Am 27. und 28. März 1965 kam es in Bukarest zu einer überraschenden Veranstaltung: Louis Armstrong gab in den neu erbauten Palastsälen vier Konzerte. Dass "eine Künstlerpersönlichkeit vom Weltruhm", so wie es in der Tagespresse hieß, aus den kapitalistischen USA das kleine kommunistische Rumänien besuchte, war ebenso unglaublich wie die Tatsache, dass der "berühmteste Amerikaner der Welt" – zumindest nach Auffassung des Jazzpianisten Dave Brubeck – hier ganz offiziell und ohne Furcht vor möglichen Folgen Jazz spielen konnte.

Der Kalte Kulturkrieg

Was hatte Armstrong und seine fünf Bandmitglieder mitten im Kalten Krieg nach Bukarest verschlagen? Die rumänische Hauptstadt war die dritte Station seiner Tournee durch Osteuropa, an deren Anfang eine Reihe von Auftritten in der Tschechoslowakei (Prag) und der DDR (Berlin und Leipzig) standen; auf die Bukarester Konzerte folgte Jugoslawien (Belgrad, Novi Sad und Ljubljana) sowie eine abschließende Konzertserie, erneut in der DDR (Berlin, Magdeburg, Erfurt und Schwerin). Der "König des Jazz" hatte bereits Belgrad und Ljubljana im April 1959 besucht und sollte im Sommer 1965 in Budapest gastieren.

Neben Jazz-Größen wie Dizzy Gillespie, Dave Brubeck oder Benny Goodman, der 1962 in der Sowjetunion aufgetreten war, war Armstrong einer der wirkmächtigsten "Kulturbotschafter" der Vereinigten Staaten. Amerikanisch par excellence und antitotalitär in seinem Wesenskern war Jazzmusik in den Augen des State Departements als Aushängeschild für Demokratie und Freiheit bestens geeignet. Das State Department finanzierte daher schon früh Konzerttourneen in Regionen von strategischem Interesse. Obwohl jegliche Politik gemieden wurde (oder vielleicht genau deshalb), erwiesen sich die Live-Auftritte sowie die von Voice of America ausgestrahlte Radiosendung "Jazz Hour" von Willis Conover als publikumswirksame akustische Waffen zur Bekämpfung des Sowjetkommunismus.

Armstrong 1953.
Foto: Public Domain

Umso erstaunlicher ist es daher, dass die Osteuropa-Tournee Armstrongs anscheinend nicht von der US-Regierung finanziert wurde. Bis heute sind die genauen Einzelheiten nicht geklärt. Dank der Nachforschungen des Journalisten Stephan Schulz, der dem Thema ein Buch gewidmet hat, wissen wir, dass hinter den 17 Konzerten in der DDR ein Schweizer Geschäftsmann namens Werner Schmid stand. Offen ist, ob sich der Inhaber von "Schmid Productions" auch um die anderen Stationen der Tournee gekümmert hat. Unklar bleibt auch die Natur der Vereinbarungen, die mit den jeweils beteiligten Landesvertretungen getroffen wurden – im ostdeutschen Fall die von Ernst Zielke geleitete Künstler-Agentur der DDR, im Falle Rumäniens das Staatliche Büro für künstlerische Tourneen (OSTA). Belegt ist allein der ausgesprochen freundliche Empfang des Publikums, der dermaßen warm ausfiel, dass in der US-Presse von der Zertrümmerung der Berliner Mauer die Rede war und dem Konzert Louis "Satchmo" Armstrong der Westflirt Rumäniens zugeschrieben wurde (in den Worten des Chicago Tribune: "Romania Swings to the West").

Ein unseriöses, kosmopolitisches Element

Und dennoch: Wie ist die freundschaftliche Haltung der kommunistischen Autoritäten zu erklären, wo Jazz doch bekanntermaßen ein Dorn im Auge aller Diktatoren von Hitler bis Breschnew war? Ein von Ernst Zielke gewährtes Interview gibt einen ersten Hinweis: "Dass Armstrong (...) in die DDR kam, ist auch mit ein Beweis unseres wachsenden politischen und wirtschaftlichen Ansehens in der Welt". Anders gesagt, obwohl Jazz für den Staatsratsvorsitzenden der DDR, Walter Ulbricht, nichts anderes als "Affenmusik" war, mithin ein dekadenter und degenerierter Ausdruck der Rückständigkeit amerikanischer Kultur, hatte die Präsenz Armstrongs eine erhebliche Bedeutung für die Selbst- und Fremdverortung der DDR auf der symbolischen Weltkarte.

