Wollte wohl nicht, dass diese Ideen an die Öffentlichkeit dringen: Rot-Kreuz-Bundesrettungskommandant Gerry Foitik.

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Es ist ein Papier mit Brisanz, das einige Redaktionen, darunter auch den STANDARD, erreichte. Datiert mit 15. Oktober, richtete der Bundesrettungskommandant des Roten Kreuzes, Gerry Foitik, einige Vorschläge für das Corona-Krisenmanagement offenbar in einer Massenmail an Bundeskanzleramt, einige Ministerien wie das Gesundheitsressort sowie an die Länder und etliche andere Organisationen, etwa an die Feuerwehr oder die Polizei. Dort hätten die Information wohl aus seiner Sicht auch bleiben sollen. Denn ein Punkt daraus sollte sich am Montag verselbstständigen.

Eine der größten Sorgen der Bundesregierung ist die bevorstehende Wintertourismussaison. Durch die steigenden Infektionszahlen hierzulande versehen viele Länder Österreich und einzelne Bundesländer mit einer Reisewarnung. Auch die Ampel der Europäischen Gesundheitsagentur hat Gesamtösterreich auf Rot gestellt. Das ist dem Tourismus eher nicht zuträglich.

Verkürzt formuliert

Foitik hat eine Idee, das zu ändern: nämlich Personen, die in engem Kontakt mit einem Infizierten standen und daher ein hohes Infektionsrisiko aufweisen, nicht mehr automatisch testen zu lassen – und damit die Infektionszahlen zu drücken. Konkret heißt es in dem Papier: "Wintertourismus: Wenn Zahlen eine Zeitlang sinken, aber immer noch zu hoch sind für eine 'grüne' Einschätzung der EU-Partner, könnten wir innerhalb weniger Tage aufhören, Kontaktpersonen '1' zu testen: Die Inzidenz sinkt dann sofort um 500 täglich (absolut – Zahlen der vergangenen Woche) bei gleichzeitigem leichten Sinken der Positivitätsrate (vermutlich)."

Sollen hier etwa die Infektionszahlen manipulativ reduziert werden, um den Wintertourismus zu ermöglichen? Foitik wehrt sich gegen diese Darstellung: "Das allein wird den Wintertourismus nicht retten." Da das Papier nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen sei, habe er sehr verkürzt formuliert, sagt Foitik. In der "ZiB 2" erklärte er, die Aussage tue ihm leid und sei "dumm formuliert" gewesen.

Rotkreuz-Kommandant Foitik zu Manipulationsvorwürfen.
ORF

Internationaler Vergleich

Der Bundesrettungskommandant argumentiert, dass die wenigsten Länder in Europa K1-Personen testen würden. Damit trifft er einen Punkt. Tatsächlich wird in Europa vielfach auf die Testung von K1-Personen verzichtet. In Slowenien reichen Personal und Kapazitäten der Gesundheitsbehörden dafür schlichtweg nicht aus, um all jene zu kontaktieren, die mit einer positiv getesteten Person in Kontakt waren – und diese zu testen.

In Spanien ist der Test von K1-Personen zwar prinzipiell vorgesehen, in der Realität wird dies aber oft nicht getan – etwa in Madrid, das sich davon auch eine Senkung der Zahlen zwecks Aufhebung des Alarmzustandes erhofft. In Frankreich kommt der Begriff eines "cas contact" dem Konzept einer K1-Person wohl am nächsten. Für derartige "Kontaktfälle" werden Tests zwar empfohlen, verpflichtend sind sie aber nicht.

In Großbritannien sollen sich nur Personen mit den drei wichtigsten Covid-Symptomen (hartnäckiger Husten, hohes Fieber, Geschmacks- oder Geruchsverlust) zum Test melden; K1-Personen ohne Symptome werden hingegen nicht getestet, sollen sich aber selbst in Isolation begeben. In Tschechien ist man als K1-Person angehalten, sich sofort einem PCR-Test zu unterziehen, sofern man selbst Symptome hat. Wenn man keine Symptome hat, entscheidet ein Epidemiologe. Familienkontakte werden meist sofort getestet, sonst fünf Tage nach der Begegnung mit der infektiösen Person.

In Deutschland gibt es keine generelle Lösung für K1-Personen, das Gesundheitsamt entscheidet im Einzelfall. Unabhängig vom Ergebnis muss man jedenfalls in Quarantäne – wie in Österreich auch.

