Ein wenig fühlt man sich wie im Biologie-Unterricht. Nur dass der Eingeweidestrang, der da vor uns liegt, nicht wie anno dazumal aus Plastik, sondern echt ist. Und der Mann, der soeben das Innenleben des Tiers erklärt, kein Biologielehrer, sondern ein mehrfach ausgezeichneter Koch ist.

Um Wissensvermittlung geht es aber auch Steirereck-Impresario Heinz Reitbauer, genau wie den übrigen Akteuren des Kochcampus, einer Vereinigung von Gastronomen und Produzenten in Österreich, die seit 2010 zum Gedankenaustausch lädt. Reitbauer: "Wir tauschen uns aus, lernen und machen auf Themen aufmerksam." In diesem Jahr stand eine "Reise ins Innere" im Wiener Haubenrestaurant Steirereck auf dem Programm. 500 Stunden Arbeitszeit hat allein das Team des Steirereck in Experimente mit Milz, Leber und Herz investiert. Die für Reitbauer wichtigste Erkenntnis daraus hängt am Haken des Servierwagens.

Kein Filet bringt die Aroma- und Konsistenzspektakel zustande, zu denen Innereien imstande sind. Vorausgesetzt sie wurden fachgerecht zubereitet.
Foto: Helge Kirchberger Photography

Reitbauer veranschaulicht sie, indem er die Lunge des Kalbs am Haken mit einem Kompressor aufbläst. "An der Lunge und der Niere kann man die Tiergesundheit am eindeutigsten ablesen. Dieses Tier, das vor einigen Stunden noch auf unseren Weiden in der Steiermark gegrast hat, hat keine Narben oder Verfärbungen an der Lunge", so Reitbauer über die Lungenflügel, die sich gerade medizinballgroß entfalten. Natürlich habe man sich schon immer Gedanken um die Qualität der Produkte gemacht.

Sternekoch Heinz Reitbauer erklärt, wie man anhand der Innereien eines Tieres auf die Gesundheit des Tieres und in Folge auf die Fleischqualität schließen kann.
Foto: Helge Kirchberger Photography

"Auch bei den Innereien haben wir wie üblich auf Geschmack und Konsistenz getestet. Aber dass die Tiergesundheit über allem steht, das haben wir nicht behirnt." So werde zwar die Lunge eines Tieres, das an einer Lungenentzündung leidet, nicht verkauft, dessen Fleisch aber schon. "Schädlich in dem Sinn ist es nicht, aber wie nährend kann das Fleisch eines derart kranken Tiers sein?"

Innereienküche ist urwienerisch: Heinz Reitbauer zeigt auf, warum man insbesondere heutzutage nicht auf die inneren Werte vergessen sollte.
Foto: Helge Kirchberger Photography

Gesund leben und sterben

Dass nur ein gesund lebendes Tier auch gesundes Fleisch gibt, braucht man Christoph Zotter nicht zu erzählen. Er hat sich mit der Zotter Fleischmanufaktur der Vermarktung von Kalb- und Rindfleisch verschrieben. Beim "Kochcampus" liegt die Leber einer seiner Kälber neben der eines Mastkalbs aus Holland. Die Unterschiede sind eklatant: Die Leber des Mastkalbs ist heller, von einem weißen, wenig appetitlich anmutenden Film überzogen und nahezu doppelt so groß wie die des steirischen Kalbs.

Leider habe die Massentierhaltungslobby den Konsumenten falsch geschult, sagt Zotter. Nämlich dass Kalbsfleisch unbedingt ganz hell sein muss. Um das zu erreichen, leide das Kalb aber sein Leben lang an Eisenmangel. Zotter: "Das steht halt auf keiner Verpackung." Es gehe sogar so weit, dass an Stellen, an denen das Wasser besonders eisenhältig ist, keine Maststationen errichtet werden. Ganz abgesehen davon, dass die Kälber ihre Mutter, Muttermilch und frische Weidengräser sowieso nicht zu Gesicht bekommen. Auch an Bewegung wird gespart, damit das Tier schneller und größer wächst.

