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Ein Konsumverbot im Kino, wie aktuell von der Regierung vorgesehen, würde den Betreibern zusätzlich zu den bisherigen Verlusten 20 bis 50 Prozent Einbußen bringen.

AP

Es war ein Schockmoment, als mit Cineworld die zweitgrößte Kinokette der Welt Anfang Oktober zur Ultima Ratio greifen musste: 536 Kinos in den USA und Großbritannien wurden wegen der Corona-Pandemie vorübergehend geschlossen, 45.000 Mitarbeiter zur Kündigung angemeldet. Insider waren von der Maßnahme aber wenig überrascht – auch hierzulande.

Ökonomisch, sagen Kinobetreiber dem STANDARD, wäre es tatsächlich sinnvoller, zuzusperren. Zu stark sind die Besuche eingebrochen. Man spricht von 50 Prozent im Segment der kleineren Programm- und Arthousekinos, große kommerzielle Kinoketten traf es noch härter mit bis zu 70 Prozent Einbußen. Im November könnte Cineplexx, die größte Kinokette Österreichs, bei 20 Prozent Auslastung landen. Und dennoch: Schließen kommt nach wie vor nur für wenige infrage.

"Wir schränken zwar Betriebszeiten ein, halten aber daran fest, dass wir, solange es geht, unseren Gästen Kinoerlebnis bieten wollen", so Cineplexx-Geschäftsführer Christof Papousek. Michael Stejskal, Leiter des Arthouse-Verleihs Filmladen und des Votivkinos, pflichtet bei: "Niemand, der es noch einigermaßen derblast, wird schließen."

Die Branche zieht also an einem Strang, wenn es darum geht, das Kino am Leben zu erhalten. "Die Auffassung ,Wenn es den Multiplexen schlechter geht, kommen die Leute zu uns‘ ist absurd. Wenn zum Beispiel der neue James Bond nicht kommt, ist das für uns genauso schlecht, weil über Kino nicht gesprochen wird. Wir sind ja kommunizierende Gefäße", sagt Stejskal.

Die fehlenden Blockbuster

Der neue James Bond war der letzte in einer Reihe an Blockbustern, die 2020 hätten starten sollen, die von den großen Hollywood-Studios aber in der Hoffnung auf Corona-freie Umsätze auf nächstes Jahr verschoben wurden. Das hat dazu geführt, dass den Mainstreamkinos die Filme ausgehen. Eine Lücke, die mit europäischen und deutschsprachigen Produktionen nur schwer gefüllt werden kann.

"Es gibt zwar lokalen Mainstream, der allen Kinos hilft, wie deutschsprachige Komödien. Wir betreiben aber Kinos in elf anderen Ländern, teilweise in Südosteuropa. Da fehlen lokale Produkte." Im Kosovo oder Albanien werde man komplett ausgedünnt, sagt Papousek, der sich über die Mutlosigkeit der US-Studios ärgert. Der Actionblockbuster Tenet, der im Sommer weltweit gestartet ist, habe gezeigt, dass es trotz Corona geht. 170.000 Besucher in Österreich und 300 Millionen weltweit seien ein großer Erfolg, geschwächelt habe der Film von Christopher Nolan aber am US-Heimatmarkt mit 38 Millionen Euro.

"Es ist ein Problem, dass viele US-Kinos noch oder wieder geschlossen sind", sagt Christian Dörfler, Chef des Haydn-Kinos und Präsident des Österreichischen Kinoverbands. Gerade der Kinostandort New York sei in der bisherigen Logik der US-Studios für einen erfolgreichen Filmstart essenziell, da sich in der Kulturmetropole die größte Blase an Medien, PR und Influencern befindet, wie Dörfler erklärt.

Streaming überschätzt

Hinzu kommt, dass immer mehr Studios dazu übergehen, auch Filme an den Kinos vorbei direkt als Video-on-Demand-Stream herauszubringen. Für Stirnrunzeln in der Branche sorgt vor allem Disney, das mit Mulan einen garantierten Kinokassenschlager direkt auf seiner erst Ende 2019 gestarteten Plattform Disney+ veröffentlichte.

