Foto: Baldur's Gate 3
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In anderen Rollenspielen tappt man zu Beginn als schlecht bezahlter Kammerjäger auf Rattenjagd durch Anfänger-Dungeons, in Baldur's Gate 3 geht es sofort zur Sache: An Bord eines fliegenden Tentakelluftschiffs aufgewacht, bekommt man es sofort mit mächtigen Monstern zu tun, riesige Flugdrachen greifen an, ein Dimensionssprung reißt ein Tor zur Höllendimension auf, eklige Parasiten werden in Köpfe gepflanzt – und, und, und ... Bis man das erste Mal zum Verschnaufen kommt, hat Baldur's Gate 3 schon ein Überwältigungsfeuerwerk abgebrannt, das nicht nur Neulinge, sondern auch Rollenspielveteranen beeindruckt.

Das Ziel ist klar: Hier wird gezeigt, dass dieser Nachfahr einer ganz großen Kultspielserie, deren zweiter Teil immerhin schon vor 20 Jahren erschienen ist, keine Übung in Retro-Nostalgie sein soll, sondern mit der filmreifen Inszenierung, dem Bombast und nicht zuletzt der Grafikpracht aktueller Blockbuster mithalten will. Statt Bioware, den kanadischen Machern der ersten beiden Teile, sind die belgischen Rollenspielspezialisten Larian Studio für die Wiederbelebung des berühmten Franchise verantwortlich; deren zwei Teile von Divinity: Original Sin galten vielen Genrefreunden ohnedies längst als wahre Erben der "klassischen" Rollenspielschule.

Larian Studios

Bewährte Mischung

Wer die Spiele von Larian kennt, wird sich in Baldur's Gate 3 schnell zurechtfinden: Wie in Divinity: Original Sin gibt es auch hier eine bewährte Mischung aus auf starke Charaktere setzender Erzählung, detailreicher Spielwelt und rundenbasierten taktischen Kämpfen. Am Anfang steht natürlich ein Charakter-Editor, in dem nach den Regeln der dem Spiel zugrundeliegenden 5. Edition des Pen-&-Paper-Rollenspiels Dungeons & Dragons eine Spielerfigur gestaltet wird. Aktuell darf man aus acht Fantasy-Rassen und sechs Klassen wählen; speziell vorerstellte "Origin"-Charaktere mit umfangreicher Vorgeschichte und eigenen Story-Schlenkern sind vorerst nur angekündigt.

Genretypisch trifft man schnell auf eine Vielzahl von potenziellen Begleiter*innen, die sich der Suche anschließen. Unterwegs ist man immer nur zu viert, im Nachtlager trifft man jedoch alle auswählbaren Figuren zum Plausch. Immerhin teilen alle dasselbe Schicksal: Die zu Beginn der Geschichte in die Köpfe aller Figuren eingepflanzten Ekelparasiten müssen entfernt werden, bevor sie die bedauernswerten Helden in Monster verwandeln. Der Weg zu diesem Ziel ist allerdings nicht linear, denn in dem ersten Kapitel, das im Early Access bislang spielbar ist, warten jede Menge Nebenmissionen und versteckte Überraschungen.

Pen-&-Paper-Erbe

Der rundenbasierte Kampf ist das zentrale Spielelement: Im Teamwork lassen sich hier wie in der Divinity-Reihe Umgebung und Elemente vor allem in Kombination mit Magie für interessante Taktiken nutzen. Der rundenbasierte Modus lässt sich aber jederzeit aktivieren, um zum Beispiel geschickte Diebstähle oder Ähnliches minutiös zu planen. Natürlich spielen auch Gespräche mit NPCs, aber auch mit den eigenen Party-Mitgliedern eine große Rolle.

Das Erbe des berühmten Pen-&-Paper-Vorbilds zeigt sich übrigens prominent durch die Entscheidung, viele Talentproben genau wie im analogen Gesellschaftsspiel durch einen (virtuellen) Würfelwurf sichtbar zu machen: Ob im Gespräch das Täuschungsmanöver gelingt, wird etwa durch eine Würfelprobe auf den Charisma-Wert des gewählten Charakters visualisiert. Wird die angezeigte Würfelzahl nicht erreicht, versagt man bei der jeweiligen Aktion; eine Wiederholung missglückter Proben ist nur in bestimmten Fällen möglich.

