Über 400.000 Besucher sahen Alexandria Ocasio-Cortez gleichzeitig bei ihrer Twitch-Premiere zu.

Foto: Screenshot/Twitch

Drei Milliarden Menschen weltweit haben Videospiele auf dem PC, Konsolen und Mobilgeräten bereits für sich entdeckt. Doch politisch ist das Hobby kaum repräsentiert und wenn – wie etwa bei Diskussionen zu Lootboxen oder "Killerspielen" –, dann üblicherweise in negativem Kontext. Viele politische Parteien interagieren auch nur sehr zögerlich mit dem Medium, sieht man vom Phänomen "Werbespiele" in den 1990ern ab.

Auch gamende Politiker oder zumindest solche, die diesem Hobby öffentlich sichtbar nachgehen, haben Seltenheitswert, was möglicherweise auch daran liegt, dass der Anteil jüngerer Altersgruppen unter Parlamentariern in der Regel überschaubar ist. Dementsprechend hatte es Seltenheitswert, als die demokratische US-Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez am Dienstagabend ihren ersten Twitch-Stream startete. Und der wurde gleich zu einem vollen Erfolg.

Highlights aus dem Stream, dokumentiert von der "Washington Post".
Washington Post

Starke Premiere

Deutlich über 400.000 Nutzer sahen "AOC", so ein populäres Kürzel ihres Namens und auch die Bezeichnung ihres Twitch-Channels, zur Spitzenzeit gleichzeitig zu. "The Verge" gibt eine Höchstzahl von mindestens 435.000 an, die Analyseseite Twitch Tracker weist einen Höchstwert von 426.000 für die rund drei Stunden dauernde Session aus.

Egal welcher Wert nun zutrifft: Ocasio-Cortez fällt mit ihrem Debüt damit unter die Top 20 der Kanäle im Hinblick auf ihre meistbesuchten Übertragungen. Bezieht man die Zahlen nur auf Einzelstreamer und rechnet beispielsweise E-Sports-Organisationen raus, dürfte es sogar ein oberer Top-10-Platz sein. Sie hatte erst einen Tag zuvor über Twitter zu der Spielesession aufgerufen, im Rahmen derer sie auch Besucher dazu animieren wollte, ihre Stimme bei der US-Präsidentschaftswahl abzugeben. Insgesamt erzielte der Stream über fünf Millionen Abrufe.

Die Gründe für den Erfolg

Der Einstand, der ihr fast 500.000 Abonnenten bescherte, ist aber nicht nur darauf zurückzuführen, dass ranghohe Politiker in dieser Sphäre kaum zu finden sind. Auch andere Faktoren spielen eine Rolle. Einer davon ist, dass Ocasio-Cortez mit 31 Jahren selbst zu einer neuen Generation an Spitzenpolitikern zählt. Sie gehört außerdem dem dezidiert linken Flügel der Demokraten an, der nach europäischem Maßstab viele Forderungen trägt, die sozialdemokratische Errungenschaften oder Programmpunkte abbilden.

Hier finden sich etwa auch Elizabeth Warren und Bernie Sanders. Wie diese genießt auch "AOC" besonders bei jüngeren Wählergruppen viel Rückhalt. Hinzu kommt, dass sie schon zuvor als Gaming-affin bekannt war. Über Instagram vermeldete sie vor einigen Monaten etwa einen frisch erzielten Rangaufstieg im Moba "League of Legends".

Einfaches Game mit großer Zugkraft

Ganz besondere Bedeutung kommt allerdings auch der Wahl des Spieles zu. Ocasio-Cortez lud zu einem Gaming-Abend mit "Among Us" unter Beteiligung ihrer Parteikollegin Ilhan Omar und bekannterer Gesichter aus der Community des Spieles. Das Game ist gerade enorm populär. Allein auf Steam wird es momentan tagtäglich von bis zu 440.000 Teilnehmern gleichzeitig gespielt. Verfügbar ist es auch für iOS und Android. Crossplay zwischen PC und Mobilgeräten wird unterstützt. Das Entwicklerstudio Innersloth denkt auch über eine Konsolenumsetzung nach.

Ein weiterer Vorteil von "Among Us" ist, dass das Game selbst für Menschen leicht zu verstehen ist, die es nicht kennen oder die sich erst gar nicht sonderlich für Videospiele interessieren. Denn im Prinzip beruht es auf dem bekannten Gesellschaftsspiel "Werwolf", in dem eine Dorfgemeinschaft jene unter sich zu töten strebt, die sich in der Nacht in die namensgebende Sagengestalt verwandeln und Mitbürger ermorden.

"Among Us" verfrachtet das Geschehen auf eine Raumstation mit steuerbaren 2D-Charakteren, die bestimmte Aufgaben erfüllen, während die Verräter unter ihnen ("Impostor") Sabotageakte verüben und friedliche Crewmitglieder meucheln müssen, ohne aufzufliegen. (gpi, 23.10.2020)