Kurt Prödel, Susi Bumms und Dax Werner sind die unerwartetste Deutschrockband, seit es das Internet gibt. Ihr Album "2 Millionen Umsatz mit einer einfachen Idee" ist chartstauglich.

Foto: Frederike Wetzels

Die Gretchenfrage des Digital-Content-Creators lautet: "Wie halten wir uns selbst aus?" Finanziell gemeint. Denn Menschen, die Dinge im Internet machen, haben zwar oftmals gewaltige Follower-Zahlen, aber keine Produkte, die sie ihren Fans verkaufen könnten. Soziale Medien selbst verhindern stark, dass User ihre geteilten Inhalte monetarisieren können. Gleichzeitig befördern sie aber auch gewisse Kunstformen, die so nur auf, in und mit ihnen möglich sind. Bestes Beispiel ist die Autorin Stefanie Sargnagel, deren Literatur zumindest anfänglich stark mit den Mechanismen von Facebook selbst verknüpft war: The medium is (zumindest auch) the message.

Um aber ein Einkommen zu generieren, musste sie mit ihrer Kunst wieder den analogen Umweg über den Literaturbetrieb gehen. Sie brauchte also ein Produkt, ein Buch, um Geld zu verdienen.

Die drei Mitglieder von The Screenshots hatten ein ähnliches Problem, für das sie allerdings eine andere, weitaus fernliegendere Lösung fanden: Sie veröffentlichten ihre Status-Updates nicht als Buch, sondern gründeten 2018 eine Band.

The Screenshots

Die Kunstfiguren Dax Werner, Kurt Prödel und Susi Bumms sind seit Jahren auf Twitter aktiv, wo sie zusammen auf 70.000 Follower kommen. Dax Werner mimte dort die längste Zeit einen völlig überzeichneten Start-up-Guru, außerdem schreibt er die Kolumne "Meditation und Markt" für das Satiremagazin Titanic.

Dazwischen äußert er sich aber auch ernsthaft zu gesellschaftspolitischen Themen wie dem Flüchtlingselend im griechischen Moria. Kurt Prödel drehte neben seinem Twitter-Dasein Videos für Cloudrapper in Vaporwave-Ästhetik, als diese bereits längst als uncool galt. Susi Bumms betreibt eine Website, die an die Anfänge des Internets erinnert, mit Gästebuch und Besucherzähler.

Jan Böhmermann ist Fan

Alle drei arbeiten sich an skurrilen Internetphänomenen ab und werden dabei selbst zu einem, womit sie auf Twitter eine ganz eigene, seltsame Bubble bedienen. Die ist zwar nicht riesig, aber auch Leute wie Jan Böhmermann holen sich dort gern Inspiration. Der Satiriker ließ die Screenshots kurz nach deren Gründung in seiner Sendung Neo Magazin Royale auftreten, wo er sie als "erste Cloud-Rock-Band" ankündigte, was natürlich nicht der passende Begriff für ihre Musik ist, aber angenehm nach Internet klingt.

Damals war die Band noch um die Wahrung der Anonymität bemüht, man erkannte sie bei dem Konzert nicht. Zwei Jahre später und mit dem Erscheinen ihres Albums 2 Millionen Umsatz mit einer einfachen Idee hat die Band ihre Strategie gewechselt: Jetzt gibt es Gesichter zu den Twitter-Granden, sie wollen Konzerte spielen und in die Charts kommen – behaupten sie zumindest.

The Screenshots

Anfänglich hatte man bei The Screenshots das Gefühl, dass die Band vor allem deswegen gegründet wurde, um nach dem Motto Subversion durch Affirmation eine Monetarisierungsmöglichkeit für ihren Twitter-Content zu finden, die so absurd ist, dass sie gleichzeitig nur als Kritik daran gelesen werden kann. Denn bitte wer gründet 2018 eine Deutschrockband? Rock gilt unter den Jungen als totes Genre. Gitarre, Bass, Schlagzeug – das will wirklich niemand hören. Oder doch?

Genial banal

Die Screenshots vielleicht schon. Seit der Gründung haben sie etwas genial Banales an sich, das auch Menschen begeistert, die von der Genese der Band keine Ahnung haben, sich aber nichts sehnlicher wünschen als eine zeitgeistige Version der Sportfreunde Stiller. Gerade verlassen sie ihre Twitter-Bubble, werden von der Meta-Band zu einer echten. Was ursprünglich eine Art Kunstprojekt war, vielleicht sogar ein Insiderwitz, hat eine Eigendynamik entwickelt.

The Screenshots

2 Millionen Umsatz mit einer einfachen Idee hat zwischen den ganzen absichtlich gesetzten Plattitüden großartige textliche Momente. Wenn Susi Bumms in John Mayer singt "Dass jeder nur so viel aufbekommt, wie er tragen kann / ist wirklich die größte Scheiße, die man sagen kann", ist das einfach auf dem Punkt. Wenn Dax Werner in Träume mit den Sätzen "Powerranger-Mindset, Brain wie Elon Musk / wenn du einmal hinfällst, stehst du wieder auf" einsteigt und damit die ganze Lächerlichkeit der selbsternannten CEOs und Entrepreneurs zusammenfasst, ist das schon richtig gut.

Ein Youtube-Kommentator rezensiert folgerichtig: "Wieder extrem stark gearbeitet! So kann [es] werden mit den Quartalszielen!" (Amira Ben Saoud, 16.10.2020)