Kommen zwei alte Männer in eine Bar ... Nein, es folgt kein Witz, doch was die beiden diesmal in ihrem Stammlokal erwartet, kann nur ein Scherz sein, meinen sie: Die neue Barkarte ist alkoholfrei. Daraufhin fangen sie an zu schimpfen und zu mosern, so wie alte Männer das manchmal gerne tun.

Sagt der Barchef: "Kein Problem, ich mache Ihnen zur Not auch einen Old Fashioned." So ungefähr ist es Willi Bittorf, Barchef im Hotel am Steinplatz in Berlin, vor kurzem ergangen. Selbst schuld! Starke Reaktionen ist der Berliner gewohnt, seit er Drinks ohne Volumenprozent anbietet – als erste Hotelbar deutschlandweit.

"Ich habe nichts gegen Alkohol, aber die Welt ändert sich", bemerkt der 31-Jährige und nimmt einen Schluck schwarzen Kaffee. Schon während seiner Zeit in einem Londoner Privatclub fiel ihm auf, dass viele Briten weniger tranken, und wenn, dann eher leichtere Drinks. Mit dieser Erkenntnis kehrte er zurück in seine Heimatstadt, erst ins renommierte Waldorf Astoria, dann im Frühjahr 2019 ins Hotel am Steinplatz mit seiner bereits mehrfach vom deutschen Magazin Mixology ausgezeichneten Hotelbar.

Was ihn dort erwartete: eine Karte, deren einzelnen Getränke alle gleich aussahen, nämlich transparent, und alle auf die gleiche Art serviert wurden. Dafür wurden der damalige Chef Christian Gentemann und sein Team mit dem Titel "Barkarte des Jahres" ausgezeichnet. Für seine erste eigene Karte wollte Bittorf eigentlich mit "low-alcohol beverages" arbeiten, also Wermut, Sherry, Sake.

Dass es eine Karte ganz ohne Alkohol geworden ist, lag vor allem an der steigenden Nachfrage der Restaurantgäste. Diese Zuspitzung hat ihm viel Aufmerksamkeit gebracht, überwiegend positiver Natur. "Für mein Team und mich bedeutet das allerdings auch einen erheblichen Redeaufwand, weil wir immer erst einmal das Konzept erklären müssen."

"Ich habe nichts gegen Alkohol, aber die Welt ändert sich", sagt Barchef Willi Bittorf.
Foto: Hotel am Steinplatz, Autograph Collection

Sober Culture

Schon seit Jahren geht der Alkoholkonsum in Europa zurück. Kein Wunder, schließlich verträgt er sich nicht besonders gut mit dem Wunsch nach Fitness und Superfood. In Ländern wie den USA oder Irland, wo die Dubliner Virgin Mary Bar als wegweisend gilt, hat die "sober culture" bereits einen festen Platz im Alltag, mit entsprechenden Lokalitäten, Festivals und einer gut vernetzten Anhängerschaft. Der Trend schwappt auch in andere Länder über. Bereits im Sommer eröffnete in Berlin-Friedrichshain mit dem Zeroliq die "erste nüchterne Bar Deutschlands" und im Eventraum Hallesches Haus wird der "sober october" mit einem "nüchternen Späti" begangen.

Bittorf ist sich sicher: "So, wie die vegetarische und vegane Ernährung heute einen festen Platz im Alltag hat, werden in naher Zukunft auch Bars selbstverständlich alkoholfreie Drinks in Topqualität anbieten." Ein paar seiner Drinks lehnen sich unübersehbar an ihr alkoholisches Original an, der "If you like Piña Colada" beispielsweise. Die meisten jedoch sind eigenständige Kreationen.

Aus Ayran, Zitronensaft und alkoholfreiem IPA wird der "Ramos 0,5 %", aus Kamillensirup, Vanillebitter und cremig geschlagenem Kichererbsenwasser der "Chamomile Gro(o)ve". Abgesehen von selbstgemachtem Kombucha, Rosenwasser oder Orangen-Zimt-Cordial greift Bittorf überwiegend auf Fertigprodukte zurück. "Das Angebot an alkoholfreien Destillaten ist gut und wird immer besser. Warum sollte ich mir extra Aufwand machen?"

Komplexe Getränke

Als Erstes empfiehlt er den "Let’s talk about Sekt", der wohl auch deshalb am meisten bestellt wird, weil er so instagrammable raucht. Los geht es mit einem Pre-Mix aus einem würzigen alkoholfreien Destillat der Marke Seedlip, schwarzem Johannisbeeressig, Verjus und Holundersirup, der anschließend mit Soda und alkoholfreiem Rheinhessen-Sekt aufgegossen wird. Ein, zwei Spritzer Grüntee-artiger Morgentau-Bitter runden die Sache ab.

Dann – whoosh – pustet eine Rauchpistole Beerenaroma ins Glas. Das Ergebnis ist ein süß-säuerliches, überraschend komplexes Getränk, das auch ohne die Show aus Rauch und goldbesprühtem Glas funktioniert.

Barchef Willi Bittorfs alkoholfreie Cocktails sind nicht nur optisch ein Genuss.
Foto: Hotel am Steinplatz, Autograph Collection

Jetzt holt der Barchef Seetang aus einem eben eingetroffenen Paket, wie man ihn sonst eher in Sushi- als Hotelbars vermuten würde. Nachdem die Blätter einige Stunden in alkoholfreiem Wermut infusioniert wurden, wird dieser mit salziger Grapefruitlimonade und frisch gepresstem Limettensaft aufgegossen und, garniert mit Seetang, im Highball-Glas serviert. Der "On the Sea Side" ist eine Limo für Leute, die keine Limo mögen: erfrischend, aufregend salzig, mit dem Umami-Aroma des Seetangs und einer Tiefe, die keine Volumenprozente vermissen lässt.

Alle zehn Drinks auf der Karte kosten gleich viel, elf Euro. "Es gibt Gäste, denen das zu teuer ist, denen mache ich gerne für drei Euro mehr etwas mit Alkohol", bemerkt der 31-Jährige lächelnd. Es muss ja nicht immer ein Mocktail sein, wie man die alkoholfreien Cocktails korrekt bezeichnet. Mit einem alkoholfreien Wermut auf Eis stellt sich das Hotelbargefühl fast genauso automatisch ein wie mit einem hochprozentigen Whiskey on the rocks.

Etwa ein Drittel der Bestellungen, sagt Bittorf, seien momentan alkoholfrei, Tendenz steigend. Es ist ja nicht so, als ob Alkohol in seiner Bar Hausverbot hätte, das alkoholfreie Diktat betrifft lediglich die aktuelle Karte.

Was abgesehen davon besonders gern bestellt wird? "Klassiker wie Manhattan und Negroni und der Doppelwacholder-Tonic." Gin hat man nämlich vor drei Jahren schon verbannt. Die Bar am Steinplatz ist der beste Beweis dafür: Ohne ist das neue mit. Und alte Männer, die deswegen gleich das Weite suchen, eh nur ein schlechter Witz. (Eva Biringer, RONDO, 27.8.2021)