"Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar", lautet ein vielzitierter Satz aus einer Dankesrede Ingeborg Bachmanns, der auch auf ihrem Grabstein steht. In der tiefen Krise, in die das Coronavirus die Gesellschaften weltweit – und somit auch die hiesige – gestürzt hat, hat diese Aussage stark an Aktualität gewonnen.

Und zwar in Bezug auf ein Thema, das die große österreichische Schriftstellerin wohl nicht im Sinn hatte: die Kommunikation verantwortungstragender Politiker mit den Menschen, deren Wahlentscheidung letztlich dafür gesorgt hat, dass sie in Amt und Würden sind – und auf deren Mitmachen bei den harten Einschnitten zum Zweck der Pandemiebekämpfung es immerhin ankommt.

Gegenüber diesen Bürgerinnen und Bürgern bedienen sich die Politiker an der Spitze des österreichischen Staates ziemlich gestriger Mittel. Sie behandeln die Wahrheiten, über die sie verfügen, und die Beschlüsse, die sie fällen, wie ein hochsensibles, schützenswertes Gut. Kanzler und Vizekanzler, Innen- sowie zunehmend auch der Gesundheitsminister halten sich gegenüber der Öffentlichkeit möglichst lange bedeckt – um die getroffenen bundesweiten Maßnahmen letztendlich dann zu dekretieren – Schluss, aus.

Die österreichische Bundesregierung behandelt ihre Corona-Beschlüsse wie Geheimnisse, die es zu schützen gilt.
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Dazu passend materialisiert sich so manche Gesetzesnovelle immer noch über Nacht, was dann sogar interessierte Beobachter überrascht. Von Donnerstag auf Freitag traten dieserart etwa Änderungen des Covid-19-Maßnahmengesetzes für das Abhalten von Weihnachtsmärkten und Sportveranstaltungen in Kraft.

Herumdoktern

Hinzu kommt ein Herumdoktern, ein Hin und Her zwischen Zulassen und Verbieten. Im Kleinen, Überschaubaren ist das sinnvoll, weil Infektionscluster auf regionaler Ebene gut fassbar sind und relativ rasch ausgehungert werden können. Für die Republik als Ganzes jedoch widerspricht das jeglicher sinnvoller Krisenkommunikation, die auf Transparenz, Berechenbarkeit und Nachvollziehbarkeit fußt. Es ist das Gegenteil einer Informationspolitik auf Augenhöhe – und im Endeffekt autoritär.

So pfeifen etwa die Spatzen schon seit mehr als einer Woche von den Dächern, dass bald weitere, bundesweite Verschärfungen anstehen. Laut Gesundheitsminister Rudolf Anschober liegen sie sogar schon "in der Schublade". Doch um welche Schritte es sich handelt, also was genau mit den vielen beratenden Experten diskutiert wird, hält er ebenso verborgen wie Bundeskanzler Sebastian Kurz.

Dieser wiederum kündigte am Freitag Beschlüsse für Montag an. Ausweitung des Maskentragens, weitere Versammlungsbeschränkungen – oder vielleicht doch Lockdown-ähnliche Schritte? Übers Wochenende verharren Land und Leute im Ungewissen. Das ist kontraproduktiv, denn es öffnet Vorahnungen und Befürchtungen Tür und Tor. Es schürt die Kaffeesudleserei in der Gerüchteküche. Mehr noch: Es schafft eine Bühne für Schwurbler und Corona-Leugner, die scheinbare Sicherheiten bieten.

Und es ist bedenklich, denn es konterkariert eine wichtige Errungenschaft im Kampf gegen Corona in Österreich: die von der Corona-Ampel ermöglichten punktgenauen, regional beschlossenen und kommunizierten Maßnahmen. Sie stehen in Widerspruch zur türkis-grünen Message-Control. Hoffentlich scheitert die Koalition daran nicht. (Irene Brickner, 16.10.2020)