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Die Aussichten im Handel sind ungewiss. Der Konsum bricht ein. Gewinner der Krise gibt es nur wenige.

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Wien – Die Metaller machten bei ihren Kollektivvertragsverhandlungen kurzen Prozess. Nach nur einer Verhandlungsrunde einigten sich die Sozialpartner auf um 1,45 Prozent höhere Mindestlöhne und freiwillige Prämien für Unternehmen, die auch in der Krise gut verdienten. Heute, Mittwoch, fällt im Handel der Startschuss.

Der Druck, in Zeiten von Corona ein ähnlich rasches Tempo hinzulegen, ist groß. Für Handelsobmann Rainer Trefelik ist der Job als Chefverhandler der Arbeitgeber ein Debüt. Auf dem Spiel stehen die Einkommen von 420.000 Angestellten. Die Gewerkschaft will für sie ein Gehaltsplus von zumindest 1,47 Prozent. Das entspricht der Inflation der vergangenen zwölf Monate. Zudem sollen Gewinner der Krise wie der Lebensmittelhandel zu Corona-Prämien verpflichtet werden. Auch bezahlte Maskenpausen stehen zur Diskussion.

Freiwillige Prämien?

Als realistisch gelten freiwillige Bonuszahlungen auf Ebene der Betriebe. Für Rainer Will, den Chef des Handelsverbands, haben Prämien in Lohnrunden generell nichts verloren. "Der Kollektivvertrag ist komplex genug." Auch der Ausgleich der Teuerungsrate sei für viele Händler derzeit kaum zu bewältigen.

Österreichs Handel erwartet den Prognosen des Verbands zufolge bis Jahresende einen Einbruch bei den Haushaltseinkommen in Höhe von rund 16 Milliarden Euro. Jeder fünfte Arbeitsplatz ist im Handel verankert. Angst geht um, dass aufgrund des schwachen Konsums und im Zuge auslaufender Staatshilfen tausende Jobs wegbrechen. Und mit ihnen die Kaufkraft weiter sinkt.

Die Bilanzen einzelner Handelsbranchen driften weit auseinander. Selbst innerhalb der gleichen Sparte tun sich finanzielle Abgründe auf.

Der Blick in die Zukunft ist ungewiss. Der Konsum bricht heuer infolge der Pandemie ein, nur wenige Unternehmen gehen aus der Krise als Gewinner hervor.

Ernst Mayr, Fussl-Eigentümer:

"Ich glaube an ein Leben nach Corona. Gute Mitarbeiter wachsen nicht auf den Bäumen. Das ist der Grund, warum wir all unsere 1400 Leute gehalten haben – auch wenn mich Kollegen gefragt haben, ob wir verrückt sind. Meine Belegschaft hätte sich auf jeden Fall eine Prämie verdient. Aber wir sind als Modehändler in einer Branche, die seit dem Shutdown nicht mehr angesprungen ist. Es ist unfair, und keiner kann was dafür. Es hilft jedoch der beste Pilot nichts, wenn seine Airline nicht mehr fliegt.

Sinnvoller als Prämien fände ich höhere Steuern für jene Unternehmer, die trotz Krise gut verdienen, quer durch alle Berufsgruppen. Das darf man ja nicht laut sagen, wer will schon mehr Abgaben? Es würde dem Staat jedoch neue Einnahmen bringen, und es wäre solidarischer."

Blaues Auge

"Ich empfehle auch, die Frist für die Umstellung auf den neuen Kollektivvertrag zu verlängern. Die Umstellung belastet Unternehmen zusätzlich. In Zeiten von Corona ist das schwer verkraftbar, und es wird Arbeitsplätze kosten. Wir selbst können es uns leisten. Aber andere Modehändler werden sterben, und Amazon wird noch mehr billige Jobs schaffen.

Wir sind mit Fussl bisher mit einem blauen Auge durch die Krise gekommen. Wir werden es überleben, unsere Ziffern sind besser als jene vieler anderer Textilhändler. Die Kurzarbeit ist beendet, alle gestundeten Steuern sind bezahlt. Staatskredite brauchten wir keine. Wir werden heuer 160 bis 170 Millionen Euro umsetzen. Dass wir über den Sommer unsere Ware noch so gut verkaufen konnten, liegt aber auch an den Rabatten. Wir hatten drei Monate Schlussverkauf. Die Spannen sind entsprechend schlecht."

Beate und Stephan Klein, Eigentümer von "Herr und Frau Klein":

"Es ist die brutalste Achterbahn, die wir je erlebt haben. Als es hieß, wir müssen zusperren, war es, als ziehe es uns die Existenz unter den Füßen weg. Ein großes schwarzes Loch tat sich auf. Wir haben mit unserem Kindergeschäft in Wien in den vergangenen zehn Jahren 27 Jobs geschaffen. 18 Familien hängen von uns ab. Der erste Gedanke: Wie bringen wir sie durch die Krise? Der zweite: Wir müssen alle Kraft in den Onlineshop stecken.

Wir haben Kredite beantragt, Stundungen und zwei Monate Kurzarbeit in Anspruch genommen. Unsere Mitarbeiter haben überall mitangepackt, der Schulterschluss war beeindruckend. Seit Mai fahren wir wieder auf normaler Betriebstemperatur. Die Kunden sind weniger geworden. Jene, die kommen, kaufen bewusster und mehr. Die Umsätze, die wir während des Lockdowns verloren haben, holen wir aber nie mehr auf. Das tut extrem weh."

