Shanghai bei Nacht: Der Energiehunger der Menschheit ist in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch gestiegen.
Foto: EPA/ALEX PLAVEVSKI

Nach der offiziell gültigen Einteilung befinden wir uns seit 11.700 Jahren im Holozän. Das aktuelle Erdzeitalter folgte auf das Pleistozän und begann mit der Erwärmung der Erde nach der letzten Kaltzeit. Seit einigen Jahren jedoch plädieren Geologen dafür, das Holozän enden zu lassen und ein neues Erdzeitalter einzuführen: das "Anthropozän". Immerhin seien spätestens seit der industriellen Revolution menschliche Aktivitäten zum Hauptantrieb topographischer und klimatischer Änderungen geworden, argumentieren die Wissenschafter.

Als geologischen Marker, der zur selben Zeit global zu finden ist, bieten sich etwa Radionuklide der Atombombentests in den 1950ern an oder die im selben Jahrzehnt beginnende Massenproduktion von Plastik und die damit verbundene Verschmutzung der Erde mit Kunststoffmüll. Ob es tatsächlich zur Einführung des Anthropozäns kommt und woran der Beginn letztlich festgemacht wird, soll die für die Einteilung der Erdzeitalter zuständige Internationalen Kommission für Stratigraphie (ICS) und die Internationale Gesellschaft für Geowissenschaften vermutlich in vier bis fünf Jahren entscheiden.

"Explosion" des Energieumsatzes

Was ebenfalls für den Beginn einer neuen geologischen Epoche spricht, ist der dramatische Anstieg des globalen Energieumsatzes, der ab 1950 regelrecht "explodierte", wie ein AutorInnenkollektiv unter Beteiligung des Geologen Michael Wagreich von der Universität Wien im Fachjournal "Nature Communications Earth & Environment" schreibt. Die Gruppe, der zahlreiche Mitglieder der Anthropocene Working Group der International Union of Geological Sciences angehören, hat den globalen Fußabdruck der Menschheit anhand von mehreren Kenndaten im planetaren Maßstab vermessen

Der dabei errechnete globale Energieverbrauch ab Mitte des 20. Jahrhunderts ist demnach gewaltig: Mit rund 22 Exajoules wurde von der Erdbevölkerung in den vergangenen 70 Jahren deutlich mehr Energie umgesetzt, als in den rund 11.700 Jahren des restlichen Holozäns (14,6 Exajoules). Zum Vergleich: Der jährliche Energieverbrauch in ganz Österreich liegt bei über eintausend Petajoule. Um auf ein Exajoule zu kommen, bräuchte es bei gleichbleibendem Verbrauch also rund 1.000 Jahre.

Grafik: (a) Wachstum der Weltbevölkerung in Millionen, (b) Wachstum des Energieverbrauchs in Terajoule/Jahr, (c) und globale Produktivität siet dem Beginn des Holozän.
Grafik: Communications Earth & Environment/Jaia Syvitski

Veränderungen wie nach dem Meteoriteneinschlag

"Der Energieumsatz in diesen 70 Jahren verändert unseren Planeten ähnlich wie der Meteoriteneinschlag am Ende der Kreidezeit vor 66 Millionen Jahren, der für das Aussterben der Dinosaurier verantwortlich war – wobei der Einschlag allerdings ein punktuelles Ereignis war", erklärt Wagreich. Der Meteoriteneinschlag bewirkte eine starke Klimaabkühlung, während der intensive Verbrauch fossiler Energie ab etwa 1870 und verstärkt ab 1950 hingegen zur Klimaerwärmung, Luftverschmutzung und einem Anstieg an Treibhausgasen in der Atmosphäre sowie einem steigenden Meeresspiegel führt.

Die Daten des AutorInnenkollektivs zeigen für den rasanten Anstieg ab 1950 eine starke Korrelationen zwischen der globalen Bevölkerung, ihrer Produktivität und ihrem Energiekonsum. Dieser Anstieg sowie zahlreiche andere Marker ab 1950 würde die Einführung des Anthropozän rechtfertigen, schreiben die Wissenschafter. "Diese große Beschleunigung – man kann fast von einer geologischen Explosion sprechen – zeigt, wie sich das Erdsystem ab 1950 von seinem ausgeglichenen Zustand im Holozän entfernt hat", erklärt Wagreich.

"Unser Planet ist groß, und auf den ersten Blick mag es für den Menschen unmöglich erscheinen, die Erde selbst geformt zu haben", so Erstautorin Jaia Syvitski von der University of Colorado Boulder. Doch genau das würden die Daten unmissverständlich zeigen. Anhand von insgesamt 16 Punkten listen die Forscher auf, wie die Menschheit sich in den Planeten eingeschrieben hätte, darunter der radioaktive Fallout, Beton und die Veränderung von Küstenlinien, industrielle Fischerei, Landwirtschaft und Bergbau, Plastik oder – insbesondere – durch Treibhausgase in der Atmosphäre, die durch den Treibhauseffekt die Klimaerwärmung anheizen.

Nächste Eiszeit um 50.000 Jahre verschoben

Als gigantische Speicher von Sonnenenergie wirken dabei die Ozeane, die rund das 20-fache des eigenen Energieverbrauchs der Menschheit für Produktion und Konsum seit 1871 gespeichert haben. Dies führt wiederum zu mehr Verdunstung und damit einem stärkeren Treibhauseffekt: Ein sich selbst verstärkender Kreislauf, der die nächste Eiszeit nach jetzigem Stand um mindestens rund 50.000 Jahre in die Zukunft verschiebt. "Aufgrund dieser Kennzahlen schlagen wir vor, ab Mitte des 20. Jahrhundert, ab etwa 1950, das Anthropozän als neues geologisches Zeitalter einzuführen", sagt Wagreich.

Die Anthropocene Working Group hat sich im Mai 2019 auf den Beginn des Anthropozäns mit Mitte des 20. Jahrhunderts geeinigt. Das genaue Datum ist Gegenstand derzeitiger Debatten. Untersuchungen sollen darüber hinaus die vielfältigen Signale für den Beginn des Anthropozäns weltweit messen und gegeneinander abgleichen. Der endgültige Vorschlag zur Definition des neuen geologischen Zeitalters soll 2024 auf dem Tisch liegen. (red, 25.10.2020)