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Im ersten Teil der Analyse (in der Sie auch Details zur Methodik finden) haben wir uns mit neun Pressekonferenzen der Regierungsspitze von Beginn der ersten Welle bis zu den ersten Lockerungen im Frühjahr beschäftigt. Je mehr es Richtung Sommer ging, desto mehr Lockerheit strahlte die Bundesregierung aus. Die Infektionszahlen waren im zweistelligen Bereich angelangt. ÖVP und Grüne begannen damit, die Schärfe der Maßnahmen zurückzunehmen. Das soziale Leben und die Wirtschaft sollten wieder zu einer gewissen Normalität finden.

Einer der wesentlichen Schwerpunkte dieser Zeit war der Sommertourismus. Österreicher sollten sich im eigenen Land von den Strapazen der Pandemie erholen und den krisengebeutelten Tourismus stützen. Man versuchte, sich auch für andere Länder als sicheres Urlaubsziel zu präsentieren. In Richtung Herbst änderte sich die Situation jedoch und zwang den Kanzler zur Kehrtwende: vom "Licht am Ende des Tunnels" hin zur Ausrufung der "zweiten Welle".

Lesen Sie in der Folge die Aufarbeitung sieben ausgewählter Pressekonferenzen des "Corona-Kleeblatts", bestehend aus Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne). Sie gliedert sich in die zwei thematischen Abschnitte "Die Sommerfrische" und "Die zweite Welle".

Abschnitt I: "Die Sommerfrische"

29. 5. – Kurz, Kogler, Anschober, Nehammer
24. 6. – Kurz, Kogler, Anschober (Elisabeth Köstinger, ÖVP)
21. 7. – Kurz, Kogler, Anschober, Nehammer

Ab 29. Mai sollte alles noch ein Stück normaler werden. Kein Wunder, denn die täglichen Neuinfektionen lagen seit Wochen im niedrigen zweistelligen Bereich und sanken noch weiter. Anders als die unangenehme Aufgabe, Verschärfungen verkünden zu müssen, durfte das "virologische Quartett" nun ein "großes Öffnungsprogramm" verkaufen. Entsprechend losgelöst war auch die Rhetorik.

Vizekanzler Kogler zeigte sich selbstironisch: "Wenn es was zu verlautbaren gibt, sind wir ja bekannt dafür, dass wir nicht geizen mit Pressekonferenzen." Die Lockerheit war keine nur kommunikative, sie war auch an den Maßnahmen abzulesen, so sagte Kurz: "Wir können, und das ist gut so, Schritt für Schritt die Maske ein Stück weit ablegen." Im Handel musste das Stück Stoff nicht mehr getragen werden. "Es wäre doch absurd, dass wir alles zugesperrt lassen und Österreich in Ausnahmezustand versetzen, wenn sich die Situation verbessert. Und genauso wäre es absurd, nichts zu tun und die Hände in den Schoß zu legen, wenn sich die Situation wieder verschlechtert", sagte Kurz. Tatsächlich sollte die Maskenfreiheit nur wenige Wochen später wieder verabschiedet werden.

Gesundheitsminister Anschober hob den guten Weg hervor, den die Regierung in der ersten Phase der Pandemie gegangen sei, und wurde dabei auch drastisch: Wären die Maßnahmen eine Woche später gesetzt worden, hätte das bedeutet, dass "die Zahlen bis zu viermal so hoch gewesen wären und wir damit auch an den Rand unserer Kapazitäten, der Spitalsinfrastruktur im Bereich der intensivmedizinischen Betreuung gekommen wären", zitierte Anschober aus dem ersten Teil einer Studie des Simulationsforschers Niki Popper.

Die Sommerzeit diente der Regierung auch dazu, sich in nationalem Bewusstsein permanent als eines jener Länder darzustellen, die besser durch die Krise gekommen waren als andere. Das betonten Kurz und Anschober auch beim Pressetermin am 24. Juni. Man zeigte sich angesichts der beschlossenen Lockerungen gönnerhaft, vergaß dabei aber auch nicht, sich als Mahner darzustellen. So sagte Kurz phrasenhaft, dass es Ziel sei, den Menschen so viele Freiheiten wie möglich zu verschaffen, "aber wir haben immer gesagt, es braucht so viele Einschränkungen wie notwendig".

Vizekanzler Kogler fügte an, dass diese Freiheiten auch mit Verantwortung einhergingen: "Da sind wir wieder beim Punkt, wo wir nach Ostern begonnen haben, darauf zu setzen, mehr Eigenverantwortung." Und in Hinblick auf die "großen Lockerungsschritte":

Sobald die Zahlen wieder nach oben gehen, werde Österreich mit Gegenmaßnahmen reagieren, erklärte Anschober. Und Kurz, in praxisnäherer Prophetie: "Die Maske bitte nicht wegwerfen. Wir werden sie noch brauchen." In der Gastronomie blieb der Mund-Nasen-Schutz immerhin eine Empfehlung.

