Will über den Opportunisten Herr Karl nicht richten: der Kabarettist Andreas Vitásek.

Jan Frankl

Mit dem Einpersonenstück Der Herr Karl haben Helmut Qualtinger und Carl Merz den österreichischen Opportunisten, Duckmäuser und Durchschwindler, aber auch den Überlebenskünstler porträtiert. Die Fernsehaufzeichnung von 1961, in der Qualtinger als Herr Karl im Lagerkeller eines Geschäfts darüber sinniert, wie er ohne ideologische Skrupel von den Sozialdemokraten zu den Austrofaschisten und weiter zu den Nazis wechselte, war im Österreich des Opfermythos ein Skandal. Jetzt hat sich Andreas Vitásek den Text für die Bühne vorgenommen. Premiere ist heute, Dienstag, im Wiener Rabenhof.

STANDARD: Ist der Wesenszug des Herrn Karl in Österreich heute noch so präsent, oder hat das abgenommen?

Vitásek: Es steckt etwas im Herrn Karl, das Bestand hat. Ein bissl Buckeln, ein bissl Raunzen, Hinterrücks-Sein – das ist nach wie vor in den Österreichern drin, aber es ist eher ostösterreichisch. Man findet das auch bei Geschichten aus dem Wiener Wald.

STANDARD: Sie haben jetzt zweimal "bissl" gesagt. Das Abschwächende, etwas behaupten und es sofort wieder – ein bissl – zurücknehmen: Das ist sprachlich ganz zentral, oder?

Vitásek: Ja. So wie man gerne sagt: "Mir geht es eh gut", anstatt zu sagen: "Mir geht es gut."

STANDARD: Eine Durchschwindler-Figur ist auch der Bockerer, quasi das "gute" Pendant zum Herrn Karl. Würden Sie den auch gerne spielen?

Vitásek: Der Bösewicht ist immer faszinierender. Ich glaube auch, dass uns der Herr Karl eher repräsentiert als der Bockerer. Der Widerstand ist nicht gerade unsere Stärke.

STANDARD: Stimmt das Sprichwort vom Österreicher als Punschkrapferl noch? Außen rot, innen braun und immer ein bissl betrunken?

Vitásek: Ich glaube, dass sich da etwas ändert. Die Generation Punschkrapferl war noch die, die den Krieg und die Nachwehen miterlebt hat. Die heutige Generation ist nicht mehr Punschkrapferl. Sie ist vielleicht außen türkis, innen blau. Und weniger betrunken, sondern auf irgendetwas sehr Schnellem unterwegs.

STANDARD: Der Herr Karl ist ja eigentlich unpolitisch. Die längste Zeit des Stücks sinniert erverbittert über seine Frauengeschichten, Zwischenmenschliches, Alltägliches.

Vitásek: Im Bewusstsein der Leute ist gar nicht mehr präsent, dass der eigentliche rote Faden des Textes die missglückten Beziehungen und Kränkungen des Herrn Karl sind. Da gibt es keinen ideologisch fundierten Faschismus. Wobei der Psychologe Wilhelm Reich ja auch die Theorie aufgestellt hat, dass Faschismus und Sexualität zusammenhängen.

Helmut Qualtingers legendäre TV-Fassung des "Herrn Karl" von 1961. Die Rolle machte Qualtinger schlagartig berühmt.
Chris K.

STANDARD: Finden Sie Sympathisches am Herrn Karl? Er ist z. B. notorisch arbeitsscheu, ein Tachinierer auf gut Wienerisch.

Vitásek: Ein Owezahrer, ja. Die meisten sagen, der Herr Karl ist das Böse im Banalen. Aber ich würde auf mildernde Umstände plädieren. Der hat immerhin die schlimmste Zeit der letzten Jahrhunderte durchgemacht und hat sich da irgendwie durchlaviert. Er hat kein wirkliches Verbrechen begangen. Für mich steht die Frage im Zentrum: Wie hätte ich mich verhalten? Wäre ich mitgelaufen oder hätte ich mich zurückgezogen? Welche Überlebenstaktik hätte ich angewendet? Ich glaube, man kann niemandem vorwerfen, dass er nicht in den Widerstand gegangen ist. Ich bin auch nicht derjenige, der den Herrn Karl verurteilt, das muss das Publikum entscheiden.

STANDARD: Wie bringen Sie das Stück szenisch auf die Bühne?

Vitásek: Den Text habe ich im Original belassen, man kann ihn gar nicht umschreiben. Ich lege es als Stand-up an, fast ohne Bühnenbild. Das Stück hat zwar keine Pointen, aber es ist sprachlich schön, ein Wienerisch, wie man es sonst nur bei Horváth, Nestroy oder Karl Kraus findet. Das ist etwas Bewahrenswertes.

STANDARD: Sehen Sie Anknüpfungspunkte zur Corona-Pandemie? Die Krisenerfahrung?

Vitásek: Viele sagen: Toll, es ist das Stück zur Zeit. Das war aber nicht geplant. Die erste Intention, den Herrn Karl zu machen, war Türkis-Blau, weil ich mir dachte, unglaublich, was da jetzt wieder hochkommt. Nach der Wien-Wahl könnte man jetzt sagen: "Jössas, es gibt keine Rechten mehr?", aber das stimmt ja nicht. Es haben einfach 100.000 Leute nicht gewählt. Und dass jetzt diese Pandemie da ist, verstärkt die Bunkerstimmung des Stücks. Wir hören zwar die Flugzeuge, wissen aber nicht, wann die Bomben einschlagen. Der Herr Karl hat aus den vielen Krisen, die er erlebt hat, keine positiven Lehren gezogen. Ich hoffe, dass das bei uns anders sein wird.

STANDARD: Wie würde sich der Herr Karl in der Corona-Pandemie verhalten?

Vitásek: Er ist ja ängstlich und bissl ein Hypochonder. Er glaubt z. B., dass etwas mit der Herzklappe nicht stimmt und mit der Bauchspeicheldrüse. Saufen tut er natürlich trotzdem. Also ich glaube, er würde, obrigkeitshörig wie er ist, alle Maßnahmen brav befolgen. Und nur wenn er ein bissl ang’soffn ist, das Ganze wieder über Bord werfen. (Stefan Weiss, 20.10.2020)