Der große Wurf war das nicht, was die Bundesregierung da am Montag präsentiert hat. Dabei war sie so bemüht, tagelang die Spannung aufrechtzuerhalten, indem stets gerade so viel durchsickerte, dass Medien das Interesse nicht verlieren konnten.

Doch vieles von dem, was gezielt aus den Ministerien gestreut wurde, kam nicht. Und zwar egal, ob eine Maßnahme sinnvoll gewesen wäre, wie etwa das Verbot von Spuckschutzschildern, für das man nun doch lieber erst eine Studie abwarten will. Oder ob sie am Ende womöglich sogar für noch mehr Ansteckungen sorgen könnte, wie etwa eine vorgezogene Sperrstunde. Dass manch eine Gruppe Feiernder um zehn am Abend nicht getrennt, sondern gemeinsam vom Lokal in die Wohnung wechselt, ist nicht besonders weit hergeholt. Dass in Wien bisher erst in fünf Fällen nach einem Corona-Fall in der Gastro auf die neuerdings registrierten Daten zurückgegriffen werden musste, zeigt, dass dort nicht das Gros der Ansteckungen passiert.

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne).
Foto: Matthias Cremer

Geblieben ist man stattdessen bei recht zahnlosen Maßnahmen, die auch einer Evidenzprüfung nicht komplett standhalten können. Etwa, was die Personengrenzen angeht. Ob die im Restaurant bei sechs oder zehn pro Tisch liegt, macht kaum einen Unterschied. Wer – illegalerweise – zu zwanzigst feiern will, tat das bisher an zwei Tischen und tut das nun an vier. Oder die Maskenpflicht im Freien: Klar, zu glauben, draußen könne man sich nicht anstecken, wäre naiv, es gibt genug Fälle, die das Gegenteil beweisen. Doch Schutz vor einer Ansteckung braucht es vielleicht eher, wenn man durch dicht bevölkerte Einkaufsstraßen hetzt, und nicht, wenn 13 Leute im Prater meditieren wollen.

Unangenehme Maßnahmen

Doch: Die Maske erfüllt vor allem eine psychologische Funktion. Das tut sie seit März und das tut sie noch immer. Dasselbe gilt für die Taktik der Regierung, das Land sukzessive nervös zu machen, indem sie uns tagelang auf Verschärfungen einstellt. Obacht, ist die eigentliche Message, da kommt was, wenn ihr euch nicht zusammenreißt. Aber die wirklich unangenehmen Maßnahmen – die erwähnte Sperrstunde, Schulschließungen und sogar Quarantäneregeln –, die wälzt die Regierung diesmal auf die Länder ab.

Was Kurz, Kogler, Anschober und Nehammer bleibt, sind vor allem – je nach Sprechendem mehr oder minder flammende – Appelle zur Eigenverantwortung, mahnende Worte für die Rücksichtslosen und die Heraufbeschwörung des Schulterschlusses im Frühling.

Und gezielte Verwirrung. Dass Kurz erst nach mehrmaligem Nachfragen zugibt, dass die Polizei nicht die Personenanzahl in privaten Wohnungen kontrollieren kann und wird – vielmehr noch, dass die neuen Regeln dort gar nicht gelten können –, ist kein Zufall, sondern Taktik.

Sie würden eh so gern, schwingt da mit, aber sie können nun mal nicht in den privaten Raum eingreifen. Und das ist gut so. Aber dennoch zwingt genau das die Regierung in ein Dilemma: Gerade dort, wo sie regulieren sollten, können sie das nicht.

Dieses Dilemma gilt es – freilich unter Achtung jedes einzelnen Buchstabens der Verfassung – zu lösen. Denn eine Mischung aus Predigt und halbherzigen Maßnahmen reicht nicht. So bleibt von Verkündigungen wie der gestrigen einzig hängen, dass die Regierung selbst nicht mehr so recht weiß, was zu tun ist. (Gabriele Scherndl, 19.10.2020)