Im Mittelpunkt der Proteste steht die Kritik an der "Special Anti-Robbery-Squad" (Sars).

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Eine 48-stündige Ausgangssperre wurde am Dienstag über Lagos verhängt.

Foto: AP/Sunday Alamba

Die seit mehr als zwei Wochen anhaltenden Proteste jugendlicher Nigerianer gegen die Brutalität der Polizei haben eine besorgniserregende neue Wende genommen, nachdem Soldaten am Dienstagabend in der Hafenstadt Lagos das Feuer mit scharfer Munition auf Demonstranten eröffneten.

Bei dem gewalttätigen Vorgehen der Militärs auf eine von Demonstranten blockierte Straßengebührstation in dem wohlhabenden Stadtteil Lekki wurden nach unterschiedlichen Angaben von Augenzeugen zwischen zwei und 20 Menschen erschossen. Über soziale Netzwerke wurden zahlreiche Videos von dem Vorfall verbreitet: Auf ihnen sind Soldaten zu sehen, die sich schießend auf die Demonstranten zubewegen. "Sie schossen direkt in die Menge ", zitiert die BBC einen Augenzeugen: "Chaos brach aus. Direkt neben mir wurde ein junger Mann tödlich getroffen."

Wenige Stunden zuvor hatte der Gouverneur des Bundesstaates Lagos, Babajide Sanwo-Olu, eine 48-stündige Ausgangssperre über die Stadt verhängt, die von den Demonstranten allerdings nicht eingehalten wurde. Die zunächst friedlich verlaufenden Proteste der vergangenen zwei Wochen seien von Störenfrieden und Kriminellen gekapert worden, sagte Sanwo-Olu: "Der Protest hat sich in ein Monster verwandelt."

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Wie seit Tagen schon behinderten die Demonstranten auch wieder den Straßenverkehr und den Zugang zum Flughafen der über 20 Millionen Einwohner zählenden Hafenmetropole, um ihrem Unmut über die Brutalität der Polizei Ausdruck zu verleihen. Im Mittelpunkt der Klagen steht die "Special Anti-Robbery-Squad" (Sars), eine in zivil gekleidete Spezialeinheit, der vorgeworfen wird, vor allem junge und relativ wohlhabende Nigerianer regelmäßig zu erpressen, zu misshandeln und nicht selten auch zu töten. Amnesty International will von 82 Opfern wissen, die allein seit 2018 von Mitgliedern der Spezialeinheit umgebracht wurden.

Gebrochene Versprechen

Anfang der Woche hatte Staatspräsident Muammar Buhari die Auflösung der berüchtigten Einheit angekündigt. Etwas Ähnliches hatte die Regierung allerdings schon zuvor viermal versprochen, ohne ihr Versprechen einzulösen – so setzten die sich #EndSars nennenden Demonstranten ihre Proteste fort.

Am Dienstag meldete sich dann die Armeeführung zu Wort: Die Soldaten seien bereit, gegen die "Störenfriede und subversiven Elemente" vorzugehen. Am Dienstagabend wurde die Drohung wahr gemacht.

Beobachter drücken außerdem ihre Sorge über Berichte aus, wonach es im Zusammenhang mit den Protesten immer wieder zu bewaffneten Angriffen zivil gekleideter Männer auf die Demonstranten komme. Dabei soll es sich um Schläger- und Schießtruppen handeln, die von Politikern auch im Wahlkampf eingesetzt werden.

Die Demonstranten fordern außer der Freilassung der in den vergangenen zwei Wochen Festgenommenen auch die Einrichtung einer Untersuchungskommission sowie Entschädigung für die Opfer der Sars-Übergriffe. Ferner soll gesetzwidrigen Polizisten der Prozess gemacht werden, den Ordnungshütern insgesamt aber ein besseres Gehalt bezahlt werden. Damit sie sich nicht durch Schmiergeld über Wasser halten müssen. (Johannes Dieterich, 22.10.2020)