Die FPÖ halbierte sich in fünf Jahren und unter Dominik Nepp. Offen nach seiner Absetzung zu rufen, traut sich trotzdem niemand. Es hätte noch schlimmer kommen können, ist man sich in der Partei einig.

Foto: Heribert Corn www.corn.at

Seit Sonntag liegt das österreichische rechte Lager in Einzelteile zerschmettert am Boden. Heinz-Christian Strache, einstiger Superstar unter den heimischen Rechtspopulisten, holte gerade einmal gut drei Prozent der Stimmen. Die FPÖ – kürzlich noch in der Regierung – stand mit sieben da. Ein paar Rechtswähler wechselten zur ÖVP, einige blieben daheim. Das dritte Lager ist in einer ernsten Krise, so der Tenor nationaler und internationaler Schlagzeilen.

War es das nun für die heimischen Rechten? Und: Könnte das Wahldebakel womöglich sogar in anderen Ländern einen Stopp des Rechtsrucks einleiten? Immerhin hatte Österreich, was eine Tendenz Richtung rechts außen angeht, lange Zeit eine Vorreiterrolle. Hier war die FPÖ schon gesellschaftstauglich, da war die AfD in Deutschland noch nicht einmal gegründet.

Eine blaue Familie

Im Versuch, das zu beurteilen, muss man ein paar Schritte zurücktreten. Und beobachten, was genau da in Österreichs drittem Lager passiert ist. Der Knackpunkt, der Moment, in dem die Zersplitterung begann und dessen Nachwehen gleich zwei Parteien die Wien-Wahl kosteten, liegt in der Spesenaffäre.

Liest man die Ermittlungsakten der Polizei zur Causa prima des Ehepaars Strache, lernt man nicht nur Heinz-Christian Strache, sondern auch die Klüngel innerhalb der FPÖ Wien gut kennen. Büromitarbeiter, Fahrer, Bodyguards: Alle in Straches Umfeld wurden vom langjährigen Parteichef nach und nach in politische Ämter gehievt, um seine Macht in der Landespartei zu zementieren.

Der Ideengeber für das Abrechnen fremder Spesen und spätere "Whistleblower": Er war jahrelang Bezirksrat. Die Büroleiterin, die vor der Polizei über die angeblichen finanziellen Malversationen auspackte: ebenso. Wer soll fremde Rechnungen abgeliefert haben? Drei weitere Bezirksräte werden genannt, außerdem zwei Landtagsabgeordnete.

Die Spesenaffäre umfasst weite Teile der FPÖ, bis hin zur Führungsspitze. Finanzreferent der Landespartei war von 2015 bis 2019 ihr jetziger Landesparteiobmann Dominik Nepp. Finanzreferent im Parlamentsklub war Harald Vilimsky, der den Wiener Wahlkampf managte. Die Liste lässt sich fortsetzen.

Rechte in Europa

Gestorben sind damit aber weder die FPÖ noch die Strache-Partei und schon gar nicht der Rechts-außen-Populismus in Europa, wie manche am Wiener Wahlabend prophezeiten. Ein Blick auf die großen Nachbarländer zeigt: In Italien ist in aktuellen Umfragen Matteo Salvinis Lega Nord klar in Führung; in Frankreich liegen bei der Präsidentschaftsfrage Amtsinhaber Emmanuel Macron und die rechtsextreme Marine Le Pen gleichauf; die AfD hält sich in Deutschland trotz fortwährender Skandale stabil bei zwölf Prozent.

Auf der anderen Seite der EU baut Viktor Orbán seine Macht dank der Ausnahmesituation der Corona-Krise immer weiter aus, während in Polen der Rechtspopulist Jarosław Kaczyński erst kürzlich aus dem Schattendasein eines einfachen Abgeordneten in die Regierung aufstieg. All dies passierte, als sich die Zersplitterung der österreichischen Rechten längst angebahnt oder vollzogen hatte, all dies wird eher anhalten denn aufhören.

Hang zur Selbstzerstörung

Vorerst. Das dritte Lager – egal ob in Österreich oder anderswo – hat den Hang zur Selbstzerstörung. Ebenso eigen ist ihm aber das Talent zur Wiederauferstehung. Das weiß man hierzulande spätestens seit der Implosion der FPÖ 2002 in Knittelfeld. Und das belegt das Beispiel Heinz-Christian Strache. Wenige Monate vor der Wien-Wahl 2005 wurde er zum neuen Parteichef gekrönt – und holte in Wien auf Anhieb 15 Prozent.

