Vergleichsweise einfache Übung: Der Auftakt des Skiweltcups steigt nahezu unter Laborbedingungen.

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Sölden – Die Bergriesen sind bereits in weiß gekleidet. Die Wälder noch in buntem Herbstgewand. Nach Prachtwetter gestern setzt nun Schneefall ein. Die Ötztaler Ache rauscht – den hiesigen politischen Verhältnissen entsprechend – türkis schimmernd dahin. Und die Corona-Ampel im Bezirk sprang am Donnerstagabend von Gelb auf Orange. Im Ort sind nahezu ausschließlich Fahrzeuge der oberen Mittelklasse unterwegs. Menschen begegnet man kaum. So soll es sein.

Auch da, wo in den vergangenen Jahren reges Treiben herrschte und der Feinschliff für die angesagtesten Partys erledigt wurde, tut sich nichts. Früher wurde hier, wenn am Wochenende der Kulminationspunkt erreicht war, die in einem aus Punsch, Bier und Schneematsch übersättigtem Gemisch abfeiernde Jugend von DJs beim Herumtorkeln durch die Nacht begleitet. Und manches Ohr wurde durch Konservenklänge etwa einer Helene Fischer (Atemlos!) bis an die Belastungsgrenze malträtiert.

Derzeit haben viele Lokale im Ort geschlossen, so auch das Fuchsloch.
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Der Lab-Truck liefert in Windeseile Covid-19-Befunde.
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Entspanntes Treiben

Klarerweise sind auch der Tanzschuppen Katapult oder die Bar Fuchsloch sowie viele Restaurants und Hotels (noch) geschlossen. Immerhin erinnern ein über die Hauptstraße gespanntes Transparent und herumjoggende oder Ball spielende Athleten an den Auftakt des Skiweltcups dieses Wochenende hier in Sölden. Und ein in einen Truck gepacktes rollendes Covid-19-Testlabor aktiviert Gedanken an die Pandemie.

Das unter den Voraussetzungen durchaus heikle Anheizen der anstehenden Saison muss heuer praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit bewerkstelligt werden. Lediglich an die 200 spezielle Gäste sind geladen und werden die Riesentorläufe am Rettenbachferner-Gletscher vor Ort mitverfolgen. Die natürlich auch heuer im TV übertragenen Rennen sollen einerseits essenzielle Einnahmen in die nationalen Verbandskassen spülen und andererseits bei den Zuschauern rechtzeitig Lust aufs Skifahren generieren und so Buchungen initiieren. Früher klappte das hervorragend. Heuer ist vieles anders.

Vier Blasen, kein Halligalli

Die Voraussetzungen für Skirennen einerseits und Wintertourismus andererseits haben sich verändert. Werden die am Weltcup beteiligten und mit negativem Befund erschienen Personen in vier Blasen aufgeteilt, die möglichst keinen Kontakt untereinander und schon gar nicht mit Touristen haben sollen, so setzt man beim Tourismus auf die herkömmlichen Vorsichtsmaßnahmen. Heißt: MNS-Maske auf und mindestens einen Meter Abstand halten. Heißt aber auch entgegen den Vorstellungen der Regierung: Après Ski, ja! Allerdings statt hemmungslosem Halligalli mit knarzenden Disco-Rhythmen an der Schirmbar, stilvolles Chillen in der Lounge mit Service und dezenter Hintergrundbeschallung. Die bisherige durch Après Ski erzielte Wertschöpfung von lediglich rund drei Prozent des Tiroler Wintersportkuchens wird sich auch so annähernd erzielen lassen. Wenn nicht, wäre zumindest das wohl auch kein Drama.

Luftige Gondeln

Auch für den Liftbetrieb gibt es einen Plan. Abstand halten und Maske tragen an den Kassen und vor dem Lift. Jakob Falkner, Geschäftsführer der Söldener Bergbahnen und OK-Chef der Rennen, dazu: "Das ist das Einmaleins. So werden es alle machen." Darüber hinaus gebe es von Skigebiet zu Skigebiet verschiedene Maßnahmen, zum Beispiel Desinfektion der Kabinen mittels Kaltvernebelung.

