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Wahlwerbung in den Vorstädten: Hier eine Trump-Anhängerin in West Seneca, N.Y.

Foto: AP / Jack Hanrahan

Am Samstag traf ich Roland* zum Lunch downtown in der Bar Revolution, weil's dort jetzt einen neuen Koch gibt, der unwahrscheinlich gute Sandwiches und Burger macht. Auswärts Essen zu gehen ist gegenwärtig ein Abenteuer in New Jersey. Laut Pandemieregeln wird man in Lokalen nur bedient, wenn man dort mit Maske auftaucht. Da sich das Speisen im Freien abspielt, geht die Sache dann so: Man stellt sich bei der Hostess mit Maske an, die bringt einen zu einem der Tische, die vor dem Lokal auf dem Gehsteig und der Straße eng nebeneinander aufgereiht sind, nur um einen dann zu einem Tisch zu setzen, der in Ellbogendistanz zum vollbesetzten Nachbartisch steht – und dort nimmt man dann die Maske ab.

Ob dieses Arrangement den Gästen wirklich Sicherheit bietet, ist fraglich. Die Anzahl der Covid-Fälle steigt im Moment in New Jersey wieder an, und der jüngste "Covid-19 Activity Level Report" der Gesundheitsbehörden von New Jersey hat zum ersten Mal seit dem Ausbruch der Krankheit die Virusaktivität in allen sechs Regionen des Staates als "moderat" klassifiziert. In der Vorwoche wurde das Niveau in Morris County noch als niedrig angegeben. Zuversichtlich machte mich das nicht gerade, aber da wirklich alle Lokale in der Stadt die Gehsteige mit Tischen und Stühlen vollgeräumt haben, ist das jetzt wohl das neue Normal. Anstelle von Speisekarten gibt es jetzt kontaktlose digitale Menü-Codes, die man mit dem Handy scannen kann, und manchmal klappt das sogar. Das Bier konnte ich dort aber nicht abrufen.

Telefonieren für Biden

Roland ist ein alter Bekannter, der im selben Spital wie Brian (der Held meines letzten Blogs) arbeitet. Er arbeitet allerdings im IT-Bereich des Krankenhauses und ist beruflich ein "frontline trouble shooter". Da wir uns seit März nicht mehr gesehen hatten, begann Roland gleich ganz aufgeregt von der Arbeit zu erzählen. Anscheinend wurde das Spital von den vielen Covid-bedingten Aufnahmen in März überrascht, und da das Computersystem weder auf die spezielle Diagnostik des neuen Virus noch auf die hohe Zahl von Kranken vorbereitet war, war Rolands Frühjahr recht stressig. Er erzählte vom Chaos in der Aufnahme und auch davon, dass ein Drittel seiner Abteilung, immerhin vier Menschen, in dieser Zeit an dem Virus erkrankten, was den Druck auf ihn noch zusätzlich erhöhte.

Trotzdem blieb Roland in seiner spärlichen Freizeit ein Aktivist. Er ruft nach wie vor registrierte demokratische Wähler an, um sie zum Wählen anzuhalten. Zum Abschluss gingen wir noch ins Lokal hinein, um uns kurz mit dem Koch zu unterhalten. Roland warnte mich noch, dass dieser vergangenes Jahr sein eigenes Lokal zusperren musste und inzwischen zu einem Trump-Fan mutiert ist. Der Koch war auf Nachmittagspause, wir unterhielten uns aber kurz mit seiner Frau Kannika*, die ebenfalls in der Küche arbeitet.

Begeisterung für Trump

Das war ziemlich schwierig, da das durch die Masken gedämpfte Gespräch auch noch durch unsere Akzente verzerrt wurde. Ich bin meinen deutschen Akzent nie losgeworden, und Kannika ist eine Thailänderin. Als wir das Lokal verließen, musste ich daran denken, dass Kannikas Ehemann, der Koch, der mit einer Migrantin aus Thailand verheiratet ist, ein Anhänger eines rassistischen Präsidenten ist, der Immigration ablehnt.