Die Infektionszahlen stiegen in Österreich Anfang Juli wieder an, stagnierten dann auf mäßigem Niveau. Mitte Juli erreichten sie allerdings Höchstwerte, wie sie die Dashboards seit zwei Monaten nicht mehr gesehen hatten. Am 21. Juli kehrte der Mund-Nasen-Schutz erneut ins Zentrum des Geschehens zurück, als er unter anderem im Lebensmittelhandel, bei Banken und der Post wiedereingeführt wurde. Die, die vor kurzem noch ein teilweises Ablegen propagierten, betonten nun ihren hohen symbolischen Wert. "Je mehr sie aus unserem Alltag verschwindet, desto unbeschwerter wird wieder alles", sagte Kurz. Anschober sah darin ein "Wiederinstallieren unserer Warnsysteme".

Warum die Maske nicht beibehalten wurde? Kurz: "Na ja, weil es nicht notwendig gewesen wäre und weil in der Bevölkerung auch kein Verständnis dafür da ist, wenn etwas nicht notwendig ist, dass es trotzdem bleibt." Während Kurz für die steigenden Zahlen Balkanurlauber verantwortlich machte – "Ich verstehe die menschliche Verbundenheit. Ich verstehe die Nähe, die wir zu dieser Region haben" –, schaute Anschober positiv in den Herbst.

Anders als im Frühjahr, "wo das ganze Virus-Thema gewaltig auf uns zugekommen ist – ohne Erfahrungen, ohne dass es ein Wissen gegeben hat", könne man sich nun auf die Herausforderungen vorbereiten, auf den Herbst, so der Gesundheitsminister. "Ein voll funktionsfähiges Ampelsystem" nannte Anschober als eines der zentralen Elemente "gegen die zweite Welle".

Abschnitt II: "Die zweite Welle"

4. 9. – Kurz, Kogler, Anschober, Nehammer (Daniela Schmid, Ages)
11. 9. – Kurz, Kogler, Anschober, Nehammer (Schmid)
17. 9. – Kurz, Kogler, Anschober, Nehammer
19. 10. – Kurz, Kogler, Anschober, Nehammer

Nach der offiziellen Sommerpause des Ministerrats kehrte das Corona-Quartett zurück. Bereits mehr als 300 Neuinfektionen wies das Dashboard des Gesundheitsministeriums am 2. September aus, doch neue Maßnahmen brachte die Regierung nicht mit. Nach dem Ministerrat wurde bloß die Empfehlung abgegeben, dass bei privaten Zusammenkünften nicht mehr als 25 Personen zusammenkommen sollen.

Bei der Pressekonferenz am 4. September hielt Bundeskanzler Kurz sein Statement für seine Verhältnisse auffallend gestrafft. Er wiederholte seine erstmals Ende August verkündete Metapher vom "Licht am Ende des Tunnels", evoziert von der Aussicht auf einen Impfstoff: "Positiv ist, und das haben wir ja schon mehrfach betont, dass wir mittel- bis langfristig Licht am Ende des Tunnels sehen."

An sich ging es an diesem Freitag hauptsächlich um die Corona-Ampel, die an diesem Tag ihren Betrieb aufnehmen sollte. Für Anschober war sie ein pathetischer "Fortschritt für die Transparenz" und ein Mittel, um je nach Farbe bindend regionale und lokale Maßnahmen einsetzen zu können.

Tatsächlich wurden solche verbindlichen Regeln, die an die Ampelfarbe jedes Bezirks geknüpft sind, nicht eingeführt, und so lassen sich Anschobers damalige Worte unabsichtlich ironisch interpretieren: "Natürlich brauchen wir ein paar Tage, was den Umsetzungszeithorizont betrifft, um das in gute Verordnungen zu gießen, und das ist auch, finde ich, für die andere Seite ganz gut, denn es gibt ja Betroffene, die sich darauf einstellen müssen."

"Das wird mit Sicherheit ein sportlicher Herbst", betonte Kogler, "das nicht nur, weil ich auch Sportminister bin, sondern es ist ganz klar." Mit der Ampel könne zwischen den Bundesländern "auch durchaus einmal ein positiver Wettbewerb" ausgerufen werden. Und auch Vergleiche mit anderen Staaten sollten an diesem Tag nicht fehlen.

Eine Woche später, am 11. September – die Neuinfektionsfälle lagen nun deutlich über 500 Fällen pro Tag –, wiederholte Kurz das Sprachbild, "Licht am Ende des Tunnels" zu sehen, und wies auf die Herausforderungen im Herbst und Winter hin. "Ich weiß, dass viele es noch nicht glauben, aber es wird wieder ernst", sagte der Kanzler. Wie auf Italien im Frühjahr griff er nun mit Israel, das kurz vor dem zweiten Lockdown stand, mehrfach auf ein Negativbeispiel zurück.

Die Drohungen mit Worst-Case-Szenarien dienten erneut als argumentative Stützen, um weitere Verschärfungen zu untermauen – wurde an diesem Tag doch unter anderem bekanntgegeben, dass die höchstzulässige Personenzahl bei Veranstaltungen ohne zugewiesene Sitzplätze auf 50 Personen verringert und der Mund-Nasen-Schutz in geschlossenen Räumen wieder verpflichtend würde.

