ Roland Schlager

Der 3.876 Seiten lange Budgetentwurf von Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) dürfte bei so manchem Abgeordneten für schlaflose Lesenächte gesorgt haben. Zumindest blieb ihnen offenbar nicht allzu viel Zeit, bis zur Ersten Lesung am Donnerstag, die der oppositionellen Kritik gewidmet war, tiefer in die einzelnen Materien einzutauchen. Neos-Mandatarin Henrike Brandstötter beschwerte sich bereits auf Twitter, dass entweder die Druckmaschinen vom Coronavirus befallen sind oder Blümel die Opposition "ausmerzen" möchte, "indem er uns zwingt, am Vorabend der Budgetrede die Teilhefte in Großgruppen zu lesen: Wir haben exakt jeweils eine Ausgabe erhalten, 'wegen Corona'."

Die Oppositionsränge im Nationalrat waren zur Ersten Lesung zwei Abende später dann trotzdem gut gefüllt. Der ein oder andere Abgeordnete musste sich zwar noch den Schlaf aus den Augen reiben. Aber zu Beginn war auch noch nicht besonders viel los.

ÖVP-Klubobmann August Wöginger verkaufte, wie zu erwarten war, mit viel türkisem Pathos das Budget des eigenen Finanzministers. Nach und nach spulte er die Milliarden und Millionen ab, die Österreich künftig für die Corona-Krise und anderes ausgeben wird – stets versehen mit Feststellungen wie: "Das sind die richtigen Ansagen." Und wenn jemand wie FPÖ-Klubchef Herbert Kickl es wagte, mit Zwischenrufen zu stören, als die Erhöhungen für Heer, Inneres und Justiz verkündet wurden, entgegnete Wöginger kalt, dass dessen größte Errungenschaften als Innenminister der blaue Teppich im Ministerium und die Polizeipferde gewesen waren. "Damit muss man leben", sagte Wöginger spöttisch. Kickl griff zum Kugelschreiber – er sollte sich noch dafür rächen.

SPÖ fehlt "Kampfansage gegen Arbeitslosigkeit"

Davor aber mimte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner die erste Spielverderberin. Sie betonte einmal mehr, dass die Corona-Krise hierzulande für die größte Wirtschaftskrise seit 1946 sorge. Man stehe vor einem Herbst und Winter, in dem die Arbeitslosenzahl laut Prognosen auf mehr als 500.000 hochschnellen dürfte. Dem stünden kaum offene Stellen gegenüber. Einige hunderttausend Menschen seien obendrein noch in Kurzarbeit. Beinahe tägliche lese man davon, dass Industriestandorte schließen und in großer Zahlen Stellen abbauen, sagte Rendi-Wagner. Ihr fehlte die "Kampfansage gegen die Arbeitslosigkeit" im türkis-grünen Budget. Milliarden alleine würden noch keine Arbeitsplätze schaffen, drängte sie auf eine aktivere Arbeitsmarktpolitik. Das Arbeitsmarktbudget sei pro Kopf zudem kleiner als 2017, als noch keine Pandemie wütete. Rendi-Wagner vermisst auch eine weitere Steuerreform zur Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen, die den Konsum in der Krise anregen soll.

Und dann kam Kickl. Das Budget einmal beiseitegeschoben, bat er zu Beginn seiner Rede um einen Kameraschwenk auf die türkisen Ränge – diesem Wunsch kam der ORF auch nach. Auf die blickte Kickl "einigermaßen besorgt", weil die ÖVP-Mandatare am Donnerstag weitestgehend ohne Maske zwischen Plexiglasscheiben Platz nahmen. Vor etwa einer Woche hatte die türkise Abgeordnete Gabriela Schwarz mit Schützenhilfe von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) noch eine Geschäftsordnungsdebatte angestrengt, weil Freiheitliche und Neos das Stück Stoff nicht trugen. Kickl sprach von "Heuchelei". Damit nicht genug, kassierte Kickl nach einem Spiel mit dem Namen "August Wöginger" einen Ordnungsruf. Das hielt ihn nicht davon ab, sich weiter auf die ÖVP und ihren Regierungspartner einzuschießen. Das Budget bezeichnet er nicht als Corona-Hilfe, sondern als "Sterbehilfe". Die Arbeitslosenstatistik und die abertausenden Unternehmen, denen das Wasser bis zum Hals stehe, das sei die in Zahlen gegossene türkis-grüne Politik.

Meinl-Reisinger versucht sich als Streitschlichterin

Die grüne Klubchefin Sigrid Maurer wiederum ist wie Wöginger stolz auf die Eigenleistung. "Wenn das Klima gewinnt, gewinnen wir alle", hob Maurer den grünen Schwerpunkt hervor. Von 2021 bis 2024 werden 1,8 Milliarden Euro in den Klimaschutz fließen. Mit Investitionen beispielsweise in den öffentlichen Verkehr und in den Umbau der Energiesystem soll auch Beschäftigung geschaffen werden. Von der 700 Millionen Euro schweren Arbeitsstiftung erwartet sich die Regierung, dass sich Menschen, die aufgrund der Corona-Krise ihre Arbeit verloren haben, für andere Jobs umschulen lassen können, etwa für den Klimabereich. Maurer betonte zum Schluss noch die Budgeterhöhung von 30 Millionen Euro für den kriselnden Kunst- und Kulturbereich – tatsächlich die größte Erhöhung in diesem Bereich seit Jahrzehnten.

Weit weniger zufrieden waren die Neos. Zunächst versuchte sich ihre Chefin Beate Meinl-Reisinger aber als Schlichterin im türkis-blauen Maskenstreit. Der Mund-Nasen-Schutz dürfe nicht zum "Kampfbegriff", nicht zur "Fahnenfrage" erhoben werden, "sonst kommen wir nicht gut gemeinsam aus der Krise", sagte Meinl-Reisinger in Richtung FPÖ, aber auch ÖVP, weil: "Ihr habt das genauso gemacht."

Der Liberalen ging es beim Budget vor allem um die grundsätzliche Herangehensweise. Blümel habe ein Krisenbudget vorlegt, aber nichts darüber hinaus. Ein echtes Comeback aus der Corona-Krise könne nicht über Almosen geschehen, sondern – so die vage Ansage – über Entlastung, Deregulierung und Entbürokratisierung.

Die erste Steuerentlastung, die die Regierung vorgezogen habe, werde zu wenig sein, glaubt Meinl-Reisinger. "Die wird von der kalten Progression aufgefressen. Sie ziehen den Menschen Jahr für Jahr mehr Geld aus der Tasche und geben es dann teilweise mit Eigenlob in kleinen Tranchen wieder zurück", polterte die Neos-Chefin. Es brauche endlich eine echte Steuerreform – den Neos schwebt ein Volumen von neun Milliarden Euro vor, ohne weitere Details zu nennen. So ist das Budget für Meinl-Reisinger jedenfalls nur eines, "das die Vergangenheit Österreichs verwaltet, anstatt in Zukunft und Aufschwung zu investieren". (Jan Michael Marchart, 15.10.2020)