Gorillaz, wie sie sich 2020 sehen – ihre blubbernde Popmusik mit vielen Gästen ist längst zu einem Trademark-Sound geworden.

Foto: Warner

Es war Anfang des Jahres, da gab Damon Albarn bekannt, sich nicht länger dem Format Album verpflichtet zu fühlen. Er kündigte an, dass er mit der Band Gorillaz stattdessen nun jeden Monat einen Song veröffentlichen würde. Eine "Song Machine" solle so entstehen, die regelmäßig um Arbeiten verschiedener Kollaborateure ergänzt und ausgebaut werde.

Am Freitag erscheint nun Song Machine, Season One: Strange Timez – es ist ein Album. Wer hätte das gedacht? Und dann erst die originelle Idee, den Serienjargon zu übernehmen – "Season One" –, wow, ganz vorne.

Die Gorillaz waren eine Hirnidee von Damon Albarn und Jamie Hewlett. Der eine war Sänger der Brit-Popper Blur, der andere wurde als Zeichner des Tank Girl berühmt. Gemeinsam kreierten sie eine virtuelle Band, die aus von Hewlett gezeichneten Comicfiguren bestehen sollte. Diese heißen 2D, Murdoc Niccals, Noodle und Russel Hobbs.

Grantscherben und Problembären

2001 erschien das erste Album, bei der Präsentation desselben in London traten die tatsächlichen Akteure hinter einer Leinwand auf, die darauf projizierten Comicfiguren sollten im Vordergrund stehen, die eigentlichen Stars sein.

Von Beginn an waren Gorillaz als offenes Projekt angelegt, das von der Vielfalt seiner Gäste lebte. Diese reichte am Debüt vom kubanischen Altspatzen Ibrahim Ferrer bis zum Talking-Heads-Ehepaar Tina Weymouth und Chris Frantz. In der Folge waren etwa die New Yorker Hip-Hopper De La Soul zu Gast, Rock-'n'-Roll-Pionier Ike Turner, der britische Rapper Roots Manuva, Grantscherbe Lou Reed, Soul-Man Bobby Womack, Bigmouth Neneh Cherry, der Lederjackenrapper Danny Brown oder Problembär Shaun Ryder.

Gorillaz

Die verwegene Gästepolitik der Gorillaz bescherte ihren Werken eine facettenreiche Ästhetik. Die Kunst dabei ist, die jeweiligen Alben nicht in seine Einzelteile zerfallen zu lassen, sie als doch homogene Arbeiten zu vermitteln. Das ist Damon Albarns Job – das kann er. Der 52-Jährige verleiht den Songs die Grundstimmung, gibt ihnen Richtung – die Gäste bringen sich in unterschiedlicher Konsequenz ein.

Schunkelnder Sound

Daraus ist über die Jahre so etwas wie ein zartbekiffter Trademark-Sound entstanden, der auf eine starke Rhythmusabteilung baut, aus der Albarn mit Elementen aus Hip-Hop, Bassmusik, Soul oder Dub mit seinen Gästen Kreativ-Pingpong spielt.

Zu den aktuell Beteiligten zählen St. Vincent, Elton John, Robert Smith von The Cure, Beck oder Joan Wasser alias Joan As Police Woman – sie alle schaffen mit Albarn eine im Wohlklang schunkelnde, einnehmende Popmusik, die auf die Kernkompetenz der Gäste Rücksicht nimmt: Rapper Octavian darf ein bisserl mit Autotune spielen, während Peter Hook, der von Joy Division und New Order, mit Aries ein Stück abliefert, das auf keinem New-Order-Album der letzten 40 Jahre negativ aufgefallen wäre – eher im Gegenteil.

Gorillaz

So entstehen einerseits neue Songs, gleichzeitig sind viele davon hübsche Ehrerbietungen an Ästhetiken, die zwischen Zeitlosigkeit und Zeitgeist angesiedelt sind. Abseits der großen Namen sind es die vielleicht weniger bekannten, die dem mit 17 Titeln schon ziemlich in die Länge gehenden Aaaaalbum die geheimen Höhepunkte bescheren.

Hinten raus wird's zäh

Etwa die aus Mali stammende Fatoumata Diawara mit dem in Richtung Uptempo vorrückenden Song Désolé. Oder Momentary Bliss mit dem britischen Rapper Slowthai, dessen leicht punkiger Track daran erinnert, dass diesem Projekt natürlich die Sleaford Mods ebenfalls gut anstehen würden.

Doch ruppige Ausreißer fehlen Song Machine. Vor allem der hintere Teil ist etwas gar belanglos ausgefallen. Da kann einen ob des Blubberns und Plätscherns und Pumpens schon die Lidschwere ereilen. Da klingt Song Machine zu sehr nach Playlist aus dem Algorithmus – also nach genau dem, was ein Album nicht sein sollte. (Karl Fluch, 21.10.2020)