Weil es derzeit keine Verpflichtung gibt, die Personenzahl in Gondeln zu reduzieren, sollen etwa in 6er-Bahnen auch bis zu sechs Personen befördert werden, unter Auflagen ähnlich wie in öffentlichen Verkehrsmitteln. Falkner sieht darin kein Problem, weil man über die "weltweit leistungsstärksten Zubringerbahnen" verfüge, die mit "enormer Förderleistung" bei einer Fahrzeit von nur sechs bis sieben Minuten die Leute auf den Berg bringen und so keine gefährlichen Wartezeiten entstehen sollen.

Empfohlen wird, die Gondeln bei der Bergfahrt zu lüften. Bei der Talfahrt werden die Türen überhaupt zwecks Durchlüftung offengelassen. Von Kaltvernebelung zur Abtötung der Viren hält der 63-Jährige wenig. "Das ist wohl mehr Kosmetik, als es Nutzen bringt", sagt Falkner, der sich Sorgen um die Wintersaison macht: "Im Moment schaut es eher nach Nichts aus. Deutschland und Holland lassen grüßen." Die alles entscheidende Frage für ihn ist: "Wie kriegen wir die Zahlen runter, damit wir den Wintertourismus halbwegs retten?"

Brisantes Wirtschaften

Tendenziell ist heuer wohl nicht mit großen Touristenströmen zu rechnen. Magdalena Gurschler, die mit ihrem Mann den Familienbetrieb Haus Ulrich schupft, hat wie viele andere Beherbergungsunternehmer und Gastronomen ernste Sorgen. 80 Prozent der Besucher sind Stammgäste, sie kommen hauptsächlich aus Deutschland. 60 Prozent davon haben aber bereits storniert. Meist aus Sorge um ihren Job, der real oder nur nach Ansicht mancher Dienstgeber nicht mit Quarantänemaßnahmen einhergeht. "Es gibt zwei Möglichkeiten", sagt Gurschler, "entweder immer jammern, oder hoffen, dass es irgendwann wieder besser wird." Das Hauptproblem sei aber, dass viele ihre Arbeit verlieren. "Das hat Auswirkungen auf Jahre."

Sölden lebt nahezu ausschließlich vom Wintertourismus. Und das unter normalen Umständen nicht schlecht. "Positiv ist", sagt Gurschler, "dass wir so viele gute Jahre hatten und dass wir unser Haus nur langsam über die Jahre renoviert und uns nicht übernommen haben." Schockierend aber sei, dass nun die Unbeschwertheit weg ist. Hat sie sich früher wegen der "Lappalie" einiger leerer Zimmer Gedanken gemacht, so hänge nun der komplette Winter in der Luft. "Die Wertigkeit hat sich komplett geändert."

Nach dem Lockdown ist das Haus Ulrich über die Runden gekommen. Für gesunde Unternehmen ohne Auffälligkeiten beim Finanzamt habe es seit dem Lockdown Unterstützung gegeben, erklärt Gurschler. Etwa den Härtefallbonus, Welcome-Back-Bonus, Fixkostenzuschuss und Steuerermäßigung. "Wir wurden nicht im Stich gelassen."

Fragezeichen hinter vorverlegter Sperrstunde

Nachdenklich stimmt Gurschler, dass Tirol neben Wien, Nieder-, und Oberösterreich eines der am stärksten betroffenen Bundesländer ist. Und das, obwohl die Sperrstunde bereits vor drei Wochen auf 22 Uhr vorverlegt wurde. "Gebracht hat es bislang eher wenig", sagt sie. In ihrer Unterkunft nächtigen und arbeiten auf Grund des Weltcupauftakts aktuell nur Personen, die einen negativen Covid-19-Befund vorweisen konnten. Gurschler findet, man solle "Gesunde arbeiten und ihnen ihre Freiheiten lassen. Ältere und jene, die Angst haben, hingegen gut schützen." (Thomas Hirner, 16.10.2020)