In der Tschechoslowakei, wo Armstrong in Prag von Alexander Dubček (Erster Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Slowakei) persönlich empfangen wurde, fand sich der Jazz in einer etwas besseren Situation. In Jugoslawien wurde Jazz nach den Worten der Historikerin Radina Vučetić "amnestiert und schließlich etabliert". In Rumänien hingegen war die Situation bestürzend. Gheorghe Gheorghiu-Dej, der kommunistische Führer Rumäniens, teilte wahrscheinlich Nikita Chruschtschows Auffassung, der im Dezember 1962 verlautbarte, dass ihm Jazz Blähungen bereite. Die Geheimpolizei des Regimes war zudem angehalten, jegliche Liebhaber "subversiver" musikalischer Freuden zu verfolgen.

So berichtete im August 1963 ein Informant von der Existenz "einer illegalen Zeitschrift mit dem Titel ‚Jazz Cool’, deren Redakteur (...) sowohl hinsichtlich seiner Auffassungen als auch seines Kleidungsstils ein unseriöses, kosmopolitisches Element ist". "Das Zielobjekt", ein 22-jähriger Student aus der Stadt Pitești namens Cornel "Sing" Chiriac, wurde identifiziert und zusammen mit anderen Mitarbeitern, die unter Spionage- und Verschwörungsverdacht standen, unter Beobachtung gestellt. Ein Jahr später, im August 1964, gab Chiriac im Securitate-Verhör zu, dass er gegen die Landesgesetze verstoßen habe. Er bekannte sich schuldig, hob allerdings hervor, dass Jazz die Musik schwarzer Menschen sei, eine Kunstform, die aus dem Kampf gegen die vom weißen amerikanischen Bürgertum auferlegte Sklaverei hervorgegangen sei. Glücklicherweise kam er mit einer Rüge hinsichtlich "gesetzwidriger Handlungen gegen das volksdemokratische Regime" davon. Diese Handlungen bestanden in der Verfertigung einer handkopierten Jazz-Zeitschrift und der unautorisierten Korrespondenz mit Willis Conover, die auch das Gedicht "Thank you Sonny" an den Saxophonisten Sonny Rollins umfasste.

Armstrong im Bukarest 1965.
Foto: Edmund Höfer (©Hanno Höfer)

Es war kein Jahr vergangen und "Sing" konnte Armstrong im Konzert hören; er war bei einer Jam Session in der exklusiven Bukarester Melody Bar zugegen und ergatterte ein Autogramm des Bassisten Arwell Shaw. Ende März 1965, nur wenige Tage nach dem Tod von Gheorghiu-Dej, veröffentlichte die Zeitschrift der rumänischen Schriftstellervereinigung Chiriacs umfangreichen Essay "Jazz. Seine Ursprünge und Bedeutungen". Die Ausgabe, an deren Anfang freilich der Nekrolog des eben verschiedenen kommunistischen Führers stand, beinhaltete ein Foto Armstrongs auf der Bühne des Palastsaals mit einer von ihm verfassten Widmung versehen. Ein Jahr später verfasste Chiriac schließlich das Vorwort zur rumänischen Ausgabe von Armstrongs Autobiografie "Satchmo. My life in New Orleans".

