Vor der Wahl haben alle noch gelacht. Jetzt wird mit drei Parteien sondiert.

APA / Helmut Fohringer

Warum Rot-Grün, Rot-Türkis beziehungsweise Rot-Pink? Im Gastkommentar haben die ehemalige Grünen-Kommunikationschefin Karin Strobl, der frühere ÖVP-Politiker und Unterstützer von Gernot Blümel im Wahlkampf Erhard Busek sowie der einstige Neos-Bundesgeschäftsführer Feri Thierry Antworten darauf.

Rot-Grün – Alternativlos

Karin Strobl

Was Neues muss nicht immer gut sein, das Alte nicht immer schlecht", richtete der ehemalige Bürgermeister Michael Häupl am Mittwoch im ORF-Morgenjournal seinen Genossinnen und Genossen in Wien aus. Wenn man sich die Berichterstattung seit dem Wahlsonntag genauer anschaut, erhält man den Eindruck, dass Rot-Pink in Wien, also eine Koalition aus Sozialdemokraten und Wirtschaftsliberalen, so gut wie fix ist.

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Bürgermeister Michael Ludwig gilt als besonnen und pragmatisch. Wer, wenn nicht er, weiß, wie sein derzeitiger Koalitionspartner, die Grünen, ticken. Wenn ihm jetzt erstarkte Genossen eine Koalition mit den Neos schmackhaft machen möchten, ist das ein verständlicher Reflex auf den Ärger, den Koalitionspartner auslösen können und dürfen. Sympathien spielen in der Politik eine große Rolle, sollten aber nicht überbewertet werden. Man erinnert sich, wie die politische Liebesheirat in der Steiermark zwischen Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer und seinem Vorgänger Franz Voves jäh geendet hat.

Aktionismus. Na und?

Jeder weiß seit Gründung der Ökopartei, dass die Grünen immer für eine Überraschung gut sind. Sie sind sicher kein einfacher Partner, davon kann nun auch Kanzler Sebastian Kurz ein Lied singen: Die Forderung nach einem Pfand für Plastik flaschen, nach der Aufnahme von Flüchtlingskindern aus Moria, die Diskussion um eine Vermögenssteuer haben den Türkisen mehrmals die Zornesröte ins Gesicht getrieben. Na und? Dafür werden die Grünen gewählt. In ihrem Aktionismus liegt auch ein Teil ihrer Kraft. Es gibt genug pragmatische wie strategische Köpfe innerhalb der Wiener Grünen, die beides gut miteinander verbinden können und wollen.

Wien braucht zur Bewältigung der größten Wirtschafts- und Gesundheitskrise nicht nur eine stabile wie starke Regierung. Wien braucht eine Ökopartei in einer Koalition, damit die richtigen Maßnahmen heute gesetzt werden, um die Klimaerhitzung von morgen einzudämmen. Leuchtturmprojekte wie das 365-Euro-Ticket oder die Begegnungszone Mariahilfer Straße hätte es ohne grünen Mut nicht gegeben. Sie haben bis heute nichts an ihrer Strahlkraft verloren, liegen aber in der Vergangenheit. Vizebürgermeisterin Birgit Hebein hat sich leider in ihrer Pop-up-Politik verheddert, war diese noch so gut gemeint. Was es neben einer tragfähigen Regierung braucht, sind langfristige, nachhaltige und vor allem verlässliche Projekte für ein grünes Wien.

Größte Schnittmenge

Wenn es also Bürgermeister Ludwig tatsächlich darum geht, mit jener Partei eine Koalition einzugehen, mit der die SPÖ die größte Schnittmenge hat, müssen die Grünen die erste Wahl sein. Hier gibt es programmatisch die größten Überschneidungen bei den Themen Soziales, Umwelt- und Klimaschutz, leistbarer Wohnraum – und eben auch Bildung. Verständlich, dass die Neos mitregieren wollen, aber für die Zukunft der Stadt liefern die Grünen die besseren Visionen. (Karin Strobl)

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Rot-Türkis – (K)eine neue, alte Koalition

Erhard Busek

Bürgermeister Michael Ludwig ist gut beraten, wenn er sich die Möglichkeiten von Koalitionen offen hält, natürlich mit Ausnahme der Freiheitlichen. Bei Rot-Türkis eine Wiederbelebung der alten großen Koalition zu sehen ist aber völlig verfehlt. Die politische Ausgangslage heute ist anders, eine rot-schwarze Verbindung hat in Wien seit Ewigkeiten nicht mehr existiert.

Einfluss auf eine Stadtverwaltung zu nehmen, die seit hundert Jahren (mit Ausnahme von 1934 bis 1945) in SPÖ-Händen war, ist keine leichte Aufgabe. Selbst wenn in einer Regierungsvereinbarung einiges von "türkiser Handschrift" drinnen steht, ist doch die Frage sehr groß, wie es wirklich realisiert werden kann. Die Zahl der Bezirke mit türkisen Bezirksvorstehern ist auch beim guten Wahlergebnis nicht größer, sondern kleiner geworden – der Druck von "unten" wird also bescheidener. Die Möglichkeit, dass die Wiener Sozialdemokraten die Grünen als Partner anbringen wollen, weil sie doch streckenweise sehr mühsam waren, ist zu wenig, um eine aktionsfähige Zusammenarbeit in Rot -Türkis zu etablieren.

Der SPÖ näher kommen

Türkis sollte sich eher dar auf konzentrieren, noch stärker zu werden. Die ÖVP ist gegenwärtig mit ihrer Zahl der Mandate das einzige wirkliche Gegengewicht zur SPÖ, aber doch noch ein beträchtliches Stück von Macht und Einfluss entfernt. Es wäre sicher sinnvoller, eine Strategie zu entwickeln, wie man der SPÖ mandatsmäßig noch näher kommen kann.

