In Schweden könnten nun doch regionale Lockdowns kommen.

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Beinahe seit Beginn der Corona-Pandemie geistert der "Schwedische Sonderweg" durch die Medien und Stammtische. Während mit den steigenden Infektionszahlen in Europa ab März die Maßnahmen zur Viruseindämmung immer strikter wurden, ging Schweden einen ganz eigenen Weg: Die Behörden setzten auf die Freiwilligkeit der Menschen und umgingen so einen strikten Lockdown – zumindest bisher.

Denn nun denkt man auch in Schweden angesichts der erneut steigenden Infektionszahlen über einen Lockdown nach. Bereits am Montagabend könnten regionale Maßnahmen verkündet werden, sagte Johan Nojd, Leiter der Infektionskrankheiten-Abteilung in Uppsala, der britischen Zeitung "Telegraph" am Sonntag.

Am Montag tritt eine neue Regelung in Kraft, die es auch regionalen Gesundheitsbehörden erlaubt, Einschränkungen in ihren Regionen umzusetzen – in Absprache mit der nationalen Gesundheitsagentur. Zu den möglichen Maßnahmen zählen, dass Bürgerinnen und Bürger angewiesen werden können, Einkaufszentren, Museen, Bibliotheken und Schwimmbäder zu meiden. Weitere betroffene Orte können Sportstätten, Sportveranstaltungen und Konzerte sein. Auch die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel darf eingeschränkt werden, um Risikogruppen wie ältere Menschen zu schützen.

"Es ist eine Art Lockdown-Situation, aber ein lokaler Lockdown", sagte Nojd. Damit begegne man den wieder ansteigenden Infektionszahlen. In Uppsala sind die Zahlen in den vergangenen Wochen ums Zehnfache gestiegen. Im 14-Tage-Schnitt gab es in Schweden kumulativ rund 85 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner, in Norwegen 37, in Dänemark 97 (Zahlen vom European Centre for Disease Prevention and Control). Bereits seit Anfang September steigen die Zahlen wieder an. Waren es Anfang September noch rund 200 Neuinfektionen täglich, sind es nun teils über 900 (Stand Ende vergangene Woche). Noch am Montag trifft sich Nojd mit dem nationalen Chefimmunologen Anders Tegnell, um mit ihm die möglichen Maßnahmen zu besprechen.

Kehrtwende in Schweden

Die Lockdowns würden eine markante Abkehr von der bisherigen Strategie des Landes bedeuten. Während im Rest Europas ab März ein Land nach dem anderen per Ausgangssperren oder Lokalschließungen dichtmachte, blieben in Schweden die Betriebe, Lokale und Geschäfte offen. Das soziale Leben ging in vielen Bereichen weiter wie zuvor.

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Die Strategie von Chefepidemiologe Tegnell sorgte weltweit für Aufsehen – und Kritik.
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Diese Strategie wurde weltweit mit besonderem Interesse beobachtet. Chefepidemiologe Tegnell musste aber vor allem viel Kritik dafür einstecken. Denn der lockere Umgang hatte einen hohen Preis: Fast 6.000 Menschen sind bisher in dem Land an oder mit Covid-19 gestorben, das sind rund 58 pro 100.000 Einwohner – fast so viele wie im schwer betroffenen Italien (rund 60). Im benachbarten Finnland sind es lediglich sechs, in Österreich zehn (Zahlen von der Johns-Hopkins-Universität).

Tegnell selbst verteidigte die Strategie mithilfe des Arguments der Langzeitwirkung: Auf Dauer werde sich eine erreichte Herdenimmunität bezahlt machen. Allerdings gestand er Ende vergangener Woche ein, dass das Niveau der Herdenimmunität bei weitem nicht so hoch sei wie angenommen. Es gebe noch riesige Gruppen von Menschen, die noch nicht betroffen waren. (Anna Sawerthal, 19.10.2020)