Hygge für die Katz'.

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Erinnern Sie sich noch an Hygge? Dieses dänische Wort, das ab 2013 plötzlich in aller Munde war und für eine irgendwie vage wohlfühlwarme Kuschelgemütlichkeit stand? Auf das dann gerne auch, wenn man besonders auskennerhaft klingen wollte, das Wort Cocooning folgte? Und wussten Sie, dass die Veranstalter der Möbelmesse IMM Cologne in Köln im Jahr 2010 verkündeten, die wichtigsten Einrichtungstrends seien "Trickery", "Comfort-Zone", "Rehab" und "Discipline"? Vermutlich würden Sie brüsk bestreiten, dass Ihre Wohnungseinrichtung in den letzten zehn Jahren von Rehab und Discipline übermannt wurde. Doch kann man sich da so sicher sein?

Must-have oder Zeug

Denn vielleicht sind diese albern-elitär klingenden Trends längst inkognito im Großmöbelhaus Ihres Vertrauens aufgetaucht. Hatte doch schon Meryl Streep in ihrer Rolle als Modediktatorin in ihrem berühmten Blauer-Pullover-Monolog in DerTeufel trägt Prada diese Trickle-down-Economics des Designs erklärt: Die Haute Couture wird irgendwann Alltag, ob bei Mode oder Möbeln. Der seit einigen Jahren von Einrichtungsinfluencern propagierte Boho-Look, der den Lebensstil kalifornischer Hippies circa 1971 evozieren soll, taucht bereits im künstlich abblätternden Lack cremeweißer und himmelblauer Fake-Vintage-Kommoden auf.

EIN HAUCH VON EXOTIK: die Dekoschale aus Holz, bestimmt von ehrlichen Handwerkern geschnitzt.
Foto: HErsteller

Andererseits ist es eben so, dass wir trotz jährlich neu angepriesener Must-haves und Trendfarben nicht in Trendwohnungen wohnen. Niemand wirft auf Befehl von Möbelmessen seine komplette Einrichtung jedes Frühjahr auf den Müll und ersetzt sie durch eine neue.

Man wohnt eben so vor sich hin, und die Möbel wohnen mit. Manche kommen dazu, andere verschwinden, und über alldem liegt das Plankton unserer persönlichen Biografien: Bücher, Vasen, Kerzenständer, Legosteine, herrenlose Ladekabel. "Dieses ... Zeug", um es mit Meryl Streep zu sagen.

Aber wenn sie nicht wie eine Musterwohnung aussieht, wie sieht sie dann aus, die österreichische Durchschnittswohnung? Wir haben bei den großen Möbelhäusern des Landes nachgefragt, was ihre Bestseller sind, und daraus die österreichische Durchschnittswohnung zusammengestellt.

Zeitlose Qualität

Beginnen wir mit dem zentralen Objekt, dem Sofa. Dieses ist wahlweise "stone"-farben oder anthrazit, aber auf jeden Fall grau – "soft grey interiors", wie es bei den Couchbestsellern von XXXLutz heißt. Anthrazitgrau und matt die Garnitur Los Angeles Plus von Kika/Leiner, und auch bei Ikea heißt es auf Nachfrage: "Bei den Sofas ist die Bettsofaserie Friheten ein Dauerbestseller in Österreich und aktuell auf der Titelseite des neuen Ikea-Katalogs abgebildet! Am beliebtesten sind das Eckbettsofa und die Bezugsfarbe Grau." Sprich: Man befindet sich hiermit genau an der Schnittstelle von modern und gemütlich. Beton zum Kuscheln sozusagen.

SKANDINAVISCHE LANDHAUSOPTIK: von Eisenstadt bis Dornbirn: Österreichs Bestsellerküche.
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Tisch und Sessel fügen sich hier harmonisch-hölzern ein, mit den dominierenden Farben Weiß, Eiche und Dunkelbraun, auf der Tischplatte steht die Dekoschale aus grob behauenem Holz mit leichtem Ethno-Einschlag, und beim Geschirr hat Österreich die geometrischen Narreteien früherer Jahrzehnte (Achteckteller, Asymmetrie) hinter sich gelassen, auch hier geht es rustikal-authentisch zu. Im Reich der Zimmerpflanzen ist das Pampasgras die Nummer eins und hat Gummibaum und Yuccapalme verdrängt.