Keinen Spielraum

"Die Lohnrunde beobachten wir mit Sorge. Wir sind froh, all unsere Leute halten zu können. Eine höhere finanzielle Belastung würde uns aber erwürgen. Riefe das Finanzamt an, könnten wir derzeit nicht einmal alle Steuern zahlen. Arbeitszeitverkürzung, mehr Urlaub – es gibt dafür keinen Spielraum. Wir fänden es gut, Mitarbeiterboni dauerhaft steuerfrei zu machen. Das wäre Motivation. Ansonsten fragt man sich als Unternehmer mitunter schon, ob man uns überhaupt haben will.

Bei Förderungen, um die wir ansuchten, kostete der Aufwand dafür die Hälfte derselben. Nach zwölf Jahren in der Kirchengasse mussten wir einen neuen Schriftzug an der Fassade genehmigen lassen. Wir zahlen jährlich 1.000 Euro Luftsteuer – für 15 Zentimeter Vordach. In Zeiten wie diesen gehört das abgeschafft."

Irene Pawelka, Handelsangestellte:

"Wir wurden kurz beklatscht, nach einem Monat kehrte wieder der Alltag ein. Dass es Maskenpflicht in Geschäften gibt, haben viele leider immer noch nicht verstanden: Von 500 Kunden weisen wir 70 darauf hin und riskieren, beschimpft zu werden. Aufgrund der Hamsterkäufe während des Lockdowns ließen sich nicht alle Regale schnell genug auffüllen. Wir versuchten Einkäufe auszubalancieren – wenn sich etwa ein kräftiger junger Mann zehn Packungen Nudeln schnappte und eine ältere Dame, die eine einzige tragen konnte, leer ausging.

Die Pandemie wird mir jedoch nicht die Freude am Beruf nehmen. Ich leite eine Feinkostabteilung im Lebensmittelhandel. Ich bin seit 18 Jahren dabei, und ich will es auch die nächsten 25 Jahre noch sein. Seit Corona arbeiten zahlreiche Leute aus anderen Branchen bei uns, wie aus der Gastronomie und Hotellerie. Viele erkennen die Vorteile des Einzelhandels, dass es bei uns etwa keine Sonntagsdienste und Nachtschichten gibt."

Jeder Euro zählt

"Dennoch ist jeder zusätzliche Euro wichtig, denn viele Kolleginnen arbeiten Teilzeit, sind alleinerziehende Mütter. Dass es im März einen Bonus als rasche Hilfe gab, kam gut an. Ich halte eine gute reale Lohnerhöhung für vernünftiger und nachhaltiger als einmalige Prämien. Ja, es gibt Branchen wie den Textilhandel, die heuer stark leiden. Das heißt aber nicht, dass sie in den vergangenen Jahren keine Gewinne gemacht haben.

Anerkennung für unsere Arbeit würde ich mir über das ganze Jahr hinweg wünschen, nicht nur während des Lockdowns. Letztlich sind es wir Mitarbeiter, die den Umsatz bringen. Ohne uns gibt es keine Bürojobs und keine Chefs."

Helga Schöttmer, Handelsangestellte:

"Ich arbeite, seit ich 15 Jahre alt bin. Seit 20 Jahren bin ich im Lebensmittelhandel, 16 Jahre war ich in der gleichen Filiale. So etwas wie in den vergangenen Monaten habe ich noch nie erlebt. Die körperliche und psychische Belastung, der wir derzeit alle ausgesetzt sind, wird Jahre nachwirken. Begonnen hat es kurz vor dem Lockdown. Mitten im Monat begannen Leute, hektisch große Mengen einzukaufen. Ab Freitag, dem 13., war die Hölle los. Das Horten von Unmengen an Toilettenpapier ist für mich bis heute unverständlich.

Wenn plötzlich 60 statt zehn Container angeliefert werden, sind normale Arbeitszeiten nicht möglich. In den Lagern wurde nächtelang durchgearbeitet. Die Regierung gab Anordnungen, viele Hintergrundinfos dazu folgten aber erst später. Masken, Plexiglas – all das war auf dem Markt so rasch nicht verfügbar."

Masken belasten

"Bis heute stänkern sich Kunden wegen der Masken an. Wir Mitarbeiter stehen dazwischen, haben keine Handhabe und werden selbst angepöbelt. Die Arbeit damit ist kein Honiglecken, sie verursacht Kopfschmerzen, macht Halskratzen. Es ist schon richtig, dass auch Ärzte sie tragen. Aber das Umfeld ist ein anderes.

Eine Maskenpause würde helfen. Auch Prämien wären natürlich schön. Unterm Strich wird im Lebensmittelhandel aber vermutlich nicht mehr Gewinn übrig bleiben als bisher. Denn die neuen Vorschriften kosten Geld. Was ich mir von der Politik wünsche? Dass sie hält, was sie versprochen hat: Keiner soll im Stich gelassen werden, koste es, was es wolle.

Viele Kunden wurden seit dem Lockdown freundlicher. Lange angehalten hat das halt leider nicht. Das liegt wohl in der Natur des Menschen." (Verena Kainrath, 21.10.2020)