Die Corona-Pandemie hat auch die Konzeption der Viennale schwieriger gestaltet: Festivaldirektorin Eva Sangiorgi hielt an einer physischen Ausgabe fest.

Foto: Alexi Pelekanos
Adam Ibourk
FilmFestivalViennale

Für Filmfestivals war das Jahr eine Zitterpartie, die meist mit Absagen endete. Im Herbst bewies das Filmfestival Venedig dann endlich, dass sich mit guter Organisation und der Disziplin der Zuschauer auch solche Großveranstaltungen sicher durchführen lassen. Die Viennale hat sich zusätzliche Kinos (Votiv, Filmcasino, Le Studio, Admiral und Blickle im 21er-Haus) dazugeholt, um ab 22. Oktober das Kinopublikum wieder mit neuen Filmen zu versorgen. Ein Gespräch mit Festivaldirektorin Eva Sangiorgi über eine Festivalausgabe unter besonderen Umständen und Sicherheitsvorkehrungen.

STANDARD: Wie garantiert die Viennale die Sicherheit ihrer Besucher?

Sangiorgi: Wir folgen einem klaren Protokoll für jede Veranstaltung. Natürlich befolgen wir die Regeln der Regierung, es gibt zugewiesene Plätze in alle Kinos mit Distanz zwischen den Besuchern. Masken sind auch während der Screenings obligatorisch.

STANDARD: Das war ja bisher nicht nötig.

Sangiorgi: Ja, das ist neu. Auch Ein- und Ausgänge sind voneinander getrennt. Im Gartenbaukino wird der Ticketschalter außerhalb des Kinos sein, damit die Menschen nicht in der Lobby anstehen müssen. Es wird nicht möglich sein, in der Lobby zu verweilen, dafür stellen wir draußen ein Regendach auf.

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STANDARD: Wird es Spezialveranstaltungen geben – die machen ja auch viel des Flairs eines Festivals aus?

Sangiorgi: Es wird leider keine Viennale-Zentrale geben. Gespräche in den Kinos werden aber stattfinden, manche davon virtuell, aber auch mit Gästen wie Gianfranco Rosi oder Abel Ferrara. Wir planen auch Podiumsgespräche, aber da hängt noch viel davon ab, wie die Situation in den Nachbarländern ist. Wir wollten etwa auch eine Diskussion zwischen Festivalleitern organisieren, um über die Zukunft der Präsentationsformen auf der einen sowie Filmproduktion und Filmförderung auf der anderen Seite zu sprechen – ausgehend von den Sorgen der heimischen Filmbranche.

STANDARD: Apropos Präsentationsformen: Gibt es verstärkten Austausch zwischen Festivals, schließlich müssen diese auch ihre Funktion neu überdenken?

Sangiorgi: Es gibt eine gewisse Solidarität, viel hängt jedoch davon ab, in welcher Liga man spielt. Die Viennale und die Berlinale verbindet etwa eine Art Freundschaft. Während des Lockdowns wurde natürlich viel über Onlinescreenings diskutiert. Meine Perspektive ist stark an das Festival gebunden, das heißt, ich versuche, die Kultur des Kinobesuchs zu erhalten und dem Wiener Publikum eine Exklusivität zu gewähren. Andere Festivals, die auf die Weltpremieren aus sind, um ihren Status nicht zu verlieren, spielen die Onlinestrategie viel aggressiver. Das war für mich keine Option.

STANDARD: Heißt das, dass sich die virtuelle Festivalvariante für die Branche, als Markt für Einkäufer, bewähren könnte – nicht aber als Forum und Diskussionsplattform?

Sangiorgi: Es gibt unterschiedliche Modelle für unterschiedliche Intentionen. Ich weiß natürlich, dass immer mehr Leute Kino in ihrer Wohnung konsumieren. Das ist nichts Schlechtes, ich habe als Kind selbst viel im Fernsehen oder auf Video gesehen. Entscheidend bleibt am Ende der Unterschied zwischen guten und schlechten Festivals. Die guten sind jene, die eine Auswahl treffen. Das ist auch der große Unterschied zwischen einer Streamingplattform wie Netflix und Mubi. Letztere macht sehr interessante Arbeit, indem sie eine detaillierte Wahrnehmung einer kleineren Anzahl an Filmen ermöglicht.