Larian Studios

Was ist gelungen?

In Sachen Präsentation spielt Baldur's Gate 3 schon jetzt in der Oberliga: Die Darstellung der Charaktere kratzt am Fotorealismus, und auch die Umgebung sowie Licht- und Magieeffekte sind stimmig. Ebenso gelungen ist die (englische) Vertonung. Die Story und Charaktere, so weit bisher zu beurteilen, sind vielschichtig und schaffen meist die Balance zwischen Humor und düsterer Ernsthaftigkeit, mit gut geschriebenen Dialogen und interessanten Gesprächsoptionen.

Beeindruckend sind schon jetzt die unterschiedlichen Möglichkeiten, die sich je nach Charakter und Fähigkeiten, aber auch durch die Auswahl der Begleiter ergeben. Das zeigt sich natürlich auch im taktischen Kampf, in dem es regelmäßig viele verschiedene Vorgangsweisen auszuprobieren gibt. Pen-&-Paper-Kenner freuen sich überdies über die nah am Original bleibende Übernahme bekannter und bewährter Spielmechanismen ins digitale Spiel – und es kann gut sein, dass sich durch dieses sogar neugierige neue Mitspielerinnen und Mitspieler für die analoge Abendrunde rekrutieren lassen.

Was ist weniger gelungen?

Vorab: Bei einem Spiel in frühem Access über technische Probleme zu murren ist müßig. Trotz der frühen Entwicklungsphase – ein finaler Release wird frühestens in zwölf Monaten erwartet – zeigt sich Baldur's Gate 3 aber recht stabil. Leichte Kameraprobleme und gelegentliche Bugs sind erwartbare Baustellen.

Abgesehen davon bleiben oberflächliche Kritikpunkte und Geschmacksfragen: Dass der Zufall eine durch die visualisierten Würfel so prominente Rolle spielt, mag manche wurmen, ist aber fixer Bestandteil der Pen-&-Paper-Vorlage, die Kämpfe sind wegen derselben auch etwas weniger dynamisch als in Divinity: Original Sin, und ob man (Über-)Dramatik der Story und teils recht plakativ-dramatische Figurenzeichnung schätzt oder nicht, bleibt letztlich Geschmackssache.

Der von manchen für ein Early-Access-Spiel als hoch empfundene Vollpreis geht allerdings schon in Ordnung: So manches fertige Rollenspiel bot kaum mehr Inhalt als dieses erste Kapitel, und technische Probleme sind seit jeher fixe Launch-Begleiter ambitionierter Rollenspiele – nur dass das meistens weniger gut angekündigt und begründet war als hier.

Fazit

Wer 20 Jahre auf ein neues Baldur's Gate gewartet hat und nicht noch ein weiteres Jahr Wartezeit verschmerzt, kann diese Fantasy-Baustelle durchaus schon betreten. Zu Geduld ist allerdings vor allem jenen zu raten, die ihre Rückkehr in diese Welt am Stück und vielleicht nur ein einziges Mal erleben wollen: Nach 25 Stunden endet das Early-Access-Abenteuer momentan noch recht abrupt und mittendrin. Nicht nur wegen Early Access bietet sich bei einem Spiel mit derart vielen Möglichkeiten aber ohnedies ein mehrmaliges Durchspielen an.

Wenn nichts schiefgeht, dürfte Baldur's Gate 3 seinen großen Namen mit Würde verteidigen; im Moment bleibt es als üppiger Gruß aus der Küche ein wenn auch bombastischer, aber doch naturgemäß nur teilweiser Vorgeschmack auf das, was erst zur Vollendung gebracht werden muss. (Rainer Sigl, 17.10.2020)

"Baldur's Gate 3" ist im Early Access für Windows und Mac erschienen. UVP: 59,99 Euro.