Meine Motive sind banal: Ich möchte weder über meine Grenzen hinauswachsen noch ein besserer Mensch werden. Gurus gehen mir auf die Nerven und Jünger, die aus allem eine Religion machen müssen, erst recht. Ich möchte einfach lernen, in kaltem Wasser zu schwimmen, damit die Saison länger andauert. Jedes Jahr fällt es mir schwerer, an den letzten Sonnentagen die Badesachen wegzupacken. Bis 15 Grad Wassertemperatur habe ich mich schon angepasst, ohne es als unangenehm zu empfinden.

Eisschwimmen liegt im Trend, der niederländische Extremsportler Wim Hof hat kürzlich sogar in einer Folge der Netflix-Doku The Goop Lab einer Handvoll Mitarbeiterinnen von Gwyneth Paltrows Lifestyle-Brand an einem winterlichen See seine Methode erklärt. Atemtechnik und Aufwärmübungen im Bikini im Schnee – und natürlich sind nach dem Sprung ins eiskalte Wasser alle von Panikattacken und sonstigen Problemen geheilt. It’s Hollywood! Hof mag ja ein faszinierender Typ und beeindruckender Sportler sein, aber warum muss alles auf Effekt inszeniert werden? Warum kann man nicht einfach ruhig ins Wasser gehen? Ich habe jedenfalls keine Lust, einen Wim-Hof-Kurs zu besuchen.

Es ist ein bunter Trupp, der zum Eisschwimmtraining an der Alten Donau kommt. Die ersten Versuche kosten Überwindung.
Foto: Karin Cerny

Ich rufe lieber Josef Köberl an, den heimischen Ice-Man. Er durchschwamm in 14 Stunden den Ärmelkanal von England nach Frankreich, legte im Grundlsee in unter fünf Grad kaltem Wasser als erster Österreicher die sogenannte Ice-Mile, also 1.600 Meter, zurück. Und diesen September verbrachte er zwei Stunden, 30 Minuten und 57 Sekunden in einer Glaskabine voll mit Eis, was ein neuer Weltrekord ist (und Wim Hof um mehr als eine halbe Stunde übertraf). Es gibt keinen besseren Experten für Kälte als Köberl, der zudem Präsident der Ice Swimming Association Austria ist. Ab Oktober trifft sich der Verein jeden Sonntag an der Alten Donau zum Schwimmen, es kann kommen, wer will.

Wie soll ich mich vorbereiten?, frage ich Köberl am Telefon. Kalte Duschen, Eisbäder, Atemübungen? "Einfach nach dem Sommer nicht mit dem Schwimmen aufhören", sagt er. "Dann gewöhnt sich der Körper daran." Köberl klingt wie der Anti-Wim-Hof, total entspannt. "Ich bin kein Guru", betont er: "Ich sag’ den Leuten nur, wie es geht. Dann muss es jeder selbst machen."

Bunte Truppe

An der Alten Donau ziehen sich an einem trüben Sonntag rund 15 Leute bei 13 Grad Außentemperatur aus. Köberl kommt in T-Shirt und kurzer Hose, vom Aufwärmen vorher hält er nicht viel, erst nachher sei es wichtig, sich warm zu halten. Teetrinken ist gut für die Nieren, denen die Kälte zusetzt. Köberl erklärt allen, die zum ersten Mal da sind, was sie beachten sollen. Eine tiefe Atmung in den Bauch hinein, möglichst ruhig bleiben. Nach ein paar Minuten gewöhnt sich der Körper an die Temperatur.

Die Gruppe ist bunt, jeder hat andere Motive. Saif kommt aus Indien, er arbeitet seit einigen Jahren in Europa. Die langen Winter sind hart für ihn. "Ich wollte nicht vier Monate lang depressiv sein, so hab ich mit dem Eisschwimmen begonnen", erklärt er. Silvija aus Litauen ist mit ihrem zwölfjährigen Sohn da. Vorige Woche hätten sie nur zugeschaut, diese Woche gehen die beiden selbst ins Wasser. Für den Jungen ist es eine Mutprobe, er ist stolz. Seine Mutter, die schon seit 20 Jahren kalt duscht und in Eiswasser schwimmt, ist glücklich, dass ihr Sohn ihre Leidenschaft teilt. David wieder hat ein Stück Schokolade als Belohnung mit. Er ist bereits die zweite Saison hier, verkühlt war er im Vorjahr kein einziges Mal, erzählt er. William ist zufällig mit dem Fahrrad vorbeigefahren und hat sich spontan angeschlossen. Mit Unterhose geht er ins kalte Wasser.

