Aus grau wird grün: Das Stadtentwicklungsprojekt Greenovation will nachhaltige Ideen für Wien durch Bürgerbeteiligung fördern.

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Die Anwohner in die Stadtentwicklung miteinzubeziehen ist nicht nur ein erklärtes Ziel der Stadt Wien. Weltweit gibt es zahlreiche Projekte, die den Bürgern Mitsprache bei der urbanen Gestaltung einräumen wollen. Ein Team von Wiener Jungwissenschaftern hat nun einen Prototyp für ein Partizipationsmodell entwickelt, das die Mitsprache noch niederschwelliger und umfassender ermöglichen könnte – und dabei Spaß machen soll.

"Ortsansässige Leute wissen am besten, was ihr Grätzel braucht", sagt Martina Schmidl vom fünfköpfigen Team des Projekts Greenovation. Herzstück des Projekts ist eine App, durch die Menschen per Smartphone Vorschläge für die Stadtentwicklung einbringen können. Andere Nutzer können über diese Vorschläge abstimmen, Änderungen anregen und ihre Meinung einbringen. Der Prototyp dafür wurde im September entwickelt. In Gesprächen mit der Stadt Wien soll nun gemeinsam an der Realisierung gearbeitet werden.

Lösungen statt Probleme

Ein mögliches Anwendungsbeispiel für Greenovation wäre das folgende: Wenn man in der Früh an der Bushaltestelle wartet und sich über die graue Betonwüste rings um sich ärgert, kann man das Smartphone zur Hand nehmen und auf einer Karte einzeichnen, wo eine Begrünung wünschenswert wäre: Hier ein Baum, da ein Beet, dort eine Bank? Ein Maschine-Learning-Prozess im Hintergrund erleichtert die Eingabe, vorgefertigte Elemente wie Sitzplätze oder Zebrastreifen lassen sich rasch auswählen, eine künstliche Intelligenz fertigt eine Visualisierung an, wie die begrünte Fläche aussehen würde – samt kühlendem Baumschatten. Und während man dann im Bus sitzt, diskutieren bereits andere Anrainer die Idee. Einen Tag später hat der Vorschlag so viele Likes gesammelt, dass sich die Stadtverwaltung damit befasst – so zumindest die Hoffnung der Entwickler.

Schon jetzt betreibt die Stadt Wien die App "Sag’s Wien", durch die Bürger Probleme in der Stadt wie eine Öffi-Störung oder Gefahrenstellen via Smartphone unkompliziert den Behörden melden können. "Solche Problemmelder, wie sie auch viele andere Städte haben, sind klarerweise auf Probleme fokussiert, nicht auf die Lösungen. Das wollen wir mit Greenovation umdrehen", sagt Juan Carlos Carvajal Bermúdez, der ebenfalls Teil des Projektteams ist.

Bürger als Mitgestalter

Bermúdez forscht in seiner Dissertation an der Bauhaus-Universität Weimar zu neuen Methoden der Bürgerbeteiligung durch digitale Technologien. Die Case-Studies für seine Arbeit hat er an seinem Wohnort Wien durchgeführt. "Mit Greenovation sehen wir die Bürger als Mitgestalter der Stadt, sie kennen ihr Grätzel viel besser als die Behörden und wissen, wo die Probleme, aber auch die Chancen liegen", sagt Bermúdez.

Um die Wünsche, beispielsweise nach mehr Grünflächen, in einen größeren Kontext zu setzen, sollen bestehende Daten zu Parkplätzen und Grünflächen in verschiedenen Bezirken nutzerfreundlich in der App aufbereitet werden, sagt Martin Stohanzl, der Smart Homes und Assistive Technologien an der FH Technikum Wien studiert.

Leerstand nutzbar machen

Sieht man einmal von den Vorschlagsmöglichkeiten zur Gestaltung des öffentlichen Raums ab, hegt die Initiative noch weitergehende Pläne. Eine zusätzliche Möglichkeit, die Greenovation eröffnen will, ist, dass Menschen nicht nur Ideen einbringen können, sondern auch Fähigkeiten, Zeit und Ressourcen. So könnten Nutzer einen Leerstand per App melden und Vorschläge für eine künftige Nutzung einholen. "Leute, die im Grätzel leben, wissen eher, was es in der Gegend braucht und welche Nutzung funktionieren könnte", sagt Schmidl, die als Postdoc am Institut für Orientalistik der Universität Wien tätig ist. Weniger ihr fachliches denn ihr privates Interesse hat sie dazu gebracht, sich in einem Projekt für nachhaltige Stadtentwicklung zu engagieren.

Nachhaltigkeit und Anpassung an den Klimawandel ist den Entwicklern von Greenovation ein besonderes Anliegen. Gabor Herbst-Kiss ist Doktoratsstudierender in Astronomie an der Uni Wien. In seiner Masterarbeit hat er sich mit dem Klima auf dem Mars beschäftigt, in Greenovation deckt er nun den Bereich des irdischen Stadtklimas ab. Doch was tun, wenn sich im partizipativen Prozess die grünen Ideen einfach nicht durchsetzen wollen? "Es gibt auch einen Dislike-Button", sagt Herbst-Kiss, damit ließen sich Ideen herabstufen. "Uns geht es einfach darum, diese Diskussion zu führen", sagt Bermúdez.

Daten für Forschungszwecke

Die Idee zu Greenovation entstand im Rahmen des zweitägigen Hackathons "Citizen Science meets Societal Challenges", der im September an der Universität Wien stattfand. Organisiert wurde der Hackathon vom Wissenstransferzentrum Ost, unterstützt durch die Förderbank AWS und die Nationalstiftung. Das interdisziplinäre Projektteam ging als Gewinner hervor. Nächstes Jahr soll ein verbesserter Prototyp entwickelt werden.

Der Citizen-Science-Ansatz wird nicht nur durch die Beteiligung von Bürgern verfolgt. Die Daten, die auf der Plattform generiert werden, sollen auch anonymisiert für wissenschaftliche Studien bereitgestellt werden. Schmidl dazu: "Wir wollen uns ansehen, welche Folgen es hat, wenn die Leute ihre Umgebung einfach verändern können. Führt das dann auch zu mehr politischer Partizipation in einem anderen Bereich?" (Tanja Traxler, 25.10.2020)