Rustikal-authentisch

Die Küche, die sich über die Jahre immer mehr in Richtung Wohnzimmer vorgeschoben hat, gibt es in zwei gleichwertigen Durchschnittsvarianten: als Landhausküche, wenn eine affirmative Haltung zum Genuss vorliegt, oder mit strengen, klaren Linien in Weiß und Grau (etwa das Modell Graz), wenn man der laborhaften Hygiene zugeneigt ist. "Der Wohngeschmack der Österreicher wird immer moderner", sagt Thomas Saliger von XXXLutz. "Vor allem fließen die verschiedenen Raum- und Wohnsituationen zueinander und ineinander. So wird zum Beispiel das Thema Kochen, Speisen und Wohnen immer mehr in einem Raum gemeinsam umgesetzt."

Schlafen mit Stauraum

Im Schlafzimmer dominiert unangefochten das Boxspringbett, kompakt und mit Stauraum unter der Matratze, hier zählt die kernfamiliäre Solidität mehr als verführerische Boudoir-Atmosphäre. Der Kasten gegenüber ist noch konservativer, hier herrscht der reine Pragmatismus des Ikea-Dauerbrenners Pax, bisweilen darf es auch verspiegelt zugehen. Unter alldem liegt die Landhausdiele Eiche Natur, wahlweise in Laminat oder Parkett, und darüber, damit es nicht gar zu glatt wird, der Flachwebteppich Magic im Farbton – Sie ahnen es schon – Dunkelgrau.

SOLIDE, VERLÄSSLICH, ECKIG: das Boxspringbett Dunvik in der Lieblingsfarbe Anthrazit.
Foto: HErsteller

"Die Österreicher legen beim Wohnen sehr großen Wert auf Qualität. Hochwertige und langlebige Produkte sind wichtig", so eine Sprecherin von Ikea. "Viele bevorzugen einen modernen Stil mit hellen Möbeln – oft im Mix mit Holz. Das Zuhause wird zeitlos eingerichtet und folgt nicht jedem Trend. Nachhaltigkeit hat einen besonders hohen Stellenwert und wird auch beim Einrichten immer wichtiger." Modern und hygge, praktisch und gemütlich, authentisch wie eine Werbung der alpinen Tourismusindustrie.

Laminat und Parkett haben den Teppich ersetzt, längst passé sind die wildgemusterten Sofalandschaften der 1980er-Jahre, und vorbei sind die Zeiten, als man sich, begeistert wie ein Kind, neuartiges buntes Plastik in die Wohnung stellte. Jenes hatte sich in Österreich ohnehin nie so durchsetzen können wie im technikbegeisterten Frankreich, wo die Moderne und ihr Zubehör als Statussymbole für Bohème und Neureiche dienten, deren absurde Wohngadgets schon 1957 von Jacques Tati in seinem Film Mon Oncle parodiert wurden.

PRAGMATISCH, PRAKTISCH: das Schranksystem Pax, der Dauerbrenner unter Österreichs Kästen.
Foto: HErsteller

Handwerklicher Charme

In Österreich schätzt man eben das Regionale und vor Ort Produzierte, das ist bei Bier, Wein und Wurst nicht anders als beim Möbelstück. "Die heimische Möbelindustrie gehört schon lange zu den Vorreitern in Sachen regionale Wertschöpfung und Nachhaltigkeit", so Georg Emprechtinger, Vorsitzender der Österreichischen Möbelindustrie. "Wohntrend Nummer eins sind Wohlfühlmöbel aus natürlichen Materialien mit angenehmer Haptik und handwerklichem Charme. In hektischen oder unsicheren Zeiten soll das eigene Zuhause ein Ort der Ruhe und Erholung sein."