An einen Paradigmenwechsel, gar an ein Ende des Kinos, wollen Österreichs Kinobetreiber aber nicht glauben: Mulan und anderes, das als VoD veröffentlicht wurde, sei stark hinter den Erwartungen zurückgeblieben. "Das ist kein Konzept, das den Studios wirklich Geld bringt. Dass das mit Begeisterung fortgesetzt wird, sehe ich nicht", beschwichtigt Dörfler. Kinos seien ein Garant für ein starkes Einspielergebnis, sagt Papousek. "Wenn die großen Märkte in Nordamerika wieder öffnen, dann wird es auch hier wieder gehen." 2019 jedenfalls sei trotz Streaming-Zuwächsen ein hervorragendes Kinojahr gewesen.

Gerade im Lockdown, meint Stejskal, habe man beide Seiten der Medaille gesehen: "Viele haben Streaming für sich entdeckt, aber man hat auch gemerkt, welches große Bedürfnis es gibt, gemeinsam etwas zu erleben. Da wird sich auch nichts ändern. Leute werden vielleicht selektiver vorgehen. Aber der Lockdown hat den Menschen schön gezeigt, was ihnen fehlt. Für mich ist das ein beruhigendes Phänomen."

Der Kampf ums Popcorn

Wenig beruhigend finden die Kinobetreiber die jüngste Maßnahmenverschärfung der Bundesregierung, die Maskenpflicht am Sitzplatz und Konsumverbot vorsieht. 20 bis 50 Prozent des Umsatzes werden nämlich mit Popcorn und Co gemacht. "Dafür haben wir gar kein Verständnis, und bis zum Vorliegen einer Verordnung wollen wir das Konsumverbot auch noch verhindern", sagt Dörfler, der auf das Modell der Schweiz verweist, wo zwar Maskenpflicht am Sitzplatz besteht, diese aber zum Konsum abgenommen werden darf.

Außerdem kann Dörfler mit zahlreichen Studien aufwarten, die belegen würden, wie sicher das Kino sei. Tatsächlich gibt es keine Cluster, die sich auf Kinobesuche zurückführen ließen, selbst die Cineplexx-Kette weiß erst von einer Sars-CoV-2-positiven Besucherin zu berichten, die dabei keine weiteren Personen angesteckt habe. Kinos seien durchwegs mit ausgezeichneter Klimatechnik ausgestattet, heißt es.

Unterstützung erhalten die Kinos in ihrem Kampf gegen ein Konsumverbot von SPÖ-Kultursprecher Thomas Drozda, für den es "nicht nachvollziehbar" ist, dass man den Kinos und Theatern die Konsumation untersagt und gerade den Kinos damit einen wesentlichen Teils ihres Geschäfts nimmt. "Bei aller notwendigen Vorsicht: Meines Wissens ist bisher kein Infektionscluster aus einem Kulturbetrieb hervorgegangen. Warum sollte es gefährlicher sein, wenn zwei Theaterbesucher im Pausenfoyer am Stehtisch ein Brötchen essen, als wenn eine Runde von sechs Leuten im Wirtshaus gemeinsam am Tisch sitzt? Wenn es dafür Evidenz gibt, dann sollte man sie vorlegen. Auf jeden Fall muss man den Kulturbetrieben auch diesen Einnahmenentfall ersetzen", so Drozda.

Die Kinobetreiber wünschen sich von der Politik für ihr Engagement, weiter offen zu halten, nicht nur eine Ausnahmenregelung für den Buffetbetrieb, sondern auch zusätzliche Finanzhilfen: in Form des Fixkostenzuschusses II, der auf EU-Ebene verhandelt werden muss, aber auch in Form von Zuschüssen, die es für die Programmkinos während des Lockdowns aus dem Kulturressort gegeben hatte. Kommen diese Hilfen nicht und stottert auch der Motor in Nordamerika weiter, dann wird es wirklich finster im Lichtspielhaus. (Stefan Weiss, 22.10.2020)