In der Nähe von Prag errichtet die tschechische Armee ein Lazarett – für alle Fälle.

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Bereits ein kurzer Blick auf die europäische Corona-Ampelkarte zeigt: Dafür, dass die kalte Jahreszeit erst noch bevorsteht, schimmert Europa insgesamt bereits bedenklich rot. Vorsicht ist also schon jetzt geboten – bevor Grippeinfektionen das Gesundheitssystem zusätzlich belasten könnten und sich das Leben mehr und mehr in die ansteckungsgefährlicheren Innenräume verlagert. Auffällig sind dennoch die diversen regionalen Unterschiede.

So kommen etwa die skandinavischen Länder derzeit vergleichsweise gut weg: Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) veröffentlicht täglich eine Übersicht der sogenannten 14-Tages-Inzidenz, also der Zahl der Neuinfektionen während der vergangenen zwei Wochen pro 100.000 Einwohner. Schweden, das zunächst stark auf die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger gesetzt hatte, nun aber wie andere Länder regionale Maßnahmen ins Auge fasst, weist zwar derzeit steigende Zahlen auf, lag aber am Montag mit einem Wert von 85,3 immer noch klar im unteren Bereich der Skala. Noch besser schneiden mit 52,3 Finnland sowie mit 37,3 das nicht EU-Mitglied Norwegen ab. Auch im Baltikum steht man gut da, Estland gilt derzeit mit einer 14-Tages-Inzidenz von 35,6 als das Land mit den wenigsten Neuinfektionen.

Sorge um Weihnachten

Zum Vergleich lohnt nicht nur ein Blick nach Österreich (191,2), sondern auch einer ans andere Ende der Skala, konkret nach Tschechien, das am Montag mit 858,6 positiv Getesteten im Verlauf der letzten zwei Wochen einmal mehr den epidemiologischen Negativrekord in der EU hielt. Premierminister Andrej Babiš hat nun bereits Weihnachten im Blick: Die laufende Woche sei entscheidend für die weitere Ausbreitung der Pandemie, erklärte er am Montag via Facebook und forderte die Bevölkerung auf, die jüngsten Anti-Corona-Maßnahmen unbedingt zu befolgen. "Wir alle würden uns wünschen, ein wenigstens halbwegs normales Weihnachtsfest feiern zu können", so Babiš. "Es liegt allein an uns."

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Kritiker des tschechischen Regierungschefs würden sich allerdings wünschen, Babiš wäre schon vor den Anfang Oktober geschlagenen Regional- und Teilsenatswahlen so vorausschauend gewesen. Immer lauter werden die Stimmen, die ihm vorwerfen, unpopuläre Maßnahmen verhindert zu haben, um seiner liberal-populistischen Partei Ano nicht zu schaden. Das politische Ergebnis war für Ano durchwachsen – Sieg bei den Regionalwahlen, schlechtes Abschneiden bei der Wahl zum Senat –, die epidemiologische Bilanz jedoch ist eindeutig: Tschechien liefert weiter Rekordwerte bei den Infektionszahlen.

Bereits vergangene Woche hatte die Regierung verschärfte Maßnahmen verkündet, etwa die Begrenzung von Zusammenkünften auf sechs Personen, das Umschwenken auf Fernunterricht auch in den Grundschulen und einen weitgehenden Lockdown für die Gastronomie, mit Ausnahme von Gassenverkauf. Voraussichtlich am Mittwoch will die Regierung die Entwicklung erneut evaluieren.

Leere Straßen

Bei den Ländern, die derzeit mit besonders schlechten Zahlen zu kämpfen haben, wird Tschechien knapp von Belgien gefolgt, die 14-Tages-Inzidenz betrug dort am Montag 756,9. Die europaweit als gut vergleichbar anerkannte Kennzahl kann sich jedoch – wenigstens was die allerjüngsten Entwicklungen betrifft – auch als trügerisch erweisen: So weist etwa Italien mit 147,3 noch einen vergleichsweise niedrigen Wert auf, doch wurden dort allein am Sonntag 11.705 neue Fälle registriert, so viele wie noch nie binnen 24 Stunden. Bars und Restaurants müssen künftig um Mitternacht schließen, kündigte Premier Giuseppe Conte am Sonntagabend in Rom an. Bürgermeister erhielten von der Regierung zudem die Erlaubnis, öffentliche Plätze ab 21 Uhr zu sperren, um Massenansammlungen zu vermeiden.

In Slowenien gilt ab Dienstag eine Ausgangssperre von 21 bis 6 Uhr und ein Verbot von Auslandsreisen. Präsenzunterricht gibt es nur noch an Grundschulen. Polens Regierung verfügte wegen überlasteter Krankenhäuser, das Nationalstadion in Warschau teils zum Corona-Lazarett umzufunktionieren. Auch in der Schweiz, die anders als die EWR-Mitglieder Norwegen und Island in der EU-Ampel nicht erfasst ist, beschloss die Regierung am Sonntag eine Maskenpflicht in öffentlich zugänglichen Räumen. (Gerald Schubert, 19.10.2020)