Stars and Stripes. Am 3. November wird in den USA gewählt.
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Wird Trump wiedergewählt, oder zieht der Demokrat Joe Biden in das Weiße Haus ein? Europa blickt gespannt auf die Wahlen in den USA.

STANDARD: Diese US-Wahl gilt als Schicksalswahl für die Vereinigten Staaten. Ist sie es auch für Europa?

Erlanger: Ja. Der Präsident der USA ist immer auch eine Führungsfigur für den gesamten Westen. Donald Trump hat klar gezeigt, dass er die Europäer als Rivalen und Konkurrenten begreift, weniger als Verbündete. Biden wiederum ist ein Transatlantiker der alten Schule. Er versteht, dass die USA mit einem Netz an Verbündeten stärker sind. Vor allem mit Blick auf den ökonomischen Aufstieg Asiens.

STANDARD: Wie hat sich die europäische Sicht auf die USA nach vier Trump-Jahren verändert?

Erlanger: Erst einmal: Die ganze Welt hat sich verändert, und das ist nicht Trumps Schuld. Die Migrationskrise, die aggressive Außenpolitik Russlands, das Auseinanderdriften der EU, diese ganzen europäischen Krisen haben nichts mit ihm zu tun. Europa betrachtet eine mögliche Präsidentschaft Joe Bidens als eine Art vertrauten Pfad zurück in die Vergangenheit. Trump stieg aus zahllosen internationalen Organisationen und Verträgen aus. Das ist ein massiver Traditionsbruch für die USA. Und wenn Biden gewählt wird, kehrt er diese Entscheidungen vielleicht wieder um. Aber er ist alt und wird wohl ein One-Term-President bleiben. Wer weiß, wer dann kommt.

STANDARD: Die Europäer sollten sich jedenfalls weiter emanzipieren?

Erlanger: Natürlich. Und der Prozess zum Beispiel zu einer gemeinsamen europäischen Verteidigungskultur ist ja im Gange. Wobei es oft so scheint, als wäre der französische Präsident Emmanuel Macron hier ein einsamer Vorkämpfer. Sollte der Demokrat Joe Biden gewinnen, sehe ich die Gefahr, dass man in Europa sagt: "Vergesst das mit der Eigenständigkeit wieder." Macron muss sich in dieser Hinsicht fast wünschen, dass Trump wiedergewählt wird. In Europa wird aber auch oft vergessen, dass die USA eine pazifische Macht sind. Und jeder Präsident seit Harry S. Truman (1945 bis 1953, Anm.) hat die Europäer aufgefordert, mehr Geld für die eigene Verteidigung aufzuwenden.

STANDARD: Wie würden sich vier weitere Trump-Jahre Ihrer Meinung nach auf Europa auswirken?

Erlanger: Es gibt ein russisches Sprichwort, das in etwa lautet: Das weiß nur der Teufel. Ich glaube, das weiß nicht einmal Trump selbst. Es gibt ja keine Strategie, die er fortsetzen könnte. Jeder, der bei Trump nach einer Strategie sucht, ist ein Idiot. Sie existiert nicht. Die einzige Konstante ist seine Skepsis und sein aggressives Vorgehen.

STANDARD: Trump hat offengelassen, ob er das Ergebnis der US-Wahlen auch akzeptiert. Sind Sie besorgt?

Erlanger: Ja, bin ich. Vor vier Jahren hat Donald Trump schon die Wahlen, die er gewonnen hat, als gefälscht bezeichnet. Was macht er erst, wenn er verliert? Ich bin auch deshalb besorgt, weil die Republikaner offensichtlich versuchen, das Wählen gezielt zu erschweren. Eine geringe Wahlbeteiligung nützt ihnen. Und wenn das Ergebnis knapp ist, besteht natürlich die Gefahr, dass das Weiße Haus auf Nachzählungen in den Schlüsselstaaten besteht. Keine Wahl ist perfekt, kleinere Unregelmäßigkeiten gibt es immer. Jedenfalls endet die Präsidentschaft laut Verfassung mit dem 21. Jänner. Und ich hoffe, dass Trump dann Geschichte ist. Wetten würde ich darauf aber nicht. (Manuela Honsig-Erlenburg, 16.10.2020)