Der Bund reitet mit seiner Staatsbahn voran – sehr zum Missfallen einiger Bundesländer.

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Wien – Im öffentlichen Nah- und Regionalverkehr kommt die Regierung mit der Einführung des 1-2-3-Tickets einer Überförderung schon recht nahe. Denn ein Teil der Öffi-Fahrer bekommt allein mit der Einführung der Dreierstufe des 1-2-3-Tickets eine kräftige Preissenkung, die mit der unverändert gebliebenen Pendlerpauschale noch einmal kräftig aufgestockt wird. Sie profitieren also doppelt, denn die den Autoverkehr im Speckgürtel fördernde Pendlerpauschale wird vorerst nicht reformiert.

Rechnet man die Grundfinanzierung des Öffi-Verkehrs durch den Bund und dessen Milliarden für den Bahnausbau noch dazu – bis 2026 investiert die ÖBB in den Ausbau des Schienennetzes rund 17 Milliarden Euro zuzüglich zu den bereits rund 25 Milliarden an Finanzverbindlichkeiten –, trägt der Steuerzahler im Namen des Klimaschutzes längst den Großteil der anfallenden Kosten.

Leistung kostet

Und selbige werden exponentiell steigen (müssen), denn ohne massive Ausweitung des Leistungsangebots, also Zug- und Busverbindungen im angestrebten integrierten Taktfahrplan, bliebe das ausgebaute Schienennetz unterausgelastet, und von den gepriesenen Investitionen (samt den Schuldenbergen) blieben massenhaft "stranded costs", die über die nächsten Jahrzehnte abzuzahlen sind.

Länder auf der Bremse

Auch deshalb stehen Flächenbundesländer wie Niederösterreich, Oberösterreich, das Burgenland und die Steiermark auf der Bremse. Denn sie müssen mit der – eigentlich so nie geplanten – singulären Einführung der Dreierstufe des 1-2-3-Tickets um 1095 Euro pro Person und Jahr kräftige Einnahmenverluste hinnehmen, denn schon auf der gut ausgebauten Südbahnstrecke Wiener Neustadt–Wien erspart sich der Fahrgast an die 500 Euro pro Jahr, das ist ein Drittel des bisherigen Zeitkartenpreises (inklusive Kernzone Wien).

Für die in Angriff genommene Ausweitung des Öffi-Pendlerverkehrs inklusive 2er-Stufe (für zwei Bundesländer) und 1er-Stufe für ein Bundesland müssen die Länder aber immer tiefer in die Tasche greifen. Da werden die 95 Millionen Euro, die das Verkehrsministerium zur Abgeltung der Einnahmenausfälle im Jahr 2021 budgetiert hat, auf Dauer nicht reichen.

Für die "Early Birds", also Vorarlberg, Tirol und allenfalls Oberösterreich, findet man mit den angekündigten 245 Millionen Euro bis Ende 2022 möglicherweise das Auslangen. Aber mit Sicherheit nicht für den Pendler-Hotspot Ostregion und die Steiermark, die im Vollausbau des 1-2-3-Tickets 2023/24 dazustoßen sollen.

Indexierung gefordert

Wenig überraschend fordern die Verkehrs- und Finanzlandesräte seit Wochen eine Indexierung des 1-2-3-Tarifs. Was Flatrate heißt, spüren die Wiener Linien Jahr für Jahr: U- und Straßenbahnnetz werden laufend erweitert, aber der Tarif der Jahreskarte um 365 Euro ist seit bald einem Jahrzehnt eingefroren. Mit 870.000 Jahreskartennutzern (inklusive Pensionisten) scheint in Wien ein gewisser Sättigungsgrad erreicht, die Einnahmen durch Neukunden steigen nicht mehr im gleichen Ausmaß wie die Aufwendungen.

Die Fläche mit Öffi-Taktverkehr so zu versorgen wie städtische Ballungsräume halten Verkehrsplaner überhaupt für illusorisch und unbezahlbar. Geisterzüge und -busse könne sich auf Dauer niemand leisten, sagt ein mit der Materie Verkehrsplanung vertrauter Zivilingenieur. Das sei schlicht unbezahlbar, zumal ein Großteil des bestehenden Öffi-Verkehrs aus Schüler- und Lehrlingsbussen und -zügen besteht.

Finanzielles Gesamtkonzept

Dass die heute, Freitag, versammelten Finanzlandesräte ein finanzielles Gesamtkonzept für alle Stufen des 1-2-3-Tickets fordern, darf also nicht verwundern. Schließlich hat sich die türkis-grüne Koalition nichts Geringeres vorgenommen, als die föderale und somit völlig intransparente Öffi-Finanzierung aus Bund, Ländern, Kommunen und Familienlastenausgleichsfonds neu aufzustellen. Diese wird selbst von Auskennern als "Blackbox" bezeichnet.

Wohin die Reise nach dem Wunsch der Ländervertreter geht, ist klar: "eine maßgebende Rolle des Bundes bei der Finanzierung der Angebotsausweitung", wie es im Antrag der Verkehrslandesräte an Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) so schön verklausuliert heißt, sozusagen Finanzausgleich durch die Hintertür.

Dagegen ist der Disput um die argwöhnisch betrachtete Zentralisierung des 1-2-3-Ticketvertriebs bei Bund und ÖBB schon fast ein winzig kleines Problem. (Luise Ungerboeck, 16.10.2020)