Der Bundesrettungskommandant des Roten Kreuzes, Gerry Foitik, erntete am Anfang vor allem Kritik, dann auch Zuspruch.

Foto: APA/ Helmut Fohringer

Wer es auch war, er wollte Gerry Foitik offensichtlich nichts Gutes: Ein anonymer Insider hatte ein Ideenpapier des Bundesrettungskommandanten des Roten Kreuzes für das Corona-Krisenmanagement der Regierung an die Öffentlichkeit gespielt. Ein Punkt daraus sorgte für Aufregung. Foitik schlug vor, sogenannte K1-Personen, die einen engen Kontakt zu Corona-Infizierten hatten, aber keine Symptome aufweisen, nicht mehr automatisch testen zu lassen. Ein Argument dafür lieferte er in seinem "Policy Brief" mit dem Stichwort "Wintertourismus": Werden K1-Personen nicht mehr getestet, drückt das die Infektionszahlen. Die Einstufung durch die anderen EU-Länder würde sich verbessern, Reisewarnungen könnten fallen.

Als in der Folge Kritik losbrach, gab Foitik den Missverstandenen. Es gehe ihm nicht um Zahlenmanipulation für eine florierende Wintersaison, betonte der Rot-Kreuz-Chef und argumentierte mit der Notwendigkeit, die knappen Testressourcen gezielter einzusetzen. K1-Personen müssten ohnehin in Quarantäne, ein Test hätte für sie keine Auswirkungen: Ein negatives Ergebnis befreit nicht aus der Quarantäne, ein positives zieht keine Therapie nach sich, wenn keine Beschwerden vorliegen. Außerdem seien dann die Zahlen international vergleichbarer, denn Fakt ist: In vielen EU-Ländern werden die Kontaktpersonen nicht oder nur lückenhaft getestet. Von den Neos kam bereits Zuspruch.

"Da darf es null Toleranz geben"

Aber hat die Argumentation des angeblichen Schönrechners etwas für sich? Christoph Steininger, Virologe an der Universität Wien, hat sich bei Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) über die angedeutete "Manipulation der Infektionszahlen" beschwert. "Unfassbar" nennt er auf Nachfrage des STANDARD Foitiks Verweis auf den Wintertourismus. "Wenn ich als Forscher an dieses Motiv auch nur denke, ist dies das Ende meiner Karriere", sagt Steininger, "da darf es null Toleranz geben".

Den unlauteren Beweggrund aber ausklammert, bewertet der Experte die Ansätze des Rettungskommandanten differenziert. In der Sache sieht auch Steininger "keinen zwingenden Grund", K1-Personen zu testen. Allerdings müsse die Behörde dann klar ausweisen, dass die Dunkelziffer viel höher ist und die offiziellen Zahlen nur die Spitze des Eisbergs zeigen.

Anderer Meinung ist die Virologin Dorothee von Laer. Die Leiterin der Virologie an der Med-Uni Innsbruck will laut orf.at weiterhin K1-Personen testen. 20 bis 45 Prozent der Infizierten seien asymptomatisch, sagt von Laer, und diese würden zur Verbreitung des Virus beitragen. Nur weil andere Länder nicht so viel testen wie Österreich, sollte man hierzulande nicht seine Strategie anpassen. "Wir sollten das machen, was wir als optimal ansehen", so von Laer gegenüber dem ORF.

Gegenüber dem ORF gab auch die niederösterreichische Landessanitätsdirektorin Irmgard Lechner zu bedenken, dass die weitere Kontaktnachverfolgung dadurch schwieriger werde.