Worauf zu achten ist

Köberl nutzt die für ihn warmen 15 Grad, um ausgiebig zu trainieren. Er schwimmt bis zur Brücke beim Gänsehäufel: "Wenn man geübt ist, kann man zu jeder Zeit in jedes Gewässer gehen. Die Ruhe genießen oder einfach ein Stück schwimmen." Aber worauf muss ich achten, um mich nicht zu überfordern? Als Ungeübter sollte man nie allein schwimmen im Winter. "Es kann sehr schnell gehen am Anfang", sagt Köberl. "Man spürt im Wasser oft nicht, dass der Kreislauf versagt. Erst nachher spielt der Puls verrückt, die Leute sind kreidebleich und lethargisch." Gefährlich wird es, wenn man bereits im Wasser merkt, dass sich das Gesichtsfeld verengt. "Die letzte Stufe ist, dass das Bild zerfällt, wie eine Störung im Fernsehen." Bisher ist beim öffentlichen Training an der Donau aber noch nie etwas passiert.

Das Eisschwimmen hat Köberl verändert. Für einen Thermalurlaub ist er verloren. "Hitze hält mein Kreislauf gar nicht mehr aus", sagt er. Als er vor zwei Jahren mit seiner Frau in einer Therme in Ungarn war, ist er ins Schockbecken geflüchtet. 30 Minuten in 13 Grad! Ideal für einen Kältejunkie wie ihn. Nur der Saunawart ist ein bisschen nervös geworden. Nun plant Köberl bereits neue sportliche Herausforderungen: 2022 möchte er die ganze Donau, vom Ursprung bis zur Mündung im Schwarzen Meer, hinabschwimmen. Ausnahmsweise geht es nicht um Kälte, geplant sind 40 Tage im August und September. Diesen Winter möchte er fünf Kilometer im Grundlsee zurücklegen, in einem Wasser unter fünf Grad. Das ist bei diesen Temperaturen verdammt lang. "Ich setze mir extreme Ziele, es geht mir aber eigentlich nie darum, jemand anderen zu übertrumpfen", sagt er. "Ich möchte wissen, ob ich es schaffe."

Für einen Thermalurlaub ist Köberl verloren.
Foto: Karin Cerny

Am nächsten Wochenende ist die Gruppe an der Alten Donau schon größer, rund 25 Leute, viele kennen einander bereits, treffen sich nach der Sommerpause wieder. Die Sonne scheint, die Wassertemperatur ist auf elf Grad gesunken. "Beim Eisschwimmen lernt man seinen Körper richtig kennen", sagt Köberl. "Jeder hat eine andere Toleranzschwelle, was Kälte betrifft. Hinzu kommt, dass man seine mentale Stärke trainieren muss."

Er nimmt sich viel Zeit für die Neulinge, die bis zur Hüfte in der Donau stehen und zittern. "Fünfmal tief in den Bauch atmen, dann noch einen Schritt. Wenn die Atmung unruhig wird, lieber wieder einen Schritt zurück", sagt Köberl, der bereits putzmunter bis zum Hals im Wasser steckt und sehr glücklich dabei aussieht. Bei über zehn Grad trägt er noch keine Badehaube. Er plaudert, macht keinem der Anwesenden Stress, ein idealer Coach für etwas, das man sich selbst beibringen muss. Aber es hilft, wenn einem wer erklärt, warum man nicht nervös werden muss, wenn nach 15 Minuten im Wasser die Hände und Beine taub werden. An Land ist dann die Haut gerötet, es braucht, bis die Wärme wieder in die Glieder fährt. "Kein Training ohne Zittern", sagt Köberl. So bringt sich der Körper wieder auf Temperatur. Ich lerne also, das Zittern zu genießen.

Diesen Winter werde ich durchschwimmen. Ohne eine große Sache daraus zu machen. Einfach aus Spaß. (Karin Cerny, 25.10.2020)