Es ist überraschend, wie untätig die Politik einem drohenden und immer wahrscheinlicher werdenden Lockdown entgegenblickt. Die Gelassenheit, die manche Politiker in der Corona-Krise an den Tag legen, ist grob fahrlässig. Denn mit einem Lockdown gehen nicht nur unangenehme Einschränkungen für die Bürgerinnen und Bürger einher, eine solch radikale Maßnahme hat schwerwiegende, wahrscheinlich desaströse Folgen für die Wirtschaft zur Folge – mit erneut steigenden Arbeitslosenzahlen, an denen das Land, vor allem aber die betroffenen Menschen viele Jahre laborieren werden.

In Paris wird eine nächtliche Ausgangssperre verhängt, in Portugal wird der nationale Notstand ausgerufen, Tschechien und die Slowakei sind quasi schon im Lockdown, in Deutschland tagt der Krisenstab. Auch in Österreich geht die Zahl der Neuinfektionen beständig hinauf, stärker noch als in Nachbarländern, am Donnerstag wurden 1.552 Neuansteckungen gemeldet. Und es wird nur an sehr kleinen Schrauben gedreht.

Es geht nicht darum, die Menschen in Panik zu versetzen, im Gegenteil. Es geht darum, dem Ernst der Lage ins Auge zu blicken und rechtzeitig die richtigen Maßnahmen zu setzen. Die Lage, so versichern Experten, ist im Griff, aber es darf nicht schlimmer werden. Es liegt an der Politik, das darzustellen – und darauf zu reagieren.

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Feuer am Dach: Bundeskanzler Sebastian Kurz sollte es zurzeit nicht um Maßregeln und Kräftemessen gehen, sondern um rasche, gemeinsame Entscheidungen.
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Stellungnahme

In dieser Situation richtet Bundeskanzler Sebastian Kurz ein Schreiben an die Bundesländer. "Die Lage ist ernst", stellt der Kanzler fest. Die Zahlen in manchen Bundesländern hätten ein "sehr besorgniserregendes Ausmaß" erreicht. Verschärfte Maßnahmen seien dringend notwendig. Eh.

Der Kanzler hat recht, die Vorgangsweise irritiert aber. Konkrete Maßnahmen nennt er nicht. Der Alarmismus, der mitschwingt, trägt eher dazu bei, die Menschen zu verunsichern, als sie hinter sich zu versammeln. Jetzt wäre es notwendig, für Geschlossenheit zu sorgen und verständliche, für alle gültige Richtlinien vorzugeben.

Mit seiner öffentlichen Stellungnahme signalisiert Kurz, er habe sonst keinen anderen Draht zu den Ländern. Was insgesamt nicht vertrauenserweckend ist. Gerade jetzt sind Vorwürfe und Rügen aber nicht angebracht, die Länder brauchen eine enge Abstimmung untereinander und mit dem Bund. Bezirksweise Maßnahmen, wie sie jetzt in Salzburg gesetzt werden, sind nicht ausreichend. Die Länder brauchen keine Bevormundung, aber eine konkrete Handlungsanleitung – und sie werden sich in einer Situation wie dieser nicht wehren, wenn der Bund eine solche anbietet.

Je koordinierter und einheitlicher die Politik vorgeht, umso eher lässt sich ein Lockdown vermeiden. Die hat Experten an der Hand, die sagen können, was Sinn macht: eine Ausweitung der Maskenpflicht, eine Einschränkung der Veranstaltungen, eine Vorverlegung der Sperrstunde – und natürlich schnellere Tests und eine konsequentere Nachverfolgung, ehe das aufgrund explodierender Zahlen gar nicht mehr funktioniert.

Dieses Gegeneinander von Bund und Ländern, dieses Kräftemessen, Maßregeln und Gegeneinanderauspielen ist absolut kontraproduktiv. Da muss auch der Kanzler von seinem Ego einen Schritt zurück machen, um den anderen entgegenkommen zu können. Es braucht ein Einvernehmen. Diese Krise werden wir nur gemeinsam und nicht gegeneinander meistern können. (Michael Völker, 15.10.2020)