Zivilisiert. So lässt sich die Anhörung Amy Coney Barretts im Justizausschuss des US-Senats beschreiben. Sachliche Fragen, ruhige Antworten. Kein Geschrei, keine Tränen wie noch vor zwei Jahren beim Nominierten Brett Kavanaugh, der Vorwürfe eines sexuellen Übergriffs vehement abstritt. Die Bezeichnungen "emotional" und "hysterisch" hätte sich eine Frau nach einem Auftritt wie seinem wohl nicht nur einmal anhören müssen.

Kandidatin für den Supreme Court: Amy Coney Barrett.
Foto: EPA

Doch obwohl die Antworten Barretts ruhig und sachlich waren, fehlte doch etwas: Der Inhalt. Tagelang weigerte sich Donald Trumps Kandidatin für das Höchstgericht, konkret auf Fragen zu antworten, etwa zum Recht auf Abtreibung, zur Ehe für alle oder Obamacare. Sie wolle Urteile nicht vorwegnehmen, argumentierte die 48-Jährige, könne nur von Fall zu Fall und nach Beratungen entscheiden.

Natürlich ist es richtig, wenn Richterinnen und Richter nicht über zukünftige Causen spekulieren. Doch in einigen Fragen geht es schlicht um Grundkenntnisse der Verfassung: Rechtsgelehrte sind sich einig, dass nicht der Präsident, nur der Kongress Wahlen verschieben kann. Das weiß Barrett. Dass sie es nicht sagt, um bei Republikanern nicht anzuecken, ist alarmierend. Auch der Klimawandel ist kein "politisch kontroversielles" Thema, wie sie sagte, sondern von wissenschaftlichen Erkenntnissen bestimmt. Dass er menschengemacht ist, muss auch eine Jus-Professorin wissen.

Schlussendlich ist es aber egal was sie inhaltlich sagt, denn die Entscheidung bleibt eine politische: Die Republikaner im Senat haben nun einmal eine Mehrheit, obwohl sie nur eine Minderheit der Bevölkerung in der Kammer repräsentieren. Sie können Barrett bestätigen. Die Rückschritte für die USA, das kann der zivilisierte Auftritt nicht kaschieren, werden groß sein. Die Positionen einer Richterin, die die Verfassung von 1789 wörtlich nehmen will, gehören aber eigentlich nur dorthin: ins 18. Jahrhundert. (Noura Maan, 15.10.2020)