"Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit" ist der Wahlspruch der Secession. Künstlern kann das Strafrecht die Freiheit allerdings nehmen, wie sich im Wiener Straflandesgericht zeigt.

Foto: Robert Newald

Wien – Der 56-jährige Angeklagte, der vor Richter Stefan Renner sitzt, ist eigentlich ein international renommierter Künstler. Mittlerweile ist aber von ihm häufiger im Chronik- als im Kulturteil zu lesen, ist es doch bereits sein sechstes Zusammentreffen mit der Strafjustiz. Vier Vorstrafen hat er, die teils auch zu Gefängnisaufenthalten geführt haben, alle standen im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen im Sorgerechtsstreit um seinen Sohn.

Diesmal wird ihm Verleumdung und Nötigung vorgeworfen: Er soll zwei Wochen nach seiner jüngsten Haftentlassung begonnen haben, Telefaksimiles an die Arbeitgeber von Intimfeinden zu verschicken, in denen diesen strafbares Verhalten wie sexuelle Belästigung von Untergebenen vorgeworfen wird. Einen Verwandten soll er im Sommer telefonisch genötigt haben.

Jüngeren Mitlesenden sei erklärt, dass ein Telefaksimile besser unter dem Begriff Fax bekannt ist, eine via Telefonleitung übermittelte Fernkopie aus der Zeit vor dem Internet. Im Gegensatz zum Telegramm bietet die österreichische Post diesen Service noch immer in ihren Filialen an.

Verdächtige Absendeorte

Der selbstbewusst und eloquent auftretende Angeklagte bekennt sich in allen Anklagepunkten für "nicht schuldig". Nein, er habe keine Faxnachrichten an die Arbeitsstätten seines Ex-Schwagers sowie eines ehemaligen Vorgesetzten geschickt. Lustigerweise wurden die Botschaften aus einem Callshop und einer Post in seinem Wohnbezirk übermittelt.

Ja, er besuche sowohl den Callshop als auch die Post gelegentlich, gibt er zu. Dass er an zwei der inkriminierten Tage auf Überwachungsvideos der Post zu sehen ist, sei kein Zufall: Einmal habe er einem Manager im Ausland einen vierseitigen Vertrag geschickt, einmal eine Kopie seines Führerscheins. Warum just an diesen Tagen auch die angeklagten Nachrichten geschickt worden sein sollen? Der Angeklagte vermutet eine Intrige: Ihm feindlich gesonnene Personen könnten das inszeniert haben.

Drohung mit Besuch durch Serben

Auch dafür, warum sein Verwandter behauptet, der Angeklagte habe ihm telefonisch gedroht "Ich kenn aus dem Häfn ein paar Serben, die kommen durch deine geschlossene Tür. Ich mach mir selbst die Finger nicht schmutzig!", hat der 56-Jährige eine Erklärung. Er wirft dem Verwandten vor, Geld veruntreut zu haben. Der habe also ein Motiv, ihn zu verleumden. Aber in dem Gespräch sei es um eine Familienangelegenheit gegangen. "Es wäre doch widersinnig, wenn ich etwas von ihm will und ihn im selben Gespräch bedrohe!", argumentiert er durchaus schlüssig. Außerdem drücke er sich so nicht aus.

Überhaupt habe er sich seit seiner Entlassung Anfang April an alle Auflagen gehalten: Er besuche wöchentlich eine Psychotherapie, dem Wohnort seiner Ex-Frau habe er sich nicht mehr genähert. Seinen Sohn sehe er nur bei der Straßenbahnstation.

Es droht also ein langes Beweisverfahren zu werden, in dem Staatsanwalt Bernhard Löw versuchen muss, den Angeklagten durch Indizien zu überführen – und der Verteidiger, diese Indizien zu entkräften. Doch es kommt schon während der Befragung der ersten Zeugin anders.

Verräterische Posttarife

Die ist eine Mitarbeiterin des Sicherheitsmanagements der Post und berichtet, dass jede Postfiliale ein "Fax-Journal" führt. Darin werden die Umsätze über alle gesendeten Nachrichten vermerkt – ohne Absender oder Empfänger. An jenem Tag, an dem der Angeklagte den vierseitigen Vertrag ins Ausland übermittelt haben will, gibt es nur zwei Einträge: einmal über 4,99 Euro und einmal über 2,99 Euro.

Der Zeugin sagen diese Gebühren zwar nichts, ein Blick ins Internet verrät aber, das 2,99 Euro der Tarif für maximal drei gefaxte Seiten im Inland ist, und maximal drei Seiten ins Ausland 4,99 Euro kosten. Hätte der Angeklagte, wie er behauptet, also vier Seiten über die Grenzen geschickt, müsste ein Betrag von 9,98 Euro aufscheinen.

Die Dame von der Post wird dann von Richter Renner noch gebeten, die Überwachungsvideos zu betrachten. Unter anderem ist dabei der Angeklagte zu sehen, wie er angeblich seine Führerscheinkopie faxt. Sowohl Staatsanwalt Löw als auch Privatbeteiligtenvertreter Otto Dietrich fällt dabei etwas auf: Als der Postangestellte das Dokument des Angeklagten entgegennimmt und zurückgibt, ist es für Sekundenbruchteile zu sehen. Renner stoppt die Aufnahme und hält das inkriminierte Fax neben die Projektion. "Das hat schon eine frappierende Ähnlichkeit, und Führerscheinkopie ist das im Video keine", stellt er trocken fest.

Geständnis nach Unterbrechung

Der Angeklagte und sein Verteidiger beantragen eine kurze Unterbrechung, in der sie sich vor dem Saal besprechen. Nach der Rückkehr kündigt der Verteidiger an, dass sein Mandant seine Verantwortung ändern möchte. Der Angeklagte erhebt sich also und verkündet gepresst: "Ich möchte Ihnen mitteilen, dass ich Faxe geschickt habe. Der Strafantrag stimmt." Es könnte auch sein, dass sich sein Verwandter durch das Telefonat bedroht gefühlt habe, das sei aber nie seine Absicht gewesen.

Dann verrät er auch das Motiv für die Verleumdungen: Der Ex-Schwager "wollte mir meinen Sohn wegnehmen", ist der Angeklagte überzeugt. Die Frau des ehemaligen Vorgesetzten wiederum sei mit seiner Ex-Frau befreundet und habe über ihren Mann für berufliche Schwierigkeiten gesorgt. "Ich wollte nur der Vater meines Sohnes sein", sagt der Angeklagte und ist den Tränen nahe. "Aus dem Gefängnis heraus ist das schwierig", macht ihm Renner wenig Hoffnungen.

Vom Bundespräsidenten begnadigt

Denn obwohl der Angeklagte aufgrund einer Einzelbegnadigung durch den Bundespräsidenten von der ersten Haftstrafe nur ein gutes Drittel absitzen musste, sind insgesamt 13 Monate und 28 Tage aus früheren Verurteilungen und Begnadigungen offen, die widerrufen werden können. Aufgrund seiner vielen Vorstrafen kommt auch die "Strafschärfung bei Rückfall" zu tragen: Statt bis zu einem Jahr drohen ihm nun bis zu 18 Monate Haft.

Zu zwölf Monaten unbedingt verurteilt ihn Renner, zusätzlich erfolgt ein Widerruf aller offener Strafen – insgesamt sind es also zwei Jahre, ein Monat und 28 Tage. Während der Staatsanwalt damit einverstanden ist, nimmt sich der Angeklagte drei Tage Bedenkzeit, die Entscheidung ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 20.10.2020)