Warhols legendäre "Silver Clouds" schweben jetzt im Mumok durch die Luft.
Foto: Klaus Pichler / Mumok

Dass Andy Warhol mehr war als die bunte Pop-Art-Ikone der 1970er-Jahre, demonstriert der aktuelle Schwerpunkt im Mumok. Ob Warhol nun "Ausstellungskünstler, Installationskünstler oder doch verkappter Kurator" war, fragen sich alle drei Ausstellungen, die das Werk in seiner Diversität und medialen Vielfalt präsentieren. Er überraschte mit Rauminstallationen und neuen Ausstellungsformaten. Defrosting the Icebox bezieht sich auf eine der frühesten von einem Künstler kuratierten Sammlungsschauen. Die Kuratorin Marianne Dobner möchte somit neue Facetten eines Künstlers zeigen, den jeder zu kennen glaubt.

Kuratorin Dobner: "Man kann sich gar nicht vorstellen, was Warhol alles mit heutigen Social-Media-Kanälen angestellt hätte."
Foto: Klaus Pichler / Mumok

STANDARD: 1966 ließ Andy Warhol in der Leo Castelli Gallery in New York silberne Kissendurch die Luft schweben und tapezierte einen Raum mit pink-gelben Kuhmotiven – wie reagierten die Menschen damals darauf?

Dobner: Die Reaktionen waren gemischt – für Besucher war die Schau sehr anziehend, für den Kunstmarkt eher schwierig. Zwei Jahre zuvor feierte Warhol mit seiner Flowers-Show bei Castelli einen Riesenerfolg. Bei der zweiten Show tat Warhol genau das Gegenteil, eine nahezu unverkäufliche Ausstellung. Es war seine erste große Installation, die sehr viel Publicity bekam.

STANDARD: Die "Cow Wallpaper"- und die "Silver Clouds"-Installation kann man jetzt in der Schau "Andy Warhol exhibits a glittering alternative" erleben. Was war das Besondere an Warhols Ausstellungspraxis?

Dobner: Er hat sehr viele Medienformate miteinander verbunden. Er dachte früh über den Raum an sich nach und darüber, wie er seine eigene Kunst dort präsentiert sehen möchte. Das wurde auch für zeitgenössische Künstler immer wichtiger. Heute spricht man vom Künstler-Kurator. Das hat Warhol ins Rollen gebracht.

STANDARD: War er der Erste?

Dobner: Nein, damit haben die Minimalisten schon in den 60er-Jahren begonnen, aber Warhol hat früh damit gespielt. Der Raum wurde Teil seiner Kunst, er überschritt Genregrenzen und löste die Hierarchien zwischen den einzelnen Medien auf.

Immer wieder neu: Mal war Warhols Kuhtapete eigenständiges Kunstwerk, dann wieder Hintergrundtapete. Wie 1966 können die pink-gelben Tiermotive jetzt im Mumok als Rauminstallation erlebt werden.
Foto: Klaus Pichler / Mumok

STANDARD: In knapp 35 Jahren gestaltete Andy Warhol über 200 Einzelausstellungen. Kann man diese als Teil seines Werks begreifen, oder waren sie eher künstlerisches Medium?

Dobner: Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube aber, dass er das mehr als Medium verstanden hat. Sein Medienbegriff war immer prozessual angelegt. Er passte seine Kunst der Umgebung an, in der er gearbeitet hat. Es gab nie ein Endprodukt. Seine Kuhtapete setzte er beispielsweise immer wieder auf neue Art ein – mal als Hintergrundtapete, mal als eigenständiges Kunstwerk.

STANDARD: Warhol nutzte den Raum, um zu überraschen, zu überfordern und zu unterhalten. Beispielsweise hängte er seine "Kinderbilder" extratief. Welche Rolle spielt Raum bei ihm?

Dobner: Eine unfassbar wichtige. Er hat aber stark zwischen kommerziellem Galerie- und edukativem Museumsraum unterschieden. Als er beispielsweise die Kinderbilder in der Galerie Bruno Bischofberger zeigte, verlangte er von allen Erwachsenen Eintritt, die ohne Begleitung von Kindern unter sechs Jahren kamen. Oder er installierte seine Suppendosen und Box Sculptures wie in einem Supermarkt bzw. Warenhaus. Neutral blieben seine Räume nie.

STANDARD: Bei der Inszenierung seiner Ausstellungen – und seiner Person – überließ er wenig dem Zufall. Konnte er dadurch steuern, wie die Werke beim Publikum ankamen?

Dobner: Die Resonanz konnte er weniger gut beeinflussen. Wichtiger war ihm diese Doppelgleisigkeit: Einerseits produzierte er für den Kunstmarkt, begann andererseits aber Experimentalfilme und Mitte der 70er-Jahre wieder ernsthaft Kunst zu machen. Am liebsten hätte er wohl alle Medien bedient, die es da draußen gab. Man kann sich gar nicht vorstellen, was er alles mit heutigen Social-Media-Kanälen angestellt hätte.

Musik, Video, Tanz: Mit seinem Multimediaspaktakel "Exploding Plastic Inevitable" provozierte Warhol mit der Gleichzeitigkeit multipler Medien die Überforderung des Publikums. Im Mumok gibt es jetzt eine Rekreation.
Foto: Klaus Pichler / Mumok

STANDARD: Mit "Raid the Icebox 1" gestaltete Warhol 1969/70 eine Ausstellung aus Objekten des Museum of Art der Rhode Island School of Design. Das Mumok präsentiert in "Defrosting the Icebox" Artefakte aus dem KHM und dem Weltmuseum in seinem Stil. War es klar, diese Methode in den Schwerpunkt zu integrieren?

Dobner: Ja, von Anfang an. Die ursprüngliche Idee war aber, die Ausstellung von 1969 zu rekreieren. Davon kamen wir wieder ab, weil man heikle Artefakte heute nicht mehr so zeigen kann. Heute haben wir ein anderes Verständnis von Wertigkeit, Erhalt und Aufbewahrung: Alles ist gut klimatisiert, von Vitrinen geschützt oder – wenn notwendig – abgesperrt. So wie auch Warhol damals stellen wir die Objekte so aus, wie wir sie in den Sammlungsdepots vorgefunden habe – und das ist heute um einiges geordneter als damals.

STANDARD: Auf dieses frühe Beispiel geht auch ein Ausstellungsformat zurück, dessen sich das Mumok öfter bedient. Beispielsweise 2017 bei "Oh ... Jakob Lena Knebl und die mumok Sammlung". Welche Vorteile hat es, wenn Künstler selbst Sammlungen kuratieren?

Dobner: Sie können anderen – oder auch keinen – Regeln folgen. Kuratoren haben da oft eine sehr klassische Vorstellung, wie Werke gezeigt werden sollen. Künstler haben die Freiheit, nach komplett anderen Kriterien vorzugehen. Sie bringen frischen Wind rein. Jakob Lena Knebl hat zum Beispiel einer Giacometti-Skulptur ein Jäckchen angezogen. Als Kurator würde man da gelyncht werden!

STANDARD: Ist Warhol nun "Ausstellungskünstler, Installationskünstler oder doch verkappter Kurator"?

Dobner: Das bleibt offen – er ist ein Hybrid. Man hat schon so viel von ihm gesehen. Der aktuelle Schwerpunkt zeigt die Überschneidung aller Genres und macht neue Facetten sichtbar. Die meisten Leute glauben, sie wissen bereits alles über Warhol. Jetzt können sie sich überraschen lassen. (Katharina Rustler, 16.10.2020)