STANDARD: Viele wichtige Regisseure arbeiten inzwischen auch mit Netflix oder Apple. Besteht da nicht die Gefahr eines Braindrains und einer Spaltung der Filmlandschaft?

Sangiorgi: Ja, dieser Konflikt begleitet uns. Mit der langen Ungewissheit, was überhaupt möglich ist, wurde auch der Dialog mit Netflix komplizierter. Wir haben heuer keinen Netflix-Film im Programm, weil dort entschieden wurde, aus Sicherheitsgründen nicht auf Festivals zu gehen. In Venedig wurden allerdings Filme von Netflix und Amazon gekauft. Die Plattformen experimentieren selbst auch und versuchen, unterschiedliche Strategien für bestimmte Titel auszuprobieren, die eigentlich für eine VoD-Auswertung eingeplant waren.

Adam Ibourk

STANDARD: Nicht nur Blockbuster, auch Festivalfilme wurden ins nächste Jahr verschoben. Hat das die Auswahl erschwert?

Sangiorgi: Es gab das Loch, das Cannes hinterlassen hat – das Cannes-Label war auch keine große Hilfe. Auf Filme wie Wes Andersons The French Dispatch muss man noch immer warten. Es gibt heuer weniger Filme zu sehen, aber das heißt nicht, dass das Programm viel luftiger sein wird. Wir haben dafür mehr Wiederholungen.

STANDARD: Sie wiederholen besonders populäre Titel wie Thomas Vinterbergs "Druk", hat das nicht die Auswahl kleinerer Filme eingeschränkt?

Sangiorgi: Leider ist es nicht möglich gewesen, alles zu inkludieren, auch wegen der Wiederholungen! Es gab nicht genug Slots für alle Filme, die ich interessant gefunden hätte.

STANDARD: Sie eröffnen wieder mit dem Film einer Regisseurin, mit "Miss Marx" von Susanna Nicchiarelli. Wie stehen Sie eigentlich zu der Idee der Quote, die in Österreich bei der Vergabe von Filmförderungen diskutiert wird?

Sangiorgi: Es ist notwendig, Initiative zu zeigen. Quoten halte ich nicht für zufriedenstellend, nicht einmal für die betroffene Gruppe. Es ist allerdings ein Instrument, das zu regulieren hilft. Wichtig ist, weiter politischen Druck zu erzeugen, um das Bewusstsein für Ausschlussmechanismen zu stärken. Zu viele Regulierungen können gefährlich sein. Als Programmmacherin richte ich die Aufmerksamkeit auf die Filme und versuche, Sensibilität für Machtbalancen zu wahren – wenn man auf diese Weise eine Repräsentabilität erreicht, hat man einen guten Job gemacht. Eine allgemeine politische Antwort, ich weiß!

STANDARD: Das heißt: Ja, mit Einschränkung?

Sangiorgi: Ja und nein. Es muss eine Quote, eine Balance und ein proportionales Verhältnis geben, aber das System sollte für alle dieselben Möglichkeiten gewähren können.

STANDARD: Gustavo Beck, ein Festival-Consultant, der auch für die Viennale aktiv war, wird mittlerweile von 18 Frauen des Missbrauchs bezichtigt. Sie haben die Zusammenarbeit beendet. Ist sein Fall auch ein Symptom dafür, dass die vermeintliche Amikalität der Festivalbranche Machtmissbrauch begünstigt?

Sangiorgi: Es entsteht wohl leichter darüber Verwirrung, welches Verhalten man akzeptieren muss, um ein Teil dieser kleinen Familie zu werden. Das ist aber leider auf vielen Gebieten so, selbst in der akademischen Welt. Auf Festivals kann es leicht einmal informell zugehen. Für manche ist dann schwer einzusehen, wo die Grenzen liegen – es passiert auf einer anderen Ebene als bei Weinstein, aber eigentlich ist es gar nicht so viel anders. (Dominik Kamalzadeh, 16.10.2020)