Die Leber eines steirischen Freiland-Kalbes (li.) und die eines Mastkalbes aus Holland (re.) im Vergleich.
Foto: Helge Kirchberger Photography

Zotter: "Die Leber unserer Tiere wiegt in etwa drei Kilogramm, die eines Mastkalbs sechs." Die Innereien-Aufbahrung am Kochcampus-Tag dient der Bewusstseinsbildung und dem Aufzeigen des Potenzials der sogenannten "sekundären Fleischteile" wie Herz, Milz und Konsorten. Schließlich ist die Innereienküche, abgesehen von der Rindfleisch-Küche, die einzig originale Wiener Küche. Weil sie hier entstand und nicht aus einem der ehemaligen Kronländer nach Österreich importiert wurde.

Kochcampus im Steirereck.
Foto: Helge Kirchberger Photography

Echte Wiener

Beuschel, gebackene Nierndln, Hirn mit Ei – wienerischer geht es kaum. Wer das gut zubereiten kann, der versteht sein Handwerk. Denn Innereien erfordern, abgesehen von wenigen, recht simpel zuzubereitenden Produkten wie Zunge oder Hirn, einiges an Können, um sie in Delikatessen zu verwandeln. Dann jedoch sind sie in puncto Facettenreichtum und Aromenpalette nahezu unerreicht.

Der Wiener Koch Jürgen Wolf hat sich für Wolf. Ein Kochbuch durch zahlreiche antike Wiener Kochbücher gekocht und die Rezepte in die Neuzeit geholt – darunter eine Menge Innereiengerichte. "Die Community der Innereienliebhaber wird immer größer, die Nachfrage steigt stetig an", sagt Wolf.

Auch Reitbauer ist eingefleischter Innereien-Fan: "Wenn ich in meinem Leben nur noch ein Stück Fleisch essen dürfte, es wäre das ein Nierndl von einem Zicklein. Das Fett, das Fleisch, die Konsistenz, das gibt es kein zweites Mal."

Ganz abgesehen davon, dass sowohl Wolf wie auch Reitbauer am liebsten schon vor der Schlachtung wissen, wie jeder Teil des Tiers verwertet wird. Und da gehören Lunge, Hirn und Herz nun einmal dazu. (Nina Wessely, 21.10.2020)

Hans Reisetbauer (l.), Schnapsbrenner und Präsident des Kochcampus mit Steirereck-Chef Heinz Reitbauer (r.).
Foto: Helge Kirchberger Photography

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Wiener Klassiker: Zunge kitzelt Gaumen

Wiens kulinarische Kulturlandschaft wäre ohne Innereien nicht dieselbe. Die Rezepte entstammen einer kargen Zeit, in der man gar nicht darüber nachdachte, Teile eines Tieres unverwertet zu lassen. Auch andere Länder wie Italien und Frankreich, deren Küchen eng mit der Landwirtschaft verwoben sind, pflegen die Tradition der Innereienküche, aber Beuschel, Bruckfleisch und Milzschnitte sind echte Wiener Kulturgüter.

Herz von Truthahn, Reh und Taube: meisterhaft zubereitet, ein Aromenspektakel
Foto: Helge Kirchberger Photography

Beuschel ist ein traditionelles Gericht, das aus Innereien wie Herz oder Lunge, meist vom Rind, teils auch vom Fisch zubereitet wird. Der Name leitet sich vom Begriff "Bausch" ab, so wurden die Eingeweide des Tieres bezeichnet. Im Jägerrecht gebühren die Innereien nach wie vor dem Schützen.

Bruckfleisch bezeichnet eine Art Gulasch aus Wurzelgemüse und Innereien von den Herzröhren über das Kronfleisch bis hin zu Milz, Leber und Herz.

Milzschnitte ist eine traditionelle Suppeneinlage, die aus geschabter Milz und Ei auf Weißbrot herausgebacken wird.

Hirn mit Ei gewinnt die Protein-Challenge der Wiener Küche als geballte Portion Eiweiß mit unglaublich zarter Konsistenz.

Blunzn, die Blutwurst, ist weder aus unserem Sprachgebrauch noch von unseren Tellern wegzudenken.

Bries ist eine hervorragende Millionenshow-Frage und eine Wachstumsdrüse, über die nur junge Tiere wie das Kalb oder das Kitz verfügen. Geschätzt wegen seiner zarten Konsistenz.

Zunge, oft vom Schwein teils vom Kalb, ist einfach zu verarbeiten – lange mit Wurzelgemüse kochen! – und punktet dann als kalter, sauer abgemachter Aufschnitt ebenso wie im Weckerl.