Rikschas sind klein, wendig, flexibel und energieeffizient und transportieren alles vom Menschen bis zum Kühlschrank.

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Eines vorweg: Auf die Frage nach dem Verkehrssystem der Stadt der Zukunft gibt es keine allgemeingültigen Antworten. Da ist keine einzelne Technologie, keine abgrenzbare Praxis, die in absehbarer Zeit in allen urbanen Räumen vorherrschen wird. Es wird, im Gegenteil, individuelle Lösungen geben, die an den jeweiligen Kontext, die jeweilige Geografie und Witterung, die gewachsenen Strukturen und lokalen Traditionen angepasst sind.

Technologieentwickler wie Ökoaktivisten geben auf die offenen Fragen des Stadtverkehrs – allen voran den ineffizienten, motorisierten Individualverkehr, der der Lebensqualität abträglich ist – gerne globale Antworten. Aber sowohl ausgereifte Sensorsysteme und autonome Autos als auch Radverkehr und ein Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel sind immer nur Versatzstücke, die sich in jeder Stadt neu mischen.

Diese Einschränkung schickt die Stadtforscherin Katja Schechtner voraus, fragt man sie danach, wie urbane Verkehrssysteme künftig organisiert sein könnten. "Es ist eine Antwort, die vielleicht keiner hören will", sagt die Wissenschafterin, die als Research Fellow am Senseable City Lab Boston des Massachusetts Institute of Technology (MIT) und als Advisor for Innovation and Technology bei der OECD in Paris tätig ist. "Aber es ist der wichtigste Aspekt – und der einzige, der alle Städte vereint. Egal welcher Kontext, welche lokalen Gegebenheiten, es muss eine individuell ausdifferenzierte Lösung entwickelt werden."

Mobilitätsrevolution

Mehr Fuß-, Rad- und Öffi-Verkehr, Carsharing, Elektroautos, autonomes Fahren, Drohnentaxis – das sind Trends, die auf breiter Basis erwartet werden. In vielen Fällen hängt die Erwartung einer Mobilitätsrevolution an einer dahinterliegenden technologischen Entwicklung.

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Jede Stadt sollte ihre eigene individuellen Lösungen finden.
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Nach dem Motto: Sind die Elektrifizierung, das autonome Fahren, das nahtlos abgerechnete Carsharing erst einmal technologisch ausgereift, dann werden diese Dinge auch in die Städte "hineinwachsen". Die Erfahrung zeigt, dass das allein nicht ausreicht. Gerade Carsharing-Anbieter gewinnen trotz ihrer hochentwickelten smarten Plattformen in Europas Städten nur langsam an Boden.

Die große Revolution blieb bis dato aus. Dafür gibt es Gründe, die im wirtschaftlichen Bereich, in den Gewohnheiten der Menschen und in der Ausgestaltung der Angebote selbst liegen.

Carsharing nach Bedarf

Fahrzeugbauer verwenden ihre teuren Imagefilme lieber dafür, den Besitz von Autos anzupreisen, und auch in den potenziellen Nutzern müssen sich Mobilitätsformen erst verfestigen, sagt Schechtner zur verhaltenen Carsharing-Entwicklung. "Wenn man etwas verändern möchte, muss ein neuer Service großflächig verfügbar gemacht sein – und die nötige Flexibilität mitbringen", betont die Stadtforscherin.

"Dort, wo Carsharing am Bedarf der Menschen ausgerichtet ist, wo man die Autos beispielsweise nach der Nutzung an beliebigen Orten wieder abstellen kann oder wo man sie vielleicht auch für ein paar Tage nutzen kann, um aufs Land zu fahren – dort funktionieren auch die Angebote."

Fix ist: Ließe sich der Autoverkehr einer Stadt weitgehend auf ein solches System umstellen, wäre das Veränderungspotenzial enorm. Schechtner spricht von 80 Prozent der Parkplatzflächen, die man für das Leben in der Stadt zurückgewinnen könnte.

Von Indien lernen

Doch einem effizienten Stadtverkehr steht nicht nur das irrationale Verharren bei alten Praktiken im Weg. Manchmal sind es auch gerade die Erneuerungen, die ein Mobilitätssystem schlechter machen. "Es ist erstaunlich, dass an manchen Orten hervorragende Verkehrssysteme zugunsten einer allgemeinen Modernisierung geopfert werden", sagt Schechtner.

"Ein gutes Beispiel dafür sind die Rikscha-Flotten Asiens. In vielen Kommunen Indiens weichen sie mittlerweile einem gestiegenen Autoverkehr oder neuen Bussystemen nach Vorbild des Westens – allein deshalb, weil sie nicht modern wirken." Dabei sind die dreirädrigen Gefährte Teil einer gut abgestimmten Lösung und haben entscheidende Vorteile als Last-Mile-Verkehrsmittel. Sie sind klein, wendig, flexibel und energieeffizient und transportieren alles vom Menschen bis zum Kühlschrank.

"Greift man in ein lokales System ein, sollte der Schritt wohlüberlegt sein. Warum etwa nicht von einem Land wie Indien, in dem bereits auch 1,5 Millionen Rikschas mit Elektromotoren ausgestattet sind, für andere Länder lernen? Das wäre ein viel nachhaltigerer Schritt, als die Menschen in Autos zu verbannen", erklärt die Stadtforscherin.

