Es sind irritierende Bilder, die seit dem Wochenende durch die sozialen Medien rund um die Welt wandern. Die Skisaison in Österreich ist eröffnet. Nicht nur auf dem Gletschergelände des Kitzsteinhorns, sogar am Hochkar in Niederösterreich stürmten Skifreaks die Pisten. Das Verrückte dabei: In Hintertux in Tirol drängelten sie sich zu Hunderten vor dem Lift, dicht an dicht, die meisten ungeschützt.

Sie verhielten sich ganz so, als gebe es kein Coronavirus; als sei Europa nicht schon seit dem Ende der letzten Wintersaison gesellschaftlich und wirtschaftlich zu Boden gedrückt; als gebe es keine Abstandsregeln in einer Pandemie.

Es fällt schwer, nicht sofort an Ischgl im März zu denken. Das verwundert im Oktober wohl nicht nur Flachlandeuropäer im Süden, die gerade ihre Strände in den Badeorten geschlossen haben.

Die Skisaison in Österreich ist eröffnet.
Foto: KitzSki/Thomas Liner

Wie kann das sein? Das Land lebt zu einem guten Teil vom Tourismus. Nicht umsonst wird seit Wochen diskutiert, wie man die Zahlen der Corona-Infizierten endlich wieder runterbringen könnte, um aus der "roten Zone" zu kommen.

Die Vorschläge sind zum Teil extrem. Ein Hotelier aus Tirol forderte allen Ernstes, man soll im November einen landesweiten Lockdown machen, um das Vertrauen der internationalen Gäste wiederzugewinnen. Andere wollen das Gegenteil, kritisieren das jüngste Maßnahmenpaket der Regierung mit Einschränkungen der Freiheit von Bürgern und Betrieben als viel zu weitgehend, wollen "die Wirtschaft befreien".

Beides ist Unsinn, hat der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts argumentiert. Die Anti-Corona-Maßnahmen müssen vor allem treffsicher sein. Denn wenn Infiziertenzahlen hochschnellen, verlieren die Konsumenten Vertrauen, geht die wirtschaftliche Tätigkeit zurück – wie beim Lockdown.

Gesamtstrategie

Man sollte annehmen, dass alle im Staat großes Interesse daran haben müssten, dass die Gesamtstrategie gegen die Pandemie differenziert, effektiv und angemessen ist. Und dass man sich an die demokratisch "ausgestrittenen" Maßnahmen dann auch hält. Es gibt keine einfache Lösung zu Corona. Die Bilder von Hintertux, aber auch Berichte von Hochzeiten, flotten Partys oder anderen Events, wo (zu) viele Menschen sich ungeschützt drängen, zeugen vom Gegenteil. Die Gesellschaft wird mehr und mehr gespalten in eine Gruppe, die sich an Regeln hält, und einen anderen Teil, dem Corona und alles, was dazugehört, langsam auf die Nerven geht, dem Regeln "wurscht sind".

Ein sehr österreichisches Paradoxon: Das alles passiert zu einer Zeit, in der die Zahl an Infizierten und Hospitalisierten ständig Rekordmarken erreicht, in EU-Partnerländern Lockdowns greifen.

Ein guter Teil der Verantwortung dafür kommt der Regierung zu. Sie hätte längst eine Art Krisenkommunikation schaffen müssen, bei der die Bürger täglich von einem Gremium unabhängiger Experten zur Lage informiert werden. Ohne parteipolitischen Spin, wie er Politikern – Kanzler, Ministern, auch der Opposition – eigen ist. In Italien etwa oder in Belgien, wo die Lage extrem schlimm war bzw. ist, funktioniert das.

Aber es gibt auch eine Ebene jenseits der Staatsmacht, die noch wichtiger ist, wenn Aufklärung für alle funktionieren soll: die Zivilgesellschaft, jeder einzelne freie Bürger. Vereine, NGOs, auch Medien sind da gefordert. Auf Vorgaben "von oben" warten nur Untertanen. "Wir gegen Corona" müsste es heißen. (Thomas Mayer, 21.10.2020)