Es darf auch nicht vergessen werden, dass die Regierungstätigkeit von Sebastian Kurz und Co möglicherweise ein Grund sein könnte, dass eine rot-türkise Koalition Druck auf die Bundesregierung ausüben muss, um verschiedene Entscheidungen im Sinne von Wien zu treffen.

Wenn Türkis in Wien einen Erfolg erzielen will, dann muss die Partei eine eigene Linie entfalten, um damit auch zu einem noch schwierigeren Partner zu werden, als es die Grünen gewesen sind. Diese aber haben zehn Jahre Erfahrung im Rathaus, die die ÖVP gegenwärtig nicht hat.

Die Mitte stärken

So schön es ist, in einer Regierung vertreten zu sein oder vielleicht den einen oder anderen Posten vergeben zu können (bestenfalls im Stadtratssekretariat, nicht aber in der Hochbürokratie), die Sichtbarmachung der eigenen Position mit der Chance, zusätzliche Stimmen zu gewinnen, steht nicht in einem erfolgversprechenden Licht.

Türkis hat eine große Aufgabe, nämlich die nun gewonnenen oder wiedergewonnenen Wähler zu überzeugen und bleibend in der Mitte zu verankern. Eine Stärkung von Türkis kann nur aus der Mitte erfolgen, denn es sollte nicht vergessen werden, dass beträchtliche Mengen blauer Wähler gegenwärtig in der hohen Zahl von Nichtwählern des 11. Oktober 2020 zu Hause sind. Diese Überlegungen sollten für Türkis relevant sein!

Die Bedeutung einer Entscheidung für Türkis ist für die SPÖ leichter nachzuvollziehen, weil sie damit Druck auf die Bundesregierung durch Türkis ausüben kann und für Wien und Bund ein zusätzliches Spannungsverhältnis aufzieht. Aber: Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass eine SPÖ den Finanzstadtrat – den Gernot Blümel verlangt – als Letztes hergibt! Warnung an Neos: Der Bildungsstadtrat ist der vorletzte, den die SPÖ abgeben würde! (Erhard Busek)

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Rot-Pink – klare Verhältnisse

Feri Thierry

Für die Wiener Sozialdemokratie wären die Neos der einfachste Partner: Dank der Proporzregierung hätte die liberale Partei auf nur einen Stadtratssitz Anspruch – im Gegensatz zu ÖVP und Grünen, die jeweils zwei erhielten. Damit wäre aber auch schon ein zentrales Thema für die Koalitionsverhandlungen gesetzt – zumindest für die Neos, denn die Abschaffung der nicht amtsführenden Stadträte in Wien gehört zu den pinken Urforderungen.

Die Größenverhältnisse zwischen den beiden potenziellen Partnern könnten aber ein Problem sein: Auf Bundesebene wurde dem Koalitionsübereinkommen und der Ressortaufteilung das Stimmenverhältnis 1:2,7 (Grüne zu Volkspartei) zugrundegelegt. In Wien hieße das 1:5,5 – für den Juniorpartner blieben da nur Krümel übrig. Die sind den Gesinnungsgenossen eher schlecht zu verkaufen.

Kernthema Bildung

Umso wichtiger wären deutliche Duftmarken für die Neos in einer etwaigen Koalition. Dem pinken Kernthema, der Bildungspolitik, im Koalitionsübereinkommen gerecht zu werden, erscheint machbar: Mehr Personal und Geld sowie stärkerer Fokus auf die Elementarpädagogik werden schnell zu Konsensthemen. Bei der objektivierten Bestellung von Schulleitern wird es schon heikler. Verbunden damit wäre wohl jedenfalls der Anspruch von Neos auf das Bildungsressort.

Politstrategisch würde eine solche Konstellation im von beiden Seiten durchaus gerne forcierten Match zwischen Bund und Wien für klare Verhältnisse sorgen: ÖVP und Grüne auf der einen, SPÖ und Neos auf der anderen Seite. Einzig mit der klassischen Zuordnung von links und rechts täte man sich schwer.

Schwere Kost

Zudem könnte die SPÖ mit einer rot-pinken Koalition ihre Innovationsaffinität unter Beweis stellen. Erstens wäre es die erste solche Konstellation in Österreich auf legislativer Ebene, zweitens gehören zu den zentralen Elementen des Neos-Gründungsnarrativs politkulturelle Anliegen: die Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern sowie die Transparenz von politischen Prozessen. Mit Bestimmungsmöglichkeiten bei Stadtplanungsprojekten, transparente Auftragsvergaben, objektive Postenbesetzungen – das ist für Parteien, die seit Jahrzehnten weit gehend allein regieren, schwer verdauliche Kost. Für die SPÖ Wien somit ein Offenbarungseid zu ihrer Reformfähigkeit, gleichzeitig vielleicht die Blaupause einer bundesweiten Parteierneuerung.

Zum Neos-Gründungsnarrativ gehört auch der Gestaltungswille. Die Veränderung Österreichs, der sich die pinke Bürgerbewegung in ihren Anfängen verschrieben hat, ist ein klarer Auftrag für eine Regierungsbeteiligung – sofern Veränderung dann auch tatsächlich möglich ist.

Wenn sich die Neos nach der Salzburger Dirndlkoalition (ÖVP, Grüne, Neos) nun in einer zweiten Variante an einer Regierung beteiligen, würden sich die Liberalen endgültig als Machtfaktor etablieren – und auch auf Bundesebene zur Koalitionsoption werden. (Feri Thierry, 19.10.2020)