Ist es ein Vogel? Ist es eine Fledermaus? Es ist ... ein Scansoriopterygid.
Illustration: Gabriel Ugueto

Dreimal, soweit bekannt, haben Wirbeltiere das Fliegen erlernt. Zweimal davon – die Pterosaurier und die Fledermäuse – taten sie es mit Flughäuten. Nur die Vögel setzten mit ihren Schwungfedern auf ein alternatives System. Doch auch in deren Umfeld waren kurzfristig Flughäute im Spiel, wie einige sehr ungewöhnliche Fossilienfunde aus jüngerer Vergangenheit gezeigt haben.

Tiergruppe mit Potenzial

Wenn man genau sein will, müsste man eigentlich eher sagen, dass die theropoden Dinosaurier das Fliegen gelernt haben, nicht (nur) die Urvögel. Paläontologen gehen heute davon aus, dass es innerhalb einer größeren Dinogruppe, zu der auch die Ahnenreihe der heutigen Vögel zählt, mehrmals unabhängig voneinander dazu kam, dass kleine Dinosaurier das Fliegen oder zumindest das Gleiten erlernt haben.

Das dürfte schon vor 150 bis 160 Millionen Jahren so gewesen sein, als Archaeopteryx und andere mögliche "Urvögel" lebten. Und es setzte sich noch fort, als sich die frühen Vögel bereits etabliert hatten. Vor 120 Millionen Jahren etwa folgte ihnen Microraptor in die Luft, der auch an den Hinterbeinen Schwungfedern hatte. Ob er aktiv fliegen oder nur gleiten konnte, ist allerdings umstritten.

Ein Sonderweg

Innerhalb dieser potenziell stets am Sprung in die Luft stehenden Dinosauriergruppe gab es allerdings einen ganz besonderen Seitenast, der sich letztlich nicht durchgesetzt hat. Diese Tiere, die Scansoriopterygiden, lebten einige Millionen Jahre vor Archaeopteryx und hatten zwar ein Federkleid – aber keine Schwungfedern. Stattdessen verfügten zumindest einige von ihnen über Flughäute, die an die von Pterosauriern oder Fledermäusen erinnern mögen, auch wenn sie im Detail etwas abweichen.

2015 sorgte die Entdeckung der Fossilien eines solchen Tiers in China für großes Aufsehen. Es erhielt die Bezeichnung Yi qi, und 2019 folgte ihm mit Ambopteryx longibrachium ein naher Verwandter, ebenfalls in China gefunden. Die beiden Mini-Drachen waren etwa so groß wie Tauben, hatten einen kurzen Kopf mit abgerundeter Schnauze – und eben Flughäute, die sich zwischen den Fingern und einem langen spornartigen Knochenfortsatz am Handgelenk aufspannten. Das kann man aus den fossilierten Überresten von Haut an den betreffenden Stellen schließen. Ob die Flughäute auch am Körper ansetzten, ist nicht bekannt.

Hätten die Vögel also auf ihren Sonderweg verzichten und so wie die fliegende Konkurrenz auf Flughäute setzen können – mit dem Ergebnis, dass wir das Geräusch ledriger Schwingen heute nicht nur in der Nacht, sondern auch tagsüber hören würden? Ein klares Nein dazu kommt nun von Forschern der privaten Mount Marty University in South Dakota. Das Team um Thomas Dececchi hat die Flugfähigkeit der Scansoriopterygiden berechnet – und ist zum Ergebnis gekommen, dass die Tiere nicht konkurrenzfähig waren.

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Yi qi im Flug: Einen Anblick wie diesen hatte die Evolution nur für kurze Zeit zu bieten.
Illusgtration: AP/Dinostar Co. Ltd

Basis der Studie waren Fossilien, die mit der LSF-Methode ("Laserinduzierte Fluoreszenz") untersucht wurden, wodurch Reste weichen Gewebes erkennbar werden, die im optischen Spektrum nicht sichtbar wären. Aus den gefundenen Spuren solchen Gewebes leiteten die Forscher anschließend mathematische Modelle zu Faktoren wie Masse, Muskulatur und Flügelspannweite ab. Die Ergebnisse wurden im Fachblatt "iScience" veröffentlicht – und sie stellen den kleinen Dinos kein gutes Zeugnis aus.

Laut Dececchi müsste man sämtliche Parameter auf den jeweils günstigsten Extremwert drehen, um zu einem Tier mit echter Flugfähigkeit zu kommen. Dieser hypothetische Flieger müsste die Ausmaße der größten Fledermaus haben, zugleich aber das geringstmögliche Gewicht, dazu eine Flügelschlagfrequenz, wie sie nur die wirklich schnellen unter den Vögeln haben – und zu guter Letzt auch noch hypertrophe Muskeln. Nur bei einer derart unwahrscheinlichen Merkmalskombination wären Yi und Ambopteryx dazu in der Lage gewesen, vom Boden abzuheben und aktiv zu fliegen. Die Wahrscheinlichkeit spreche also sehr stark dafür, dass die Tiere nur gleiten konnten – und laut den Berechnungen nicht einmal das besonders gut.

Nüchterner Nachruf

In dieser halbherzigen Anpassung liegt für Dececchi der Grund, warum die Scansoriopterygiden schon nach wenigen Millionen Jahren wieder verschwanden. Sie konnten auf Bäume klettern – waren darin aber nicht so gut wie andere Dinosaurier oder Säugetiere, die beim Klettern nicht durch Flügel behindert wurden. Und sie konnten sich zwar aus dem Geäst abstoßen, um beispielsweise bei Gefahr schnell zu entkommen. In der Luft konnten sie aber weder mit den alten Pterosauriern noch mit den bald nachrückenden Urvögeln mithalten.

Ein paar Millionen Jahre lang komme man als "Minderleister" vielleicht durch, aber irgendwann sei der Konkurrenzdruck einfach zu groß, sagt Dececchi, der sich nicht unbedingt als Verfasser gefühlvoller Nachrufe aufdrängt. Sein abschließender Befund zu diesen etwas anderen Beinahe-Vögeln: "Sie konnten am Boden nicht gewinnen. Sie konnten in der Luft nicht gewinnen. Sie waren fertig." (jdo, 26. 10. 2020)