DER STANDARD kommentierte damals: "Strache hat, zuletzt mit ziemlich heiserer Stimme, gekämpft und das politische Überleben gewonnen. Für sich und seine Partei, die er erst einmal vom Erbe des Jörg Haider befreien musste: Selbst eingefleischte Freiheitliche hatten im Frühjahr daran gezweifelt, dass die FPÖ ohne den Vote-Getter Haider überhaupt überleben könnte."

Der 11. Oktober

Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich, wusste schon Mark Twain. Auch die frühere Parteiobfrau Susanne Riess (damals mit dem Namenszusatz "-Passer") musste sich von ihrer Ex-Partei den Vorwurf der falschen Spesenabrechnungen machen lassen. Oder warb Jörg Haider 2005 mit dem BZÖ als "Bürgerbewegung", schon damals unterstützt vom Werber Gernot Rumpold – so wie jetzt auch das Team Strache. Beide FPÖ-Karrieren endeten am 11. Oktober: Haider verstarb am 11. Oktober 2008 nach einem Autounfall; Strache wurde zwölf Jahre später von den Wiener Wählern eine Abfuhr erteilt.

Dabei sah alles nach einem fulminanten Comeback aus. Trotz des größten Skandals der zweiten Republik, trotz einer Neuwahl, mehrerer Rücktritte und zahlreicher Ermittlungsverfahren kehrte Strache auf die politmediale Bühne zurück. Wie Vorbild Haider sammelte er abtrünnige Anhänger um sich, deren erklärtes Ziel es war, Strache wieder nach oben zu hieven. Schnell gesellten sich Burschenschafter und Verschwörungstheoretiker dazu, um beim Stemmen zu helfen.

Das Debakel vom 11. Oktober 2020 lässt diese Truppe verloren zurück. Das war zu merken, als Strache am Wahltag nicht auf seiner eigenen Wahlparty erschien. Die wenigen harten Fans, die ihm geblieben sind, hatten sich dort eingefunden – obschon längst klar war, dass die eigens angefertigte "HC is back"-Torte an diesem Abend nicht mehr angeschnitten wird. Selbst die engsten Parteifreunde wussten bis zum späten Abend nicht, dass der Chef nicht auftauchen würde. Es sei ihm zu verdenken, nach einer derartigen Niederlage.

Baustein im Personenkult

Doch dass er in den Tagen danach die Partei gleich mehrmals vor den Kopf stößt, zeigt, wie wenig verbunden er jenen Personen ist, die ihm den Grundstein für sein Comeback legen wollten. Strache lässt ihnen über Medien ausrichten, dass er kein Bezirksratsmandat annehmen will.

Und offenbar wusste die Partei nichts von seinen Fantasien, ein neues, rechtes Medium zu gründen. Karl Baron, Dietrich "Didi" Kops und Christian Höbart waren am Ende des Wahlkampfes doch nur das, was sie sich selbst auferlegt hatten: ein Mittel zum Zweck, ein Baustein im Personenkult.

Heinz-Christian Strache wurde bei der Wien-Wahl 2015 noch als realistischer Kandidat für das Bürgermeisteramt gehandelt. Nun holte jene Partei, die nur für ihn existiert, gut drei Prozent.
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Anders ist das bei den Blauen; zumindest heute. Zählt man die Ären von Haider und Strache zusammen – und ignoriert diverse Parteiobleute, die Haider stark beeinflussen konnte –, dann stand die FPÖ über 35 Jahre unter der Führung sehr charismatischer, aber unberechenbarer Populisten. Damit soll nun Schluss sein, ist aus immer mehr Teilen der Partei zu hören. Man wolle eine Partei "ohne Personenkult" sein, sagte auch FPÖ-Chef Norbert Hofer kurz nach Straches Rücktritt.

Zelebrierte Einigkeit

Nun ringen die Blauen intern darüber, wer die Schuld an dem Wahl-Debakel trägt. "Die FPÖ hat sich selbst vernichtet", analysierte Klubobmann Herbert Kickl. Niemand möchte Spitzenkandidat Dominik Nepp öffentlich die Schuld in die Schuhe schieben. Ohne ihn wäre es noch schlimmer gekommen, auf diese Erzählung hat man sich geeinigt.

