Demonstrierende kündigen wegen der bevorstehenden Änderungen am Supreme Court Widerstand an.

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Weniger geht immer. Intensiv hatten sich die demokratischen Mitglieder des Senats vorbereitet, Fragen formuliert, Fallen gestellt. Amy Coney Barrett, erzkonservative Kandidatin Präsident Donald Trumps für das Höchstgericht, sollte es nicht leicht haben. Barretts Vorhaben: Fallen vermeiden, Fragen ausweichen. Und möglichst wenig sagen, das ihre Bestätigung noch vor der Wahl verhindern könnte. Es ist ihr gelungen. Fast alle kritischen Fragen blieben unbeantwortet. Wer sich vom Hearing neue Informationen erhoffte, wurde enttäuscht. Vorteile hat das für beide Seiten. Barrett bot kaum Angriffsflächen, ihre Bestätigung bei der Abstimmung noch vor der Wahl ist so gut wie sicher. Die Demokraten verlieren so zwar Einfluss am Supreme Court. Als Trostpreis gewinnen sie aber Themen für das Wahlkampffinish.

"Sollen wir dem Präsidenten glauben, wenn er sagt, Sie würden Obamacare stoppen?"

Obamacare, das Gesetz für eine leistbare Gesundheitsversicherung, war schon vor der Anhörung ein großes Wahlkampfthema. Trump hat oft, zuletzt in seiner TV-Fragestunde Donnerstagnacht, versprochen, das System zu beenden. Demokraten argumentieren daher, nur sie könnten die mittlerweile beliebte Versicherung vor Angriffen der Republikaner schützen. Die demokratische Senatorin Amy Klobuchar, die Barrett nach ihrer Ansicht fragte, nahm diesen Ball auf.

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Barrett, die der Frage auswich, könnte schon bald in die Situation kommen, über Obamacare zu urteilen: Im November entscheidet das Höchstgericht im Fall Texas v. California, in dem wegen einer juristischen Spitzfindigkeit das Ende des gesamten Systems eingeklagt wird. 20 Millionen Menschen würden ihre Versicherung verlieren – ein Schreckgespenst, das den Demokraten im Wahlkampf helfen könnte.

Der republikanische Senator Lindsey Graham versuchte Barrett und seiner Partei einen Ausweg zu bieten. Er fragte, ob auch einfach die beanstandete Bestimmung aus dem Gesetz gestrichen werden könnte, statt das ganze System zu kippen. Barrett stimmte zu. Obamacare wäre damit freilich nicht gerettet. Denn dass weitere Fälle vor dem Höchstgericht landen, ist wahrscheinlich.

"Verpflichten Sie sich, sich bei Entscheidungen zur Wahl 2020 zu enthalten?"

Eine Nominierung so kurz vor der Wahl, ein Präsident, der mehrfach angekündigt hat, eine Niederlage womöglich nicht anzuerkennen: Die Sorge, dass Barrett bei Disputen zum Wahlausgang im Sinne Trumps entscheiden könnte, ist bei den Demokraten groß. Senator Patrick Leahy nahm darauf Bezug, als er Barrett nach einer Enthaltung fragte. Sie versprach ihm nur, sich gegebenenfalls mit ihren Kolleginnen und Kollegen darüber zu beraten.

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Sorgen nährte auch Barretts Schweigen zu einer anderen Frage. Könne der Präsident eigenmächtig Wahlen verschieben? Das wollte die Kandidatin nicht beurteilen – obwohl die Verfassung eindeutig nur den Kongress dazu ermächtigt.

Ebenso wenig wollte sie sich "ohne einen konkreten Fall" dazu äußern, ob Einschüchterung von Wählerinnen und Wählern zulässig sei – eine Handlung, auf die laut Bundesgesetz eine Haftstrafe steht. Der Hintergrund: Trump plant, für die Wahl eine Truppe von rund 20.000 "poll watchers" aufzustellen, die an Wahllokalen die Rechtmäßigkeit der Stimmabgabe sicherstellen sollen. Das zumindest laut eigener Definition, die Demokraten fürchten, es könnte zur Einschüchterung von Minderheiten kommen.

"War Roe v. Wade eine Fehlentscheidung?"

Ein Schreckgespenst, das die Demokraten im Wahlkampf ebenfalls nutzen, ist das Ende von Roe v. Wade: Mit der erzkonservativen Katholikin Barrett am Supreme Court werde das Grundsatzurteil aus dem Jahr 1973 gekippt, das Abtreibungsverbote untersagte. Laut Umfragen sprechen sie damit eine Mehrheit der Bevölkerung an: Rund zwei Drittel befürworteten in einer Umfrage Ende September dessen Erhalt.

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Barrett betonte in den Anhörungen erneut, dass ihre persönlichen Ansichten nicht in Urteile einfließen würden. Sie führte auch ihre Ansicht zu sogenannten "super precedents" aus: Fälle die laut Barrett "so abgesichert und besiegelt sind, dass niemand dazu drängen würde, sie aufzuheben". Roe v. Wade gehöre nicht dazu, es handle sich nicht um einen Fall, den "alle akzeptiert" hätten. Marbury v. Madison falle hingegen in diese Kategorie, ein Urteil von 1803, das Gerichten erlaubt, Bundesgesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen und für nichtig zu erklären. Auch Brown v. Board of Education, das 1954 die rassistische Trennung von Schwarzen und Weißen in öffentlichen Schulen untersagte, sei ein solcher Fall, den "niemand mehr in Frage stellt".

Sowohl über diesen Fall als auch über Loving v. Virginia, der 1967 die Ehe zwischen Schwarzen und Weißen erlaubte, sagte Barrett klar, dass sie richtig entschieden worden seien. Über Roe v. Wade sagte sie das nicht. Auch nicht über den Fall Griswold v. Connecticut, der 1965 Empfängnisverhütung legalisierte. Barrett bezeichnete ihn nur als "nicht in Gefahr".

"Teilen Sie die Einschätzung, dass die Verfassung Homosexuellen kein Recht auf Heirat zugesteht?"

Und auch nicht über Obergefell v. Hodges, womit 2015 die gleichgeschlechtliche Ehe anerkannt wurde. Barrett betonte in ihrer Antwort hingegen, dass sie nie auf Basis der "sexuellen Präferenz" diskriminiert habe oder diskriminieren werde. Mit dieser Aussage sorgte sie für Verärgerung, da sie impliziert, Homosexualität sei eine Entscheidung, die man treffen könne, oder auch nicht. "Sexuelle Orientierung" ist hingegen der auch juristisch korrekte Begriff, der etwa in Gesetzen zum Schutz vor Diskriminierung genannt wird. Barrett entschuldigte sich, sie habe keinen Begriff verwenden wollen, der einen Angriff auf die LGBTQ-Community darstelle. "Wenn ich das getan habe, entschuldige ich mich."

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Insgesamt lassen Barretts Aussagen keinen klaren Schluss über künftige Urteile zu, und genau das wollte sie erreichen – das ist auch bei Hearings möglicher Richterinnen und Richter eine beliebte Taktik. Ihr selbst hat das geholfen. Der Partei, die sich für sie einsetzt, macht es im Wahlkampf aber vielleicht zu schaffen. (Manuel Escher, Noura Maan, 16.10.2020)