Mark Epstein und Jennifer Stepp mit einem Freund.

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Die Fronten zwischen den Demokraten und den Republikanern sind massiv verhärtet.

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Mark Epstein und Jennifer Stepp aus Gastonia, North Carolina, verbindet eine ungewöhnliche und äußerst seltene Freundschaft. Politisch trennen sie Welten – er ist Demokrat und betreibt eine Tierarztpraxis, sie ist stolze Republikanerin und Stadträtin, die ihre Anfänge in der Tea Party hatte. Dennoch stehen beide in regem Kontakt, versuchen, das Unmögliche möglich zu machen: das Vertrauen und die Beziehung zu jemandem aufrechtzuerhalten, der der eigenen Weltanschauung diametral entgegensteht.

Das, was Jennifer und Mark hilft, sind die Gesprächstechniken, die sie über die Organisation Braver Angels (früher: Better Angels) gelernt haben und nun täglich praktizieren: Abstand davon zu nehmen, den anderen politisch überzeugen zu wollen, genau zuzuhören und ein besseres Verständnis dafür zu entwickeln, wie die Lebensumstände die politische Haltung beeinflussen.

Von der Freiwilligenarbeit zur Freundschaft

Oberflächlich kannten Mark und Jennifer einander schon lange. Doch während der Ballettstunden ihrer Kinder gingen sie sich aus dem Weg, denn sie wussten von der politischen Überzeugung des jeweils anderen – und beließen es daher bei einem "Hi, how are you?". Eine vierstündige Autofahrt zur ersten Braver-Angels-Convention im Jahr 2018 änderte das. Seither organisieren sie Workshops und Debatten für Braver Angels in North Carolina und bringen Demokraten und Republikaner zusammen, die einander sonst nicht begegnen würden. Aus ihrer Freiwilligenarbeit heraus entwickelte sich eine solide Freundschaft.

Trotzdem sitzen Mark und Jennifer einander oft ratlos gegenüber. Wie konnte es so weit kommen, dass Amerika nun ein tiefgespaltenes Land ist? Ein Land, das laut Mark einen rassistischen, antisemitischen Präsidenten wiederwählen könnte? Ein Land, in dem laut Jennifer Geschäfte und Häuser brennen und ohne Konsequenzen randaliert wird?

Beide Seiten fürchten Ausschreitungen

Was beide derzeit eint, ist die Sorge um die Wahl am 3. November. "Ich kann es nicht erwarten, bis es endlich vorbei ist, aber gleichzeitig habe ich Todesängste", meint Jennifer. Sie befürchtet, dass ein Sieg von Donald Trump Ausschreitungen und Gewalt in den Städten auslösen wird. Falls es in einigen US-Bundesstaaten kein klares Ergebnis gibt, glaubt Jennifer, dass sowohl Trump als auch Biden die Wahl dem jeweils anderen nicht zugestehen würden. Mark hingegen prognostiziert das gegenteilige Szenario: "Wenn Biden gewinnt und Trump den Sieg nicht anerkennt, werden die Proud Boys ein Blutbad anrichten."

Jennifer wird auch 2020 wieder Donald Trump wählen. Einen Präsident Joe Biden würde sie, sollte er gewinnen, aber akzeptieren: "Wir brauchen eine Balance in diesem Land. Es ist wichtig, dass beide Parteien am Tisch sitzen. Wenn zumindest der Senat republikanisch bleibt, wäre das gut." Jennifer warnt allerdings davor, dass Joe Biden aufgrund seines Alters vom "radikalen Arm" der Partei überrannt werden wird. Mark hegt ähnliche Befürchtungen, wenn auch aus anderen Gründen: "Die Progressiven in der Partei sind derzeit sehr leise, um Joe Bidens Chancen nicht zu schmälern. Ich hoffe, dass sie nach einem Sieg im Repräsentantenhaus und Senat nicht zu viel auf einmal wollen und die Partei nicht total nach links drängen. Wenn mich das persönlich stört, dann verstehe ich schon auch, warum konservative Amerikaner beunruhigt sind."

Im Jahr 2016 ging Gaston County, ein typischer amerikanischer Vorstadtbezirk, mit 64 Prozent eindeutig an Trump. Derzeit liegen Biden und Trump in den Umfragen in North Carolina fast gleichauf. Entscheidend für einen Wahlsieg wird in diesem Bundesstaat die Anzahl an schwarzen Wählerinnen und Wählern sein.

Streit um Konföderiertendenkmal

Die Auseinandersetzung und der Umgang mit der rassistischen Vergangenheit und Gegenwart hat auch vor einer Kleinstadt wie Gastonia nicht haltgemacht. Nach dem Tod von George Floyd stimmte der Stadtrat für die Entfernung des Konföderiertendenkmals vor dem Bezirksgericht. Doch eine rechte Veteranenorganisation, der das Denkmal zugesprochen wurde, weigerte sich, den Vertrag mit der Stadt zu unterschreiben. Das Denkmal steht also nach wie vor. Mark und Jennifer arbeiten im Hintergrund daran, den Stillstand zu beenden, und vermitteln Gespräche zwischen der schwarzen und der weißen Gemeinde.

Vier Jahre unter Trump mit Skandalen, Amtsenthebungsverfahren und Russland-Affäre sind fast um. Ist es in dieser Zeit schwieriger geworden, die Freundschaft aufrechtzuerhalten? Nein, sind sich Jennifer und Mark einig. Sie vermeiden es zwar zunehmend, über nationale Politik und die Geschehnisse im Weißen Haus zu sprechen, doch selbst das würde ihre Freundschaft nicht gefährden. "Durch unsere Erfahrung bei Braver Angels wissen wir damit umzugehen", erklärt Mark. Für Jennifer wurde die Freundschaft zu Mark im Laufe der Zeit noch wichtiger: "Ich kenne so viele Leute, die in den vergangenen vier Jahren aus politischen Gründen Freunde verloren haben. Deshalb ist das, was wir haben, besonders wertvoll."

Erinnerung an 1933

Jennifer und Mark fühlen sich dazu berufen, die Brücken zwischen Demokraten und Republikanern wiederherzustellen. Doch beide gestehen, dass die Polarisierung in der amerikanischen Gesellschaft seit der Pandemie noch einmal deutlich zugenommen hat. Mark, selbst praktizierender Jude, erinnert die derzeitige Stimmung an das Jahr 1933. "Aber deshalb aufgeben und das Handtuch werfen? Das kommt für mich keinesfalls infrage." (Teresa Eder aus Washington, 21.10.2020)

Alle Online-Debatten von Braver Angels finden sich hier: https://www.youtube.com/playlist?list=PLKRBV_e51mrrvCehgbjhsMBa97bZrbODT
Braver Angels