Nur aus den Ländern kamen kleine Spitzen: Die Verantwortung für das Scheitern habe Wien zu übernehmen, sagte etwa FPÖ-Landeschef Manfred Haimbuchner. Und: Man werde sich dort "neu aufstellen müssen". Auch der Tiroler FPÖ-Chef Markus Abwerzger meinte, die FPÖ habe sich in Wien "selbst geschlagen", und forderte eine inhaltlich breitere Aufstellung.

Hinzu kommt das gekränkte Ego einzelner Wiener Blauer. So forderte etwa der abgewählte blaue Bezirksvorsteher Paul Stadler, sich endlich vom Ausländerthema zu verabschieden, und diente sich für die Stelle des Landesparteisekretärs an, um die Partei wieder nach vorne zu bringen. Einen Tag später wurde er vom Landesparteivorstand in die Pension verabschiedet.

Nach außen will man tunlichst Geschlossenheit vermitteln. Nepp wurde einstimmig das Vertrauen ausgesprochen, von der Kommunikationslinie abzuweichen traut sich seitdem kein Wiener Blauer mehr. Nepp mag vielleicht nicht das erhoffte Zugpferd sein, doch ein weiteres Zerwürfnis könnte sich die FPÖ nicht leisten.

Verzeihen können

Einige interne Kritiker haben eine andere Theorie, warum das Wahlergebnis in der FPÖ keinen Umsturz ausgelöst hat. Zu groß sei die Angst, nach der Spesenaffäre selbst ins Fadenkreuz der Ermittler zu gelangen, spekuliert ein ehemaliger hochrangiger Parteifunktionär.

Ein anderer erzählte dem STANDARD schon im Frühjahr 2019, er habe jahrelang jedes Wochenende Angst gehabt, dass nach dem neuesten Partywochenende kompromittierende Videos des damaligen Spitzenduos Strache und Johann Gudenus auftauchen würden. Nur langsam nehme diese Sorge ab. Fünf Wochen nach diesem Gespräch erschien das Ibiza-Video.

Trotzdem reißt die Diskussion über eine Versöhnung der FPÖ mit Heinz-Christian Strache nicht ab – zumindest von einer Seite. Strache kokettierte damit schon vor der Wahl: Dass viele sich wünschen würden, die freiheitliche Familie wieder geeint zu sehen, sagte er da, und dass es wichtig sei, sich selbst und anderen verzeihen zu können.

Nach der Wahl klingt das noch eindeutiger. Fragt man Strache, ob er sich eine Versöhnung vorstellen könnte, so sagt er, es brauche personelle Veränderung und eine "neue Generation, die Verantwortung übernehmen soll". Mit der könne er durchaus, schwingt da mit. Nur: Innerhalb der Wiener FPÖ gibt es niemanden, der offen über eine Versöhnung mit Strache spricht. Zu viel hat er die Partei gekostet, zu hoch ist der entstandene Schaden – finanziell und fürs Image. Nicht einmal hinter vorgehaltener Hand werden Wünsche nach einer Vereinigung laut.

Zuspruch nicht verschwunden

Wären die FPÖ und das Team Strache bei der Wien-Wahl noch eine Partei gewesen, dann wären sie bei der Wien-Wahl auf zehn Prozent gekommen – immer noch deutlich weniger als die Grünen, halb so viel wie die ÖVP und ein Viertel von dem Ergebnis der SPÖ.

Doch: Das Nichtwählerlager war so groß wie schon zehn Jahre nicht mehr. Ein Drittel jener, die zu Hause blieben, hat fünf Jahre zuvor blau gewählt: 100.000 Personen. Das sind so viele wie diejenigen, die zur FPÖ gewandert sind, plus diejenigen, die dem Ruf von Gernot Blümel (ÖVP) Richtung rechts gefolgt waren, zusammen.

Die blauen Stimmen und der blaue Zuspruch sind nicht verschwunden. Schuld waren nicht die Inhalte – die brachten das dritte Lager erst so hoch, dass der Fall so tief sein konnte. Schuld waren einzelne Personen und ihre Besessenheit von Macht und Geld. Und das System, das um sie aufgebaut wurde, um sie an der Spitze zu halten.

Für die Anhänger des dritten Lagers war bei dieser Wahl schlicht kein Angebot mehr da. Sie anzusprechen wird das neue Ziel rechter Parteien sein. Das weiß Strache, das weiß die FPÖ, und das weiß auch die ÖVP. Dieses Vakuum wird nicht lange bestehen, offen ist nur, wer es mit welchen Inhalten füllt. (Gabriele Scherndl, Fabian Schmid, 17.10.2020)