Der 11. Oktober dürfte ein schicksalhafter Tag in Zusammenhang mit dem Spannungsfeld der Politik sein. An diesem Datum im Jahr 1987 wurde der einstige Ministerpräsident Schleswig-Holsteins und, bis zur “Barschel-Affäre“ und dem damit verbundenen “Ehrenwort“, große Zukunftshoffnung der CDU, Uwe Barschel, tot in der Badewanne des Zimmers 317 im Hotel Beau-Rivage in Genf aufgefunden. Am selben Tag nur 21 Jahre später verunglückte der Kärntner Landeshauptmann und Ikone der FPÖ, Jörg Haider, tödlich bei einem Autounfall. Weitere zwölf Jahre vergehen, bis die Freiheitlichen an jenem schicksalshaften Kalendertag einen der bis dato schlimmsten Politabstürze für das dritte Lager in der österreichischen Bundeshauptstadt erleiden. So oder so ähnlich könnte man an einer gefinkelten Verschwörungstheorie basteln. Doch in Wirklichkeit handelt es sich in diesem Kontext schlichtweg um eine Koinzidenz, nämlich ein zeitliches Zusammenfallen von Ereignissen, bei dem auf einen kausalen Zusammenhang zu schließen logisch betrachtet ein Fehlschluss oder eine berühmte Scheinkorrelation wäre.

Die FPÖ hat in Wien eine historische Wahlniederlage eingefahren.
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Tiefenpsychologie des dritten Lagers

Unabhängig vom beschriebenen Phänomen der Koinzidenz und dem damit verbundenen traurigen Kismet - in der islamischen Kultur ein dem Menschen von Gott zugeteiltes Los, dem er nicht entgehen kann - haben derartige Ereignisse immer eine tiefere Bedeutung. Die Tiefenpsychologie fasst alle psychologischen und psychotherapeutischen Ansätze zusammen, die unbewussten seelischen Vorgängen einen hohen Stellenwert für die Erklärung menschlichen Erlebens und Verhaltens beimessen. Es geht somit um eine tiefere Analyse von Ereignissen, jenseits von rein symptomatischen Diagnosen.

Was haben nun Barschel, Haider und im weitesten Sinne die Wahlniederlage der FPÖ in Wien gemeinsam? Es ist die Problematik der psychosozialen Dynamik. Barschel, Haider sowie die FPÖ waren auf der Überholspur des Lebens unterwegs, in der oft wenig Zeit für eine differenzierte individuelle Weiterentwicklung und Selbstreflexion bleibt, welche aber für qualitatives Wachstum und nachhaltigen Erfolg umso wichtiger sind. Am Beispiel der FPÖ kann man gut sehen, dass das reine Gewinnen von Wahlen in Serie nicht nur vorteilhaft ist, denn die persönliche Eigendynamik und jene als politische Kraft kann man nicht mit Hilfe eines übersteigerten Selbstwertgefühls kompensieren. Ein Entfliehen ist gegebenenfalls nur mit harter Arbeit an sich selbst überhaupt möglich.

Wachstum als Prüfung

Jedes Wachstumsstadium ist gleichzeitig eine Prüfung, ob man den Anforderungen gewachsen ist. In diesem Kontext hat im Speziellen die FPÖ anscheinend zu schnell an Wählerstimmen zugelegt, ohne gleichzeitig innerparteilich zu reifen. In der Natur gibt es die berühmte biologische Grenze und Bäume wachsen daher nicht in den Himmel. Anstatt für Krisenzeiten zu planen, war man in der Regierung mit der ÖVP durchaus zufrieden über das Erreichte und dachte wahrscheinlich nicht viel über mögliche Schwachstellen oder Defizite nach. Hier geht es nicht um Einzelfälle auf einer Mittelmeerinsel, an denen sich gänzlich abzuarbeiten etwas zu einfach wäre. Vielmehr sollte man sich als politische Gesamtbewegung für die Zukunft die Frage stellen, welchen Anteil jeder einzelne Funktionär, ob ganz oben oder weiter unten in der Hierarchie, an der negativen Gesamtgenese hatte. Diese Analyse kann zu einem Turnaround der Gesinnungsgemeinschaft der Freiheitlichen führen. Wenn aber der Eigenanteil an dem Desaster verdrängt und auf andere projiziert wird, kann kein erfolgreicher Neustart gelingen. (Daniel Witzeling, 21.10.2020)

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