Halbherzige Maßnahmen

Während in den Stadtverwaltungen von Entwicklungs- und Schwellenländern die Motorisierung des Stadtverkehrs auf dem Programm steht, bemüht man sich in den westlichen Ländern intensiv darum, den Fahrradverkehr zu vermehren. Auch hier sind die Maßnahmen oft zu halbherzig, um große Veränderungen herbeizuführen.

Studien zeigen, dass die Basis für größere Radanteile der Bau einer sicheren Infrastruktur sowie begleitende "weiche" Maßnahmen wie Schulungsangebote und Medienkampagnen sind, die Menschen, die sich dem Fahrrad "entfremdet" haben, wieder an ihren Drahtesel locken. "Maßnahmen, die dafür sorgen, dass man Radfahren nicht mehr als gefährlich ansieht, sind aber nur eine Grundlage", sagt Schechtner. "Für das Gewinnen wirklich großer Anteile muss man in andere Bereiche vordringen."

Substanzielle Zuwächse bei den Büroradlern wären beispielsweise erreichbar, wenn Duschanlagen von den Arbeitgebern auf breiter Basis angeboten werden würden. Aussichtsreiche Konzepte kommen zudem aus den Konzepten der Persuasive Technologies, also Technologien, die darauf ausgerichtet sind, eine Verhaltensänderung zu erreichen.

"Wenn das Radfahren zum Gruppenerlebnis wird, folgt auch eine Verhaltensänderung – und das funktioniert besser als Anreize, die die Politik geben kann", sagt Schechtner. "Unsere Versuche zeigen beispielsweise, dass es besonders viel bringt, wenn Mitarbeiterteams kompetitiv radeln – es also eine Art Wettrennen gibt, wer die meisten Kilometer auf dem Rad zur Arbeit zurücklegt; oder wenn Firmen mit ihren gesammelten Kilometerkonten gegeneinander antreten."

Flucht ins Auto

Der komplexen Frage, in welche Richtung sich städtische Verkehrssysteme entwickeln, fügt die Corona-Krise eine neue Dimension hinzu. Öffi-Fahrer flüchten zum einen zurück in ihr Auto, aus dem sie erfahrungsgemäß auch nach der Krise nur schwer wieder zurückzuholen sein werden, gibt Schechtner zu bedenken.

Auf der anderen Seite bekommt das Radfahren ungeahnten Rückenwind. Pop-up-Radwege in dutzenden Städten weltweit zeugen davon. Letztendlich wird eine Transformation des Stadtverkehrs, die den Gesichtspunkten der Ökologie und der Lebensqualität entspricht, aus einer Mischung vieler kleinerer Maßnahmen bestehen, die jeweils ihr Scherflein beitragen.

Auch die Drohnentechnik, die in den vergangenen Jahren viel Aufmerksamkeit erfahren hat, wird darin eine Rolle spielen. Aber natürlich stellt auch sie keine allumfassende Lösung bereit. Auch hier kommt es auf den Kontext an, sagt Schechtner, die eine der Leiterinnen der OECD-Arbeitsgruppe "Ready for Take Off? How to integrate drones in the transport system" – der weltweit größten zu diesem Thema – ist.

Drohnen und Tricycles

"In Oakland in Kalifornien könnte ein Drohnenverkehr zum Flughafen, der im Straßenverkehr sehr mühselig zu erreichen ist, eine gute Alternative sein. In Wien dagegen, wo man per Auto oder Bahn sehr schnell vor Ort ist, machen Drohnentaxis kaum Sinn", vergleicht Schechtner.

Zudem seien die Drohnen schon allein aufgrund der Luftverwirbelungen, die sie beim Starten und Landen verursachen, nicht allerorts einsetzbar. Die Hochhäuser von Los Angeles geben vielleicht gute Landeplätze, die Altbauten der Wiener Innenstadt weniger.

Bleiben noch Drohnen als schnelles Transportmittel für wertvolle oder heikle Güter: In Afrika sind etwa 600 Fälle dokumentiert, in denen durch per Drohne gelieferte Blutkonserven Leben gerettet wurden.

Was eine Lösung für unzugängliche Landgebiete ist, macht durchaus auch in manchen Stadtkontexten Sinn. Schechtner hat wieder ein Beispiel: "In Zürich werden bereits seit zwei Jahren Laborproben zwischen zwei benachbarten Krankenhäusern per Drohne hin- und hergeschickt. Dort ist das jetzt bereits die effizientere Lösung."

Bei all den Trends, die sich in die Zukunft fortschreiben lassen, gibt es aber durchaus auch überraschende Entwicklungen, die man so nicht gesehen hätte. Schechtner: "Wir haben etwa einen Forscher am MIT, der an autonomen Rikschas arbeitet. Diese Tricycles können ganz normal von einem Menschen gesteuert werden. Wenn sie nicht benötigt werden, dienen sie als autonome Frachttransporter. In Taiwan sind die Fahrzeuge bereits auf Versuchsstraßen unterwegs." (Alois Pumhösel, 23.10.2020)