Eine Saufgaudi alleine vor dem Computer, ein wenig Umtata über die Lautsprecherboxen im Eigenheim: Kommenden Samstag geht die Wiener Wiesn Corona-bedingt erstmals nur online über die Bühne und heißt daher "Wiesn dahoam". Die Sängerin Jazz Gitti wird dafür erstmals ohne Live-Publikum auftreten. Im Schweizerhaus des Wiener Praters erzählt sie, wie fad ihr während des Lockdowns war – und von Auftritten im Gemeindebau.

TÄGLICH will Jazz Gitti nimmer auftreten. Montag ist frei, Mittwoch die Wäsche dran – der Rest der Woche gehört den Fans.
Foto: Heribert Corn/www.corn.at

STANDARD: Frau Gitti, eines Ihrer Alben heißt "Nimm’s leicht" ...

Jazz Gitti: (lacht) ... nimm mich! Aber das ist schon lange her. (zum Kellner) Fräulein Oberin! Ich hätt gerne zwei Kartoffelpuffer, keinen Knoblauch bitte, da krieg ich Sodbrennen. Was war die Frage?

STANDARD: Wie schwer fällt es Ihnen, die sogenannte Krise leichtzunehmen?

Jazz Gitti: Ah so, naja, leicht fällt es mir nicht, weil es geht nicht nur ums Finanzielle und Gesundheitliche, ich bin ja Diabetikerin und hab fünf Stent. Es geht um den Spaß. Ich geh so gern auf die Bühne, ich schieß Energie auf die Leut, aber ich krieg auch irrsinnig viel Energie zurück. Und jetzt? Langweilig ist es, ich schau mit dem Ofenrohr ins Gebirge. Das ist eine vergeudete Zeit, wo ich nicht auftreten kann. Die Zeit rennt ja so schnell dahin, jetzt war grad Sunndoch, und jetzt ist schon wieder Mittwoch. Und was hab ich gemacht? Nix. Also net das, was ich will. Wü i di treffen für das Interview? Jo, schon, weil du muasst a von was leben …

STANDARD: Danke.

Jazz Gitti: Eine Hand wäscht die andere und Teile des Gesichts. Aber wenn ich immer nur wasche, dann ist das auf Jiddisch gesagt "A Sach Meloches ohne Broches", vastehst? "Vü Arbeit, ka Göd." Ich mein, ich will für mein Tun honoriert werden, sonst werd i zwieda.

STANDARD: Und wie sind Sie, wenn Sie "zwieda" sind?

Jazz Gitti: Na, zwieda!

STANDARD: Sie würden am liebsten jeden Tag auftreten?

Jazz Gitti: Na, jeden Tag a net, das wär mir zvül. Aber Donnerstag, Freitag, Samstag, Sonntag auftreten, Montag und Dienstag frei. Am Mittwoch tu ich dann Wäsch’ wasch’n. Ich hab immer gesagt: Ich spiel, wo sie mich zahlen können, außer für die FPÖ. Und die haben mir schon viel Geld angeboten! Aber horch zua: Wenn es nicht Leute gegeben hätte mit so einer Gesinnung, was manche von denen haben, dann hätte ich vielleicht eine Chance gehabt auf meine jüdische Großmutter … Owa jetzt haben sie eh endlich an Weisl kriegt, hallelujah!

STANDARD: Dann sind Sie zufrieden mit dem Ausgang der Wien-Wahl?

Jazz Gitti: Schau, ich bin eine Rote, das stimmt, weil ich lebe meinen Sozialismus. Ich hab immer geteilt, immer geschaut, dass ich niemandem zur Last falle. Man hat mir ein paar Mal angeboten, in die Politik zu gehen, aber ich bin österreichweit eine beliebte Person, also warum soll ich mich unbeliebt machen?

STANDARD: Zu Ihren Konzerten kommen viele sogenannte kleine Leute …

Jazz Gitti: … die ein menschenwürdiges und abgesichertes Leben haben wollen, net, dass du dein ganzes Leben arbeitest, und im Alter sitzt auf der Straße. Ich hab ja gespielt im Gemeindebau, und ich hab gesehen, wie die Leute dann zur FPÖ gegangen sind wegen zum Beispiel dem Gusenbauer, weil der nur noch Rotwein g’soffn und sich nicht um die Leute gekümmert hat.