Sehr streng ist man in Italien: Dort kommen alle Personen, die Kontakt mit einer infizierten Person hatten, automatisch in Quarantäne. Dort werden sie mindestens zweimal getestet, denn erst bei zwei negativen Testergebnissen im Abstand von einigen Tagen dürfen sie ihre Quarantäne überhaupt wieder beenden. Bis vor kurzem waren sogar drei negative Tests erforderlich.

Tests momentan ohne Konsequenzen für K1-Personen

Foitik begründet seine Anregung allerdings nicht nur mit schöneren Zahlen für die Wintersaison und dem internationalen Vergleich. Derzeit habe das Testergebnis von K1-Personen in Österreich keine direkten Konsequenzen für die Betroffenen: Denn bei einem negativen Test müsse man dennoch in Quarantäne bleiben, während ein positiver Test ohne Symptome keine therapeutischen Maßnahmen nach sich zieht. Insofern sei die einzige Auswirkung des positiven Ergebnisses eine Steigerung in der Statistik, meint Foitik zum STANDARD.

Für Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) ist der Vorschlag "derzeit kein zentrales Thema". Aus virologischer Sicht sei entscheidend, dass die betroffenen K1-Personen in Quarantäne gehen, damit jedes Risiko ausgeschlossen werden könne. "Am Beginn der Pandemie wurden sie aus Ressourcengründen nicht getestet, sondern nur abgesondert. Seit Ende Mai ist das anders. Es wäre schon sinnvoll, wenn in Europa in diesen Fragen einheitlich vorgegangen werden würde", sagt Anschober.

Insgesamt hat Foitik nun dennoch keine Auswirkungen zu befürchten – zumindest nicht vonseiten des Gesundheitsministers. In der Puls-24-Sendung "Milborn" meinte der Ressortchef Montagabend, der Rettungskommandant habe in der Corona-Krise schon Enormes geleistet und ihn vielfach gut beraten. Den Vorschlag habe er "sicher nicht bös gemeint".

Frage nach dem Patent

Christoph Steininger ärgert noch ein anderer Teil des Dokuments, bei dem es um eine neue Abwicklung der Testungen geht: Steininger ist Virologe und Gründer von Lead Horizon. Das Unternehmen hat Kits für die Selbstabnahme per Gurgellösung entwickelt, inklusive Identifikation per Handy und dem Versand an Labors. Eine ähnliche Lösung sieht Foitiks Plan vor – als Angebot des Roten Kreuzes, das drei Millionen Euro kosten und dessen Entwicklung drei Wochen dauern soll.

Steininger sagt, ihm gehe es gar nicht in erster Linie darum, dass Lead Horizon das Verfahren patentiert habe – sondern darum, dass das Rote Kreuz ohne Not das Rad neu erfinden wolle. "Es gibt eine funktionierende validierte Methode, die genauso funktioniert wie die vom Roten Kreuz vorgeschlagene Variante", sagt Steininger zum STANDARD. Das Rote Kreuz hätte definitiv von der bereits entwickelten Lösung gewusst, da man in ständigem Austausch mit den Gesundheitsbehörden stehe.

Die von Steininger mitentwickelte Variante stehe bereits seit dem Sommer zur Verfügung. "Warum man vier Monate wartet und etwas neu erfindet, was es schon gibt, entzieht sich meinem Verständnis", sagt Steininger.

Verkürzte Quarantäne?

Doch auch eine weitere Passage in Foitiks Papier sorgt für Verwunderung: "Bei Änderung der Quarantäne-Richtlinie: Test nach 5 Tagen: negatives Ergebnis befreit aus Quarantäne." Plädiert der Rotkreuz-Geschäftsführer hier für eine Halbierung der Quarantänedauer, die ohnehin schon von 14 auf 10 Tage reduziert wurde?

Nein, nicht direkt, sagt er. Eine Verkürzung werde in Fachkreisen aber durchaus diskutiert. Man müsse zudem auf eine sinkende Bereitschaft der Bevölkerung zur Einhaltung einer langen Quarantäne vorbereitet sein. Sollte es also zu einer Verkürzung kommen, könne man die Testung von K1-Personen an direkte Konsequenzen koppeln. Wer nach fünf Tagen Quarantäne negativ ist, dürfte demnach aus der Quarantäne heraus ("Heraustesten"). Wer positiv ist, müsste dagegen weiter in Quarantäne bleiben. "So würde der Test von K1-Personen Sinn machen", so Foitik.

Nur bei Kontaktpersonen der Risikogruppe solle man schon früher – also vor Tag fünf – testen, um bei einer möglichen Symptomentwicklung rasch mit einer Therapie beginnen zu können. (Theo Anders, Sebastian Fellner, Jan Michael Marchart, 19.10.2020)