Beiläufiges Geschehen im Video: Warhols Experimentalfilme "Blow Job", "Eat" und "Empire" (von links) liefen im Hintergrund auf den Partys der Factory – und jetzt im Mumok.
Foto: Klaus Pichler / Mumok

Wenn man nach einem Inbegriff von Blasiertheit suchen wollte, dann wäre man mit der Performance von Ed Hood in Andy Warhols Film My Hustler (1965) gut versorgt. Ein Mann in einem Strandhaus, der sich in gewählten Worten und mit gut geölter Stimme über die Größe des Geschlechtsteils eines Mannes äußert, auf den die Kamera währenddessen die meiste Zeit konzentriert ist.

Gedreht wurde auf Fire Island vor New York am Labor-Day-Wochenende 1965, und mit ein paar langen Einstellungen war ein Film fertig, der es mit einer Laufzeit von 67 Minuten mit jedem billigen B-Picture aus einem Hollywood-Studio aufnehmen konnte. Nur mit dem Unterschied, dass die Filme von Andy Warhol zu den Produkten der Kinoindustrie nicht in direkte Konkurrenz treten wollten, sondern eher eine Art Parallelaktion dazu inszenierten.

Ein Kino mit Stars und Sex und Glamour, aber zu anderen Bedingungen: Was in Hollywood als unausdrückliche Voraussetzung in den Geschichten versteckt blieb, tritt bei Warhol offen zutage und wird, wenn nicht reflektiert, doch zu mindest der Betrachtung zugänglich gemacht.

Im Falle von The Hustler bedeutete dies konkret, dass der Sex, um den es ging, käuflich und schwul ist, denn die Titelfigur (gespielt von Paul America) ist auf Bestellung nach Fire Island gekommen, eine Figur an der Grenze zwischen "service" und "servitude", zugleich aber auch ein distanziertes Objekt niemals ein holbaren Begehrens.

Zwei Pole bei Warhol

Paul Morrissey, bei My Hustler der Kameramann, erwies sich später als eine entscheidende Figur für das Kino, das Warhol in seiner Factory und mit seiner künstlerischen Entourage in den Sechzigerjahren entwickelte. Ein Overground-Kino in ständiger Verbindung mit dem transgressiven Underground, der in New York damals höchst lebendig war. Während Figuren wie Jack Smith oder Kenneth Anger aber deutlich in anderen Kategorien dachten als das kommerzielle Kino, wiewohl auch sie es immer im Hinterkopf hatten, lag im Fall von Warhols Filmen schon aus prinzipiellen Gründen nahe, dass sie nicht einfach auf die halbklandestinen Öffentlichkeiten der blühenden amerikanischen Filmavantgarden dieser Jahre abheben konnten.

Weil Warhol sein Image wahrte, wurden viele seiner Filme nicht zu Lebzeiten des Künstlers gezeigt. Sein umfassendes Œuvre ist bis heute noch nicht zur Gänze aufgearbeitet. Allein zwischen 1964 und 1966 drehte er knapp 500 Kurzfilme.
Foto: The Andy Warhol Museum / Bildrecht Wien

Schließlich waren Konzepte wie Massenproduktion, Warenform, Serialität, die für Warhols Kunst bestimmend waren, in Hollywood sprichwörtlich traumindustriell geworden. Parker Tyler konnte in seiner Geschichte des Underground-Films zwar My Hustler noch als "home movie" bezeichnen, doch die Tendenz in Warhols Schaffen hatte von Beginn an zwei Pole: eine strukturalistisch-kontemplative, die den Kamerablick in einer sehr konzeptuellen Naivität auf Phänomene selbst richtete (statt Einstellungen nur als Montagematerial zu sehen), und eine, die dann doch das kommerzielle Kino mit seinen Konventionen (Stars, unsichtbarer Schnitt, realistische Weltanmutung) zumindest auf ein künstlerisches Format bringen wollte.

Die Screen Tests sind das Bindeglied zwischen diesen beiden Polen. Ein Haircut (1963) oder ein Blow Job (1964), aber auch ein natürlicher Vorgang wie Sleep oder eine urbane Ikone wie das Empire State Building bei Nacht (Empire) sind hervorgehoben aus den Zusammenhängen, die sich schnell zu Erzählungen fügen.

Im losen Verband der Factory bildeten sich die komplizierten Verhältnisse ab, unter denen im Kino künstlerische Urheberschaft geschaffen wurde: Warhol hatte ein Starsystem, und er drehte Filme, aber er war keiner, der alles bis ins kleinste Detail bestimmte, wie etwa Hitchcock. Er war ein Autor, insofern er Produzent war, um noch einmal David E. James zu bemühen.

Forschung am Anfang

Das filmische Werk von Warhol ist zu riesig und noch nicht einmal vollständig genug erschlossen, als dass ein Museum dazu schon eine autoritative Position entwickeln könnte. Das Andy-Warhol-Film- und -Diskussionsprogamm, mit dem das Mumok begleitend zur Ausstellung in den kommenden Wochen den Filmemacher thematisiert, ist auf eine angemessene Form eher ein Labor als ein Versuch einer Kanonisierung.

Weil viele Filme lange gar nicht zugänglich waren, steht auch die Forschung in vielerlei Hinsicht noch immer am Anfang. Lange Zeit hat man das Filmschaffen von Andy Warhol vor allem von dessen Ende her gesehen, also von dem Punkt, an dem unter der Ägide von Paul Morrissey orthodoxere Formen vorherrschend wurden und unter der Marke Warhol dann tatsächlich so etwas wie B-Movies entstanden (zum Beispiel Flesh).

Im Mumok kann man nun aber in bisher selten gekannter, ausschnitthafter Detailfülle die Schritte nachvollziehen, mit denen Warhol und Freunde um 1963 das Kino als eine technische Sprache entdeckten und wie sie es dann zu einem umfassenden Kunstmodell expandierten. (Bert Rebhandl, 17.10.2020)