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Der Trump National Golf Club in Bedminster. Hier traf der Präsident kurz vor seinem positiven Corona-Test mit Unterstützern zusammen.
Foto: AP / Seth Wenig

Am späteren Nachmittag traf ich einige Freunde auf einen Burger im Restaurant Delicious Heights in Bedminster. Das Restaurant ist gleich ums Eck vom Trump National Golf Club, wo der Präsident am 1. Oktober, einen Tag vor seinem positiven Covid-Test, eine Fundraiser-Veranstaltung abgehalten hat. Als ich ankam, saßen meine Freunde schon im Gastgarten und unterhielten sich über eine alte Schulfreundin von Karen*, die jetzt eine fanatische Trump-Anhängerin ist. Die Gruppe besteht aus Vertretern des Mittelstands, die mehrheitlich dazu neigen, republikanisch zu wählen.

Marinenostalgie in der "Männerhöhle"

Karens Ehemann Stephen* zum Beispiel ist ein ehemaliger Marinesoldat, der für mich viele der traditionellen amerikanischen Werte verkörpert. Er hat zu Hause – ganz typisch – eine "man cave", eine "Männerhöhle", das heißt: einen Kellerraum, der ausschließlich zur Unterhaltung dient, also mit großer Hausbar und Smart-TV ausgestattet ist, die aber auch mit seiner Marine-Uniform, der amerikanischen Flagge und anderen Memorabilien, etwa Medaillen und Waffen (hinter Glas), dekoriert ist.

Wir haben in dieser "Männerhöhle" viele witzige Abende verbracht. Vor Jahren habe ich dort einmal eine Kopie der Mao-Bibel neben seinen anderen Memorabilien versteckt. Karen erzählte, dass Stephen Maos deplatziertes und anstößiges Kleines Rotes Buch aber gleich am nächsten Tag entdeckt hatte. Stephen hat seit seinem 18. Lebensjahr ausschließlich republikanisch gewählt.

Scheues Bekenntnis

Am Samstagnachmittag erklärte er, dass Karen und er ihre Briefwahlkuverts bereits aufgegeben hätten. Michelle fragte: "Und?" Stephen schaute sich kurz um, als ob er sichergehen wollte, dass niemand mithört, lehnte sich leicht vor und sagte: "Ich habe das noch nie in meinem Leben gemacht, und ich will nicht, dass das hier die Runde macht, aber ich habe Trump nicht gewählt." Michelle fragte daraufhin rasch: "Hast du Biden gewählt?" Stephen nickte.

Obwohl er konservativ sei, könne er Trumps inkompetentes und rassistisches Verhalten nicht länger tolerieren. Das hat mich an den überparteilichen offenen Brief erinnert, der vor kurzem Publik wurde, und der – von 489 Sicherheitsexperten des Landes unterschrieben – klar machte, dass viele Offiziere und Beamte Trump für unfähig halten, die enorme Verantwortung seines Amtes zu tragen, und daher die Amerikaner dazu auffordern, Joe Biden zu wählen.

In vielerlei Hinsicht zeigen diese geplanten und zufälligen Treffen, wie politisiert die amerikanischen Vorstädte gegenwärtig sind, aber auch, wie unberechenbar die Einflüsse sind, die die Menschen zu ihren politischen Entscheidungen führen. (Barbara Franz aus Morristown, 24.10.2020)

*Name von der Redaktion geändert.

Barbara Franz studierte Publizistik und Kommunikationswissenschaft in Wien und Politikwissenschaft und Geschichte in New York. Sie ist Professorin für Politikwissenschaft an der Rider University in New Jersey und forscht unter anderem im Feld der Immigrations- und Flüchtlingspolitik. Franz ist Kärntnerin und Amerikanerin.
Foto: Privat

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