In Mailand darf künftig abends nicht mehr außerhalb der eigenen vier Wände Kaffee getrunken werden – und auch sonst soll das Nachtleben auf null gesenkt werden.

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Noch in der vergangenen Woche war es ein Unwort gewesen, das an den Regierungssitzungen in Rom nicht ausgesprochen werden durfte: "coprifuoco". Dabei handelt es sich um einen kriegerischen Begriff, der auf Deutsch Sperrfeuer bedeutet, aber im Italienischen auch für Ausgangssperre verwendet wird. Am Dienstag prangte das Unwort auf der Frontseite aller Zeitungen: "Coprifuoco in Lombardia". Ab Donnerstag darf in der Lombardei zwischen 23 und 5 Uhr kein Fuß mehr vor die eigene Haustür gesetzt werden, außer in "Notsituationen". Außerdem bleiben an den Wochenenden alle Supermärkte geschlossen.

Damit ist Italien definitiv zurück im Klub der Covid-Krisengebiete. Das Land war im vergangenen Frühjahr als erstes nach China von der Corona-Pandemie erwischt worden, konnte dann aber durch den härtesten und längsten Lockdown der EU die Fallzahlen drastisch reduzieren und zählte danach, zusammen mit Deutschland, von Juni bis Mitte September zu den europäischen Musterschülern, was die Bekämpfung der Pandemie anbelangt. Zwar liegen die Fallzahlen in Italien im Vergleich mit den meisten anderen europäischen Ländern bis heute verhältnismäßig tief – doch die Zunahme der Fälle erinnert wieder an den März, als die Zahl der Covid-Patienten so rasant anstieg, dass das Gesundheitswesen nach wenigen Wochen überfordert war.

Zu viel Druck

Bereits überfordert sind die lombardischen Gesundheitsämter, die die Ansteckungsketten nachvollziehen müssen: "Angesichts der stark steigenden Zahlen schaffen wir das nicht mehr, obwohl wir während des Lockdowns unseren Personalbestand mehr als verdreifacht hatten", erklärt Walter Bergamaschi vom Mailänder Gesundheitsamt. Die norditalienische Wirtschaftsmetropole mit ihrem intensiven Nachtleben ist, zusammen mit Monza und Varese, zu einem der Hotspots der neuen Covid-Welle in Italien geworden. Der Druck auf die Krankenhäuser der Region ist derart groß, dass in Monza bereits wieder nicht akute Operationen verschoben werden, um in den Intensivstationen Platz für Covid-Patienten zu schaffen.

Landesweit gesehen ist Italien von Zuständen wie im März und April, als Covid-Patienten von den überfüllten Intensivstationen abgewiesen werden mussten, immer noch weit entfernt, zumindest scheinbar: Am Dienstag befanden sich im ganzen Land rund 800 Patienten in den Intensivabteilungen – bei einer Gesamtkapazität von 6.000 Betten. Aber: Noch im September lag die Anzahl der Intensivpatienten bei wenigen Dutzend. "Wir stehen wieder vor einer exponentiellen Zunahme", betont Alessandro Vergallo, Präsident der italienischen Vereinigung der Anästhesie- und Reanimationsmediziner. Bleibt die Zunahme weiterhin so rasant, so die Befürchtung der Epidemiologen, werden die Intensivabteilungen schon Ende Oktober wieder voll belegt sein.

Kampanien zieht nach

Die Fallzahlen schießen nicht nur in der Lombardei nach oben, auch in der süditalienischen Region Kampanien mit der Hauptstadt Neapel ist die Lage längst kritisch: Regionalpräsident Vincenzo De Luca hat am Dienstag angekündigt, dass am Freitag auch in seiner Region ein "coprifuoco" eingeführt werde. Aber auch in anderen Gebieten – etwa in der Hauptstadtregion Latium – scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis neue, drastische Maßnahmen ergriffen werden müssen, um der Pandemie wieder Herr zu werden. "Die Kurve der Fallzahlen ist objektiv besorgniserregend", betonte am Montag auch Ministerpräsident Giuseppe Conte. Einen flächendeckenden Lockdown wie von März bis Juni will der Premier zwar unter allen Umständen vermeiden – "aber lokal begrenzte Mini-Lockdowns können nicht ausgeschlossen werden". (Dominik Straub aus Rom, 21.10.2020)