In der Europäischen Union brennt der Hut – politisch, epidemiologisch und in der Folge wirtschaftlich. Das war beim EU-Gipfel mit Händen zu greifen. Aus praktisch allen nationalen Delegationen wurde Ähnliches berichtet: Die Regierungschefs sind äußerst besorgt, dass die Corona-Pandemie gerade außer Kontrolle gerät. Die zweite Welle der Infektionen sei schlimmer als die erste im Frühjahr.

Der britische Premierminister Boris Johnson ist dabei, sich zu übernehmen.
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"Die Chefs" sind sich inzwischen darin einig, dass die Corona-Krise ihr größtes und ihr gemeinsames Problem ist. Das Virus könnte Staaten destabilisieren. Die nächsten zwei, drei Wochen sind entscheidend. Das verschiebt Perspektiven.

Und bedeutet auch: Andere Probleme wie die stockenden Gespräche über ein neues Handelsabkommen mit Großbritannien bekommen weniger Gewicht. Scheitert es, wird der Brexit ultrahart, worunter alle leiden würden, vor allem aber die Briten und ihre Wirtschaft. Die EU will das nicht.

Die Regierungschefs wollen einen Deal mit Premier Boris Johnson, betonen aber, dass sie die Binnenmarktregeln nicht für ihn opfern können. Das ist auch richtig so. Johnson sollte das sehr ernst nehmen, anstatt nun nur noch weiter zu drohen und zu pokern. Der Premier ist dabei, sich zu übernehmen.

Viele EU-Staaten werden in den nächsten Wochen schwer mit den Corona-Folgen zu kämpfen haben. Sie haben dann andere Sorgen als Brexit und Boris. London wird zum Nebenschauplatz. Großbritannien droht der Abstieg in die Isolation. (Thomas Mayer, 16.10.2020)