Foto: Heribert Corn/www.corn.at

STANDARD: Nun werden Sie am Samstag auf der Wiener Wiesn auftreten, die heuer aber nur online stattfindet. Wie bereiten Sie sich vor?

Jazz Gitti: Was soll i mi vorbereiten? Das Liadl kann i eh! Das sing ich, und dann geh ich wieder, weil die anderen wollen ja auch singen.

STANDARD: Stimmung wird keine aufkommen?

Jazz Gitti: Wie soll ich eine Stimmung machen, wenn keiner da ist? Aber horch, ich hab mir überlegt, weil ich positiv denke, vielleicht schaun da zwei drei Leut zu, die daham vorm Computer a Bier sauf’n und dabei meine Fans werden.

STANDARD: Sie trinken kein Bier?

Jazz Gitti: Mir schmeckt’s net. Aber ich hab’s gern verkauft und gezapft, das kann ich gut! Sogar in Israel, wie ich war, hab ich dort mit meinem Schmäh im Service viel Geld verdient, ich glaub, ich war diejenige, die in Israel eingeführt hat, dass man Trinkgeld gibt ... (lacht)

STANDARD: Später haben Sie auch im Alt Wien gekellnert, wo der Qualtinger immer herumgeknotzt ist.

Jazz Gitti: Aber der war ein sehr unangenehmer Gast. Ich schätze seine künstlerische Tätigkeit sehr, aber als Gast war der nix, und die alte Chefin hat sich immer ang’schiss’n, wenn der gekommen ist. Sehr ungustiös, der Qualtinger, aber mit den anderen war immer sehr viel Spaß im Gastgewerbe, bis ich pleitegegangen bin. Weißt eh, wennst jung bist, ist alles wurscht, da glaubst, du bist unzerstörbar. Heute bin ich abgeklärter, an manchen Tagen bin sogar sehr traurig, manche täten vielleicht sagen, ich hab eine Depression. Aber dann telefonier ich mit meiner steirischen Freundin, die ist immer gut drauf.

STANDARD: Mit der können Sie ehrlich reden?

Jazz Gitti: Der kann ich vertrauen. Weil wennst einen Berühmtheitsgrad hast, da wollen die Leute net hören, dass du Probleme hast, was mir eigentlich a wieder wurscht ist.

STANDARD: Sie haben sich entschieden, eine Ulknudel zu sein …

Jazz Gitti: Was ist eine Ulknudel? Ich hasse diesen Ausdruck! Ich bin ein positiver Mensch, der gerne Leute unterhält, da brauch ich mich für nichts entscheiden.

STANDARD: Ihre Mutter ist früh verstorben. Den Schmäh aber konnte sie Ihnen noch vermitteln?

Jazz Gitti: Ich war 13, da ist sie ins Spital gekommen. Wie ich 14 war, ist sie gestorben. Ich mag keinen Friedhof seither, ich kann schwer mit Verlust umgehen. Sie fehlt mir, ich denk jeden Tag an sie. Sie hat mir ein paar Sprüche mitgegeben, an die halt ich mich: "Schau, Gittl, du kannst machen, was du willst, aber lass dich net erwischen." Oder: "Sag denen Menschen die Wahrheit, sie glauben’s eh net." Sie war lustig und eine tüchtige Geschäftsfrau, das bin ich leider nicht.

STANDARD: Sie hat einen Konsum geführt hier im zweiten Bezirk?

Jazz Gitti: Einen USIA-Konsum, der war von den Russen. Sie war ja Kommunistin, ist am 1. Mai über die Reichsbruckn maschiert. Und am Vorgartenmarkt hat sie ein Lebensmittelgeschäft gehabt, dort haben nach dem Krieg die Nazis eingekauft, und der Nachbar hat zu ihr gesagt: "Hearst, Frieda, denen kannst doch nix verkaufen!" Und sie hat zu ihm gesagt: "Soll ich’s Ihnen schenken?" Sie hat auch immer gesagt: "Ich scheiß auf alle Religionen, die haben mir nie geholfen. Ich will leben!"

STANDARD: Haben Sie selbst ein Lieblingslied von der Jazz Gitti?

Jazz Gitti: Na, mir taug’n alle. Aber eins geht so: "Es gibt so vü Trotteln auf da Wöld", das lieben die Leute, und warum? Weils wahr ist! So, jetzt hab ich einen Hunger gekriegt. Fräulein Oberin, was habt’s für Supp’n? (Manfred Rebhandl, 16.10.2020)

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