Veronika Franz und Severin Fiala.

Foto: Klaus Pichler

Kinosterben, Förderungen und die Wichtigkeit von Festivals: Es sind Themen, die das Regie- und Drehbuchteam Veronika Franz und Severin Fiala beschäftigen. Das Duo, welches sich mit Arthouse-Horrorfilmen wie Ich seh Ich seh und zuletzt The Lodge international einen Namen gemacht hat, treibt natürlich auch die Frage aller Fragen um: Was soll nun Kunst, und was darf sie eigentlich (noch)? Franz und Fiala sprechen sich klar dafür aus, dass Kunst auf die Zehen steigen muss – um auch ein bisschen wehtun zu können.

STANDARD: Dass Filme gar nicht mehr ins Kino kommen und sofort auf den Streamingplattformen landen, ist ein Schreckgespenst, das durch die Branche geht. Ist das berechtigt?

Franz: Ein Schreckgespenst ist es nicht, aber gewisse Filme sind zu Hause schwieriger anzuschauen. Es sind ja paradoxerweise nicht die Blockbuster, für die es die große Leinwand unbedingt braucht, sondern die Art-House-Filme, die fordernder sind, bei denen man schon mal dazu tendiert, sie beim Anschauen zu Hause zu unterbrechen. In einem Kino übt ein Film Macht aus, er zwingt Menschen hinzuschauen. Wir denken, dass das etwas Positives ist. Ohne Kino geht die sinnliche Erfahrung verloren.

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DER STANDARD

STANDARD: Die Angst vorm Kinosterben ist also begründet?

Fiala: Ja. Das Kinosterben hat sich schon vor Corona abgezeichnet und geht jetzt beschleunigt weiter. Die Pandemie fördert ja nur eine Wahrheit zutage, die schon lange da ist.

Franz: Es ist mit dem Kino wie bei vielen guten Dingen. Ich kann mich noch erinnern, als in Wien fast alle Kaffeeröstereien zugesperrt haben. Zehn Jahre später ist Barista als Bobo-Tool auferstanden. Die Dinge kommen wieder, meist in einer anderen Form, teurer und elitärer. Das finde ich nicht gut. Ich hätte gern viele normale Kaffeeröstereien – und Kinos.

STANDARD: Nehmen wir trotzdem an, Sie müssten als Filmemacher für den kleinen Screen arbeiten. Was würde sich ändern?

Fiala: Es würde uns sehr schwerfallen, wir haben auch noch nicht umgedacht. Alles, was uns am Kino interessiert, ist ja etwas genuin Cinematisches, das mit dem Raum spielt. Es geht darum, Filme visuell zu erzählen, sich nicht auf Dialoge zu verlassen.

STANDARD: Gab es für Programmkinos genug Förderung?

Franz: Art-House-Kinos haben eine gute Förderung erfahren. Jetzt geht es darum, in die Zukunft zu denken, und da hat der Staat eine größere Verantwortung, Kinos als Abspielstätten von Kulturgut so zu fördern wie Theater.

Fiala: Man erfährt durch solche Krisensituationen, was wichtig ist. Kultur war es jedenfalls nicht! Die ist nur relevant, wenn es allen gutgeht. Seit Ewigkeiten gibt es die Idee eines Film Preservation Center, um das Material für künftige Generationen zu sichern. Das ist teuer, aber das braucht es dringend!

STANDARD: Frau Franz, Sie waren bei den Filmfestspielen in Venedig in der Jury. Braucht es Festivals noch?

Franz: Die physische Anwesenheit braucht es ganz dringend. Es war sicherlich das beste Filmfestival in meinem ganzen Leben. Die Atmosphäre war wertschätzend, alle wollten sich wieder mit Filmen auseinandersetzen.

Fiala: Der Erfolg von Festivals sollte nicht nur an Zuschauerzahlen gemessen werden. Dass das online mehr Leute verfolgen, lässt keinen Schluss darauf zu, ob sich diese qualitativ mit den Inhalten auseinandersetzen.

STANDARD: Aber niederschwelliger ist Streamen ja schon?

Fiala: Wenn man Festivalfilme streamt, tritt man gegen Netflix und Amazon an. Wer schaut sich bei dieser Konkurrenz einen Dokumentarfilm ohne Kommentar an, in dem ein Schweinderl drei Stunden lang beobachtet wird? Das ist eh niederschwellig, aber so niederschwellig, dass man es auch gerne wieder abschaltet, weil man sich nicht darauf einlassen und darüber mit anderen diskutieren kann.

STANDARD: Sie sind beide nicht als große Fans der Frauenquote bei den Fördereinreichungen bekannt. Was haben Sie dagegen?

Franz: Es geht nicht darum, ob man Fan einer Quote ist oder nicht. Das wäre doch etwas kurz gegriffen. Dort, wo Quoten notwendig sind – wie in öffentlichen Ämtern oder bei Professuren, auch auf der Filmakademie –, soll man sie einführen. Auch bei Volksschullehrern, einem "Frauenberuf", sollte eine Quote für Männer eingeführt werden, denn eine Quote betrifft immer beide Geschlechter.

Man muss daran arbeiten, junge Filmemacherinnen zu ermutigen, Regisseurinnen zu werden. 25 Prozent bemühen sich um Förderungen im Bereich Herstellung und Entwicklung, und das sind zu wenige. Der aktuelle Vorschlag, wie man das beheben könnte, lautet aber, diesen 25 Prozent 50 Prozent der Fördermittel zu geben. Und das ist ungerecht. Ich teile natürlich das Ziel, dass mehr Frauen Filme machen sollen. Aber ich teile nicht die Maßnahmen. Das bevorteilt arrivierte Filmemacherinnen, tut aber gar nichts für den Nachwuchs.

STANDARD: Die Oscar-Academy hat neue Diversity-Regeln für den besten Film ausgegeben. Verkürzt: Minderheiten müssen beteiligt sein, damit sich ein Film qualifizieren kann. Wie stehen Sie dazu?

Franz: Es liegt eine Gefahr darin, alles reglementieren zu wollen. Wenn ich einen Maßnahmenkatalog habe, der fordert, dass zwei Coloured People und zwei Asian People vorkommen müssen, dann habe ich am Schluss lauter Filme, die alle gleich sind, habe einen Einheitsbrei.

Fiala: Ich finde es gefährlich, wozu Kunst gemacht und missbraucht wird. Es darf für niemanden verletzend sein, man braucht für alles ein Trigger-Warning, weil man sich ja die Finger verbrennen könnte. Aber deswegen machen wir das ja! Alles, was mich jemals bewegt hat, hat mir wehgetan. Bei unserem letzten Film The Lodge gibt es eine Szene über eine Sekte im Mittleren Westen, wo es darum geht, dass da nur Weiße sind.

Das Erste, was sie im Casting gesagt haben, war: "Mögt ihr keine Schwarzen? Ist Diversity nicht okay?" Das verkehrt ja völlig die Aussage der Szene, die ja kritisch beleuchtet, dass da nur Weiße sind! Man kann da nicht einmal mehr ein Problem aufzeigen, weil man schon dort alle inkludieren muss, um niemandem auf die Zehen zu steigen!

Franz: Ja! Kunst muss aber auf die Zehen steigen. Wenn alles nur noch politisch korrekt ist, ist es vorüber. (Amira Ben Saoud, 23.10.2020)