Im Frage-Antwort-Teil der Pressekonferenz richtete Kurz eine "Bitte an die Medienvertreter", die neuen Maßnahmen "entsprechend zu kommunizieren", denn:

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) hatte auch eine schelmische Bemerkung für das Infektionsgeschehen in Wien übrig: "Ich bin sehr dankbar als Bürger, aber auch als Innenminister, dass es jetzt auch in der Wiener Stadtregierung zu einem Umdenken gekommen ist, dass die Lage sehr ernst genommen wird, wie sie sich derzeit darstellt. Mir persönlich, auch als Innenminister, wäre es lieber gewesen, früher als später. Aber besser als nie."

Am 17. September fand sich die Regierung – wie schon bei den Ausgangsbeschränkungen ein halbes Jahr zuvor – im rechtlichen Graubereich wieder und musste ihre PR danach ausrichten. Konkret stellte sich die Frage, ob die Einschränkung der Personenobergrenze bei privaten Veranstaltungen – nun auf zehn Personen indoor – auch für die eigenen vier Wände gelte. Kurz sagte, dass es verfassungsrechtlich nicht möglich sei, hier Vorgaben zu machen. "Wir regeln, was wir regeln können, und wir respektieren als überzeugte Demokraten in einem liberalen Rechtsstaat, dass es verfassungsrechtliche Grenzen gibt, und das betrifft die eigenen vier Wände."

Das hatte schon einmal anders geklungen, denn wenige Wochen zuvor hatte Kurz Kritik an den Corona-Gesetzen als "juristische Spitzfindigkeiten" abgetan. Anschober bekräftigte bei dieser Pressekonferenz: "Wir können nicht überall mit Gesetzen hineinregieren. Es gibt Grenzen". Tatsächlich befanden einige Experten, dass das nicht ganz richtig sei. Das Problem sei nur der Vollzug, die Polizei müsste nämlich in Wohnungen eindringen, um eine Kontrolle durchzuführen.

Von der juristischen Seite abgesehen, versuchte Kurz, die Menschen einmal mehr auf der Gefühlsebene abzuholen: "Gerade das, was vielen von uns Freude macht, ist oft der Ort für Ansteckungen. Auch gerade das, wo sich viele Menschen ganz besonders sicher fühlen, weil sie die handelnden Personen kennen, mit Freunden oder Familie unterwegs sind. Genau das ist oft der Ort für Ansteckung."

Kogler füllte seine Rolle ebenso und fuhr mit dem rustikalen Schmäh nach: Nach Après-Ski komme jetzt Après-Fußball, wo man genauso aufpassen müsse. Und auch Nehammer trat nun doch wieder etwas pointierter in Erscheinung.

Am 19. Oktober, einem Montag, der auf eine Woche fast täglicher Rekordwerte folgte, wurden die einschneidendsten Verschärfungen seit dem Frühling bekanntgegeben. Die Schuld für die Anstiege der täglichen Neuinfektionszahlen wurde nun nicht mehr wie im Sommer bei Balkanreisenden oder jungem Partyvolk gesucht, sondern bei Menschen, die laut Kurz versuchen, "jede Maßnahme irgendwie zu umgehen, indem sie sich dann privat treffen oder heimlich oder sonst irgendetwas", und bei jenen, "die sich weigern, die die Maßnahmen absichtlich ignorieren und die sogar andere jetzt mittlerweile dazu aufrufen, Maßnahmen zu brechen".

Auch in ihren Pressestatements zogen die Regierungspolitiker mehrfach Parallelen zum Frühjahr. Affektiv wie Anschober, als er sagte: "Im Frühling hat Österreich ganz großartig dagegengehalten, mit einem fantastischen Engagement der Bevölkerung." Oder inhaltlich wie Kurz, der Vergleiche mit den neuerlich exponentiell ansteigenden Infektionszahlen zog oder mit verschobenen Operationen.

Dabei suggerierte der Kanzler, dass mit Covid-19-Patienten überfüllte Krankenhausstationen im Frühling der Grund für solche Verschiebungen waren. Tatsächlich wurden Intensivstationen und OP-Säle damals in der – wie sich später herausstellen sollte: falschen – Erwartung einer höheren Covid-19-Patientenanzahl freigehalten oder freigemacht und standen deshalb trotz notwendiger anderweitiger Eingriffe häufig leer.

Anders als im Frühling, als der Lockdown knapp vor seinem Inkrafttreten noch dementiert wurde, ließ der Kanzler am Ende dieser Pressekonferenz anklingen, dass die strengsten Maßnahmen nun nicht mehr weit sein müssen: "Wenn der Trend so weitergeht, dann befinden wir uns in einer Situation, wie sich jetzt schon am heutigen Tag viele andere Länder in Europa befinden, die deutlich drastischere Maßnahmen setzen müssen als wir." (Daniela Yeoh, Jan Michael Marchart, Michael Matzenberger, Sebastian Kienzl, 29.10.2020)