Hariri war als Premier im Amt, als im Oktober 2019 die regierungskritischen Massenproteste begannen.

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Der Libanon ächzt unter einer seiner schwersten Krisen seit Ende des Bürgerkriegs.

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Beirut – In der inzwischen mehr als einjährigen politischen Krise im Libanon haben sich die politischen Blöcke zur Nominierung eines neuen Regierungschefs durchgerungen: Der ehemalige Ministerpräsident Saad Hariri wurde am Donnerstag erneut zum Regierungschef ernannt. Als neudesignierter Ministerpräsident soll Hariri nach seiner Ernennung durch Präsident Michel Aoun mit der Bildung einer neuen Regierung beginnen.

Das Amt war etwa vier Wochen unbesetzt. Nach einem jahrzehntealten Proporzsystem, das die Macht zwischen den Konfessionen aufteilt, muss der Premier immer ein Sunnit sein.

Hariri hatte seit Ende 2016 drei Jahre als Ministerpräsident des Libanons gedient. Im Jänner hat er auf öffentlichen Druck nach anhaltenden Massenprotesten seinen Rücktritt eingereicht. Sein Nachfolger Hassan Diab trat im August nach der verheerenden Explosion am Hafen von Beirut zurück. Diabs designierter Nachfolger Mustafa Adib warf Ende September ebenfalls hin – laut eigener Aussage wegen interner Machtkämpfe bei der Regierungsbildung.

Nach seiner Ernennung kündigte Hariri an, die Probleme des Landes rasch mit einer Regierung aus Experten anzugehen. "Die Zeit drängt und dies könnte die letzte Chance sein", sagte Hariri. Er versprach, den "wirtschaftlichen Verfall" des Landes aufzuhalten und die Schäden der verheerenden Explosion in Beirut im August zu reparieren.

Politische Krise

Das kleine Land am Mittelmeer ächzt derzeit unter seiner schwersten Krise seit Ende des Bürgerkriegs vor 30 Jahren. Der Staat ist extrem verschuldet und wirtschaftlich am Boden. Das libanesische Pfund hat in vergangenen Monaten rund 80 Prozent seines Werts verloren. Die Corona-Pandemie und die Explosion am 4. August haben die Krise noch verschärft. Bei der Katastrophe waren mehr als 190 Menschen getötet und rund 6000 verletzt worden, etwa 300.000 weitere wurden obdachlos.

Die Aussichten auf die erneute Ernennung Hariris haben am Mittwoch in Beirut zu Demonstrationen seiner Gegner sowie seiner Unterstützer geführt. Kritiker betrachten ihn als Teil der alten Machtelite, der sie Misswirtschaft und Korruption vorwerfen.

Schwierige Kabinettsbildung

Hariri ist Sohn des 2005 bei einem Bombenattentat getöteten früheren Ministerpräsidenten Rafiq al-Hariri. Er war bereits von 2009 bis 2011 Regierungschef und dann erneut ab 2016.

Die Kabinettsbildung in dem konfessionell gespaltenen Libanon dürfte sich erneut schwierig gestalten. Die 18 religiösen Gruppen des Landes sind alle im Parlament vertreten und haben bei der Regierungsbildung üblicherweise ein Wort mitzureden. Die schiitische Hisbollah, die vom Iran unterstützt wird und im Land großen Einfluss besitzt, versprach eine "positive Atmosphäre" bei den Verhandlungen. (APA, red, 22.10.2020)