Virologe: Reduktion der Quarantäne auf fünf Tage sinnvoll

Als sinnvoller beurteilt der Virologe Steininger eine andere alternative Idee aus dem Diskussionspapier. Tatsächlich sei es überlegenswert, Kontaktpersonen bereits nach fünf statt erst zehn Tagen aus der Quarantäne zu entlassen, wenn ein negatives Testergebnis vorliegt. Schließlich zeige ein PCR-Test ein positives Ergebnis schon drei Tage vor Ausbruch der Krankheit an, womit für insgesamt acht Tage Sicherheit gegeben wäre. Allerdings müssten die Testresultate dafür rasch vorliegen – "sonst warten die Betroffenen erst recht wieder tagelang in der Quarantäne".

"Ganz bei Foitik" ist Steininger deshalb beim Ruf nach einer schnelleren Abwicklung via Selbsttest und App: "Ich verstehe nicht, warum die Regierung das nicht schon längst aufgegriffen hat." Geärgert hat er sich nur darüber, dass Foitik ein neues, teures Projekt vorgeschlagen hatte, obwohl Steiningers Firma Lead Horizon längst ein Verfahren fertig ausgearbeitet hat.

Ob Wintertourismus, wie ihn Foitik angesprochen hat, in Pandemiezeiten denn überhaupt verantwortungsvoll abgewickelt werden könne? Mit vernünftigen Konzepten sei dies durchaus möglich, glaubt Steininger: "Ich habe jedenfalls gebucht und setze alles daran, Ski fahren zu gehen."

Entlastung für Behörden

Franz Hörl, ÖVP-Abgeordneter, Landesobmann des Tiroler Wirtschaftsbundes, Obmann des Fachverbandes der Seilbahnwirtschaft und Hotelier, befürwortet Foitiks Vorschlag. Am Montag hörte er zum ersten Mal davon, dass Deutschland bei K1-Personen von Fall zu Fall entscheide, ob getestet wird oder nicht. "Es wäre vernünftig, mit Deutschland mitzutun, von dort kommen unsere Gäste", sagt Hörl. Auf Ebene der Landesregierung habe er das bereits zum Thema gemacht. Aus Sicht jener Behörden und Organisationen, die die Tests durchführen, könnte es auch eine enorme Entlastung sein, wenn sie nicht mehr alle Kontaktpersonen testen müssten, meint Hörl. "Die wären heilfroh."

Die zuständige Amtsärztin in Tirol hätte allerdings eingeworfen, dass die momentane Regelung sicherer sei. Es könne nämlich durchaus sein, dass man sich mit einer Corona-positiven Person am Arbeitsplatz oder im Gasthaus aufhalte, repliziert Hörl den Einwand – wenn diese zwar symptomlos bleibe und deshalb nicht getestet werde, könnte das Auswirkungen auf die Familie haben. Derzeit ist es so, dass alle K1-Personen so rasch wie möglich getestet werden müssen und – wenn es die Kapazitäten zulassen – noch einmal fünf Tage nach dem letzten infektiösen Kontakt.

Schaumgebremst bei "Lockdown light"

Hörl will aber an der Quarantäne rütteln. Auf Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) ist er dahingehend gar nicht gut zu sprechen. Im Sommer wurde ein Freitestkonzept vom Tiroler Einsatzstab an Anschobers Ministerium geschickt. Darin steckt unter anderem die Idee, dass Kontaktpersonen durch regelmäßiges Testen wie bei Altersheimen, den Gemüsebauern und im Gesundheitssystem im Betrieb gehalten werden sollen, um eine Schließung zu verhindern. "Da sind wir keinen Schritt weiter."

"Schaumgebremst" sieht der Wirtschaftsbündler die Forderung nach einem "Lockdown light", um den Wintertourismus zu retten. Diese stellte der Hotelier Christian Harisch am Sonntag in "Im Zentrum" auf. Harisch ist auch Teil der einflussreichen Unternehmerplattform Tiroler Adlerrunde. "Wenn man alles aus Sicht des Tourismus sieht, dann macht das Sinn", sagt Hörl. "Man muss aber die Gesamtwirtschaft im Blick haben. Wir werden nichts machen, was anderen schadet." (Gerald John, Jan Michael Marchart, 20.10.2020)