Handwerklicher Charme: Das verwundert nicht, denn anders als beim großen Nachbarn Deutschland ist in Österreich das Handwerk nie von der Industrie verdrängt worden, kleine Möbelproduzenten und Tischlereien florieren – vom Bregenzerwald bis ins entlegene Osttirol.

NICHTS KOMMT ÜBER UNSERE EICHE: Laminat in Rustikaloptik, der populärste Bodenbelag des Landes.
Foto: Hersteller

Verglichen damit sieht das deutsche Durchschnittswohnzimmer schon mehr nach einem Musterstudio aus.

Ebenjenes hat die Hamburger Werbeagentur Jung von Matt einige Jahre lang anhand von Daten des Statistischen Bundesamtes und der Konsumforschung zusammengestellt – und zwar im Maßstab 1:1. Hier wohnte die fiktive Familie Müller (Ehepaar Claudia und Thomas sowie Sohn Jan), und die Werber verfolgten analytisch und wohl auch mit herablassend gehobener Designer-Augenbraue den Möbelwechsel der Durchschnitts-Müllers über die Jahre: das Verschwinden des CD-Turms, die Verflachung des Fernsehers, die Verhärtung der Sitzgarnitur. Unverändert blieb über die Jahre die Vorliebe der Deutschen zu gelblich-hellem Holzimitat und Furnier.

Softer als die Schweiz

"Im Gegensatz zu den Deutschen legen die Österreicher mehr Wert auf die Echtheit von Materialien", bestätigt Thomas Saliger von XXXLutz. "So wird bei Küchen viel Wert auf die Materialien Stein, Keramik oder echte Holzoberflächen gelegt. Zudem spielt das Thema Massivholzmöbel in Österreich eine größere Rolle als bei unseren Nachbarn. Andererseits sind die Italiener in Form und Design immer experimenteller als die Österreicher und die Deutschen, wobei vor allem in Österreich das Thema Design in Form von Geradlinigkeit und Feinheit schnell übernommen wird."Ein anderes Nachbarland hat uns hier jedoch noch ein Stück die Nase voraus: die Schweiz.

FREUNDLICHES GEWEBE: die Tischleuchte aus Bambus für warmes Licht an Wintertagen.
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"In der Schweiz gibt es eine starke Sensibilität für Design", sagt Karin Voser Birarda, Head of Sales für die Schweiz und Österreich bei VitraHome. "Das hat vielleicht mit der Uhrenindustrie zu tun. Hier schätzt man mehr eine sachliche Moderne und langlebige Möbelstücke, die sogar den Kindern vererbt werden. Beim Designgeschmack sind die Schweizer in puncto Farbe mutiger, die Österreicher wiederum bei den Textilien, weil sie es gerne etwas weicher und gemütlicher haben." Auch sei in Österreich eine größere Nähe zum Tischlerhandwerk und zu Maßanfertigungen zu beobachten.

AUTHENTISCH, LÄNDLICH: das Geschirrset Nature Look, passend zu Landhaus und Eiche.
Foto: HErsteller

Und was sagt die Designexpertin zu Meryl Streeps Blauer-Pullover-Theorie? "Früher hatte Design im Interieur tatsächlich etwas Elitäres, aber das hat sich geändert. Heute finden Sie die neuesten Trends sofort in Magazinen und Blogs, und modernes, skandinavisches Design hat, auch dank Ikea, seinen Weg in die Allgemeinheit gefunden."

Ein wenig farblos

Die Zeiten haben sich also gewandelt, seit der deutsche Intellektuelle Hans Magnus Enzensberger 1960 den Warenhauskatalog von Neckermann analysierte und vernichtend urteilte, das deutsche Kleinbürgertum lebe offenbar in einem Zustand, der der Idiotie näher sei als je zuvor. Ein bisserl modern, ein bisserl hölzern, ein bisserl grau: Der Durchschnittsösterreicher wohnt heute geschmackssicher und klug – nur eben etwas farblos. (Maik Nowotny, 17.10.2020)