Marx versus Sowjetunion

Verantwortlich für diese bemerkenswerte Öffnung war die Entscheidung des Parteiführers und seiner Mitstreiter, zu Moskau auf Distanz zu gehen. Da Gheorghiu-Dej die von Chruschtschow vorangetriebene Destalinisierung als bedrohlich wahrnahm, begann er einen "nationalen" Kommunismus einzuleiten. Diese in der "Deklaration von April 1964" zum Ausdruck gebrachte offizielle Linie hatte auch eine kulturpolitische Komponente. So wurde etwa der Leiter des Geschichtsinstituts der Akademie der Volksrepublik, Andrei Oţetea, mit der Herausgabe unveröffentlichter "Aufzeichnungen" von Karl Marx "über die Rumänen" beauftragt. Der polnische Historiker Stanislas Schwann hatte diese in der Handschriftensammlung des Amsterdamer Internationalen Instituts für Sozialgeschichte entdeckt. Die Aufzeichnungen wurden in großer Auflage herausgegeben. Obwohl sie das zaristische, nicht das sowjetische Russland betrafen, ließen die Marx’schen Lektürenotizen keinen Zweifel über die wiederholten imperialen Aggressionen gegen die rumänischen Fürstentümer inklusive der Besetzung Bessarabiens im Jahr 1812 aufkommen. Das Tabuthema der Annexion rumänischer Territorien aufs Tapet zu bringen, sorgte für Verstimmung auf sowjetischer Seite angesichts dieser von Breschnew als "feindlich" bezeichnete Geste.

In diesem Zusammenhang ist auch die Präsenz von Armstrong in Bukarest zu sehen: eine Verbrüderungsgeste mit dem Jazz als Innbegriff des Westens im Interesse der Sache, der Distanzierung von der UdSSR. Die staatliche Plattenfirma Electrecord lancierte im selben Jahr 1965 eine Jazz-Reihe, in der unter anderem Friedrich Gulda veröffentlicht wurde.

Friedrich Guldas "Jam Session" in der Jazz-Reihe von Electrecord (1968)
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Freilich war diese Öffnung nur eine relative. Bis zum Fall des kommunistischen Regimes 1989 erschienen nur 24 Schallplatten. Chiriac floh im Jahr 1969 über Österreich nach Deutschland und wurde eine hochgeschätzte Stimme der rumänischen Sektion von Radio Freies Europa. Sein gewaltsamer Tod 1975 ist bis heute ungeklärt. Nicht ausgeschlossen wird die Involvierung der rumänischen Geheimpolizei, Chiriac stand auch im Exil unter ihrer permanenten Überwachung.

Jazz und Nationalkommunismus

Am 19. März 1965 "um 17 Uhr und 43 Minuten", wie es in der offiziellen Mitteilung hieß, verschied Gheorghiu-Dej in Bukarest. Nach vier Tagen nationaler Trauer und der Aufbahrung des Toten im Palast des Staatsrates der Volksrepublik (dem ehemaligen Königspalast) wurde der einbalsamierte Leichnam in das Mausoleum des "Parks der Freiheit" überführt. Die gesamte Zeremonie glich einer verkleinerten Kopie der Trauerfeierlichkeiten von Josef Stalin, an denen sowohl der überzeugte Stalinist Gheorghiu-Dej als auch einige jener, die ihm wiederum das letzte Geleit gaben, teilgenommen hatten.

Der Tod Gheorghiu-Dejs kam für viele überraschend, denn der Erste Sekretär des Zentralkomitees der Rumänischen Arbeiterpartei und Präsident des Staatsrates der Volksrepublik war noch keine 64 Jahre alt. Von seinem prekären Gesundheitszustand wussten nur seine engsten Vertrauten. Nur vier Tage nach dem Ende der Trauerveranstaltungen, spielte der "König des Jazz", Armstrong, in Bukarest.

Der neue Staats- und Parteichef Nicolae Ceaușescu führte die von seinem Vorgänger begonnene Annäherungspolitik an den Westen zunächst fort. 1967 wurden diplomatische Beziehungen zur BRD aufgenommen. Im selben Jahr stattete ein bedeutendes Mitglied der Republikanischen Partei der USA, Richard Nixon, einen inoffiziellen Besuch in Bukarest ab, bevor er im Sommer 1969 erneut nach Rumänien kam, dieses Mal als US-Präsident. Als Folge der zu diesem Anlass unterzeichneten Abkommen konnte eine beachtliche Zahl amerikanischer Künstler in Bukarest live gesehen werden. Dennoch wurde Jazz keineswegs gefördert, sondern bestenfalls toleriert. Und dies nicht allein aus politischen Erwägungen, sondern weil mittlerweile eine weitaus dekadentere Kreatur westlicher Kultur entstanden war: Rockmusik. (Ovidiu-Victor Olar, 27.10.2020)