Ihre Lesungen waren schon immer Performances. Jetzt sind die großen Bühnen dran: Lydia Haiders Texte werden im Schauspielhaus Wien und im Volkstheater uraufgeführt.

Apollonia T. Bitzan

Von diesen Publikumsbeschimpfungen kann Peter Handke noch etwas lernen. Flüche, Verdammungen und unerbittliche Abkanzelungen durchziehen die Texte der österreichischen Schriftstellerin Lydia Haider. Die 35-Jährige kapert Sprachen der Macht – von biblischer bis faschistoider Provenienz –, um sie in eigene fatale Predigten umzumünzen. "Nicht der Inhalt steht im Vordergrund, sondern die Sprache", sagt sie selbst.

Literaturpreis Alpha

Von dieser völlig eigenständigen Stimme der zeitgenössischen Literatur nimmt der Theaterbetrieb erst jetzt Notiz. 2015 hat Haider mit Kongregation ihren Debütroman herausgebracht, aber ob Prosa oder nicht: Lydia Haiders Texte kennzeichnet ein entschieden mündlicher Gestus, der ihr übrigens beim letzten Bachmann-Wettlesen den Publikumspreis einbrachte. Auf mehreren Bühnen werden Haiders Texte heuer uraufgeführt. Den Anfang macht das Schauspielhaus Wien mit dem Splatterbericht Am Ball (3. Dezember). Das im Jänner wiederauferstehende Volkstheater folgt mit Kreuz brechen.

STANDARD: Sie haben bereits fünf Bücher veröffentlicht, jetzt erst entdeckt Sie das Theater. Sie wollten da wohl gar nicht hin?

Haider: Ich war viel im Theater, aber ich bin oft in der Pause gegangen, weil ich einen Krampf kriege. Ich halte es nicht aus, wie Texte gesprochen werden.

STANDARD: Ist das Theater aus Ihrer Sicht eine rückständige Kunstform?

Haider: Überhaupt nicht. Das Theater traut sich viel mehr als etwa der Literaturbetrieb. Da kriegen alle gleich einen Herzinfarkt, wenn man die Gattung Roman nicht richtig zuordnen kann. Oder wenn die Sprache vieles vermischt, und man vielleicht nicht mehr erkennen kann, ob das Absicht der Autorin war oder ein Fehler passiert ist. Genau das, was es also spannend macht, wird rausgebügelt. Theater hingegen sagt: Da geht noch was!

STANDARD: Sie instrumentalisieren in Ihrer Literatur eine Sprache der Macht und laden diese neu auf. Wie sind Sie darauf gekommen?

Haider: Ich hab keine Ahnung. Jeder Mensch ist im Aufwachsen von Sprache umgeben, von Floskeln usw., die sich unweigerlich einlagern. Es ist mein Ziel seit Jahren, zu einer innersten Sprache zu finden und die dann eins zu eins herauszuübersetzen, egal wie viel Mist da mitherauskommt. Ich muss darauf vertrauen, dass der Mist nicht überhandnimmt und dass er sich vermengt mit der Hochkultur und alles eins wird. So ist die Sprache eben. Mir geht es immer um Sprache, es ist das Einzige, das mir Spaß macht.

STANDARD: Sie rauchen beim Schreiben zwecks Nervengiftzufuhr. Auch Musikhören ist wichtig. Ist Schreiben für Sie ein körperlicher Vorgang?

Haider: Das wird es immer mehr. Ich schreibe oft im Rausch und denke, schade, dass die Schrift – ich schreibe mit der Hand – im gedruckten Buch am Ende ausgelöscht ist. Man sieht so viel in der Schrift. Wenn man z. B. innerhalb eines Wortes denselben Buchstaben variiert. Das sagt doch was, das wirkt nicht zuverlässig.

STANDARD: Sie führen den Rausch gezielt herbei?

Haider: Gezielt nicht, es kommt dann der Schreibmoment oder auch nicht, das ist wie mit dem Klogehen, irgendwann muss man.

STANDARD: Die Musik bringt das Tempo?

Haider: Sie ist ein Trigger. Da ich fast immer dieselbe Musik verwende, bedeutet sie für mich: schreiben.

STANDARD: Welche Musik ist das?

Haider: Nix Komplexes, ich will es gar nicht sagen. Es geht nur um die angestoßene Geschwindigkeit und um Harmoniewechsel. Whourkr zum Beispiel, um einen Namen zu nennen, das ist experimenteller Hardcore-Metal, aber die Band gibt es gar nicht mehr.

STANDARD: Sie arbeiten an einer Dissertation über die "Subversion des Rhythmus". Wann ist ein Rhythmus subversiv?

Haider: Dann, wenn er sich gegen den Inhalt stellt. Für meine Texte heißt das, möglichst atemlos zu sein, nur nicht absetzen. Und diese Atemlosigkeit will ich auch den Rezipientinnen aufzwingen. Manchmal sind es auch sehr kurze Sätze, die Rhythmus verweigern. Diese beiden Sichtweisen kombiniere ich.

STANDARD: Ihre Texte machen enorme Steigerungen durch. Sollen sie das Publikum durchputzen im Sinne einer Katharsis?

Haider: Ich denke weniger, es putzt dich durch, als, es lädt dich auf. Ich sehe es als Steigerung nach unten. Zuerst will ich die Leser ins Boot holen und sie dann sinken lassen. Eher ist es also das Moment des gemeinsamen Untergangs.

STANDARD: Wie haben Sie eigentlich mit dem Schreiben begonnen?

Haider: Ich hätte Musikerin werden sollen, klassisches Klavier. Mir war das Nachspielen aber irgendwann zu blöd, und so habe ich mich aufs Schreiben verlagert. Als ich kapiert habe, dass ich Musik hören muss zum Schreiben, war das mein Einmarsch, mein Einbruch in die Sprache. Das Schulen des Gehörs war sehr wichtig dafür. Ich erschaffe ja keine Bilder, wie es im Literatursprech oft heißt, sondern etwas, das man hört. Deshalb: laut lesen!

STANDARD: Ihre Lesungen sind deshalb auch Performances in gewisser Lautstärke.

Haider: Ja. Ich überprüfe das Geschriebene mittels Tonaufnahmen. Auch den Bachmann-Preistext hab ich mehrfach aufgenommen. Ich schimpfe oft mit Kolleginnen, die sich für Lesungen nicht vorbereiten.

STANDARD: Wie viele Ihrer Stücke kommen in dieser Spielzeit auf die Bühne?

Haider: Einige. Mehr darf ich nicht sagen.

STANDARD: Worum geht es in "Zertretung", das im Volkstheater uraufgeführt werden soll?

Haider: Zertretung heißt der Roman. Die für die Bühne ausgewählten Teile werden unter dem Titel Kreuz brechen. Also alle Arschlöcher abschlachten laufen. Man kann sich dann eh vorstellen, worum es geht. (Margarete